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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Katholiken und Sozinlisten in Frankreich

..überall (bei den genannten Völkern) der gleiche", also das Schelersche Axiom
von dem konstanten Maß an Freiheit, bzw. Gebundenheitin der modernen Welt!'

Aus derselben nationalen Besinnung heraus, die diese Zeilen vertreten, hat
neuerdings der Leipziger Philosoph Eduard Spranger gegen die These Christian
Friedrich Weihers Einspruch erhoben, die den Grafen Shaftesbury zum Träger
einer spezifisch germanisch-deutschen Weltanschauung stempeln will und den Ab¬
solutismus als romanisches Produkt, statt als allgemeine verfassungsrechtliche
Durchgangsstufe der europäischen Völker betrachtet*), den Liberalismus dagegen
als germanisch, aber in seiner staatsbewußten Vollendung nicht als englisch,
sondern als spezifisch deutsch.

Wir dürfen den Gegnern auf geistigem Gebiete in stolzer Ehrlichkeit Waffen¬
ruhe ansagen, ohne darum "der wahren Individualität unserer historischen Er¬
scheinung" das geringste zu vergeben. Allerdings fordern wir von ihnen die
gleiche Bereitwilligkeit, sich auf dem Boden einer gerechten Beurteilung der auch
beim jeweilig "anderen" vorhandenen positiven Werte mit uns zusammenzufinden.
Geschieht das nicht, wird auch in Zukunft die Stimme der Vernunft von hysterisch¬
kreischender Leidenschaft überschrien, dann könnte allerdings jenes traurige Er¬
eignis eintreten, das der Schwede Kjellen^) so gern beschwören möchte: daß sich
nämlich Deutschlands bis zur Grenze des Menschlichen geprüftes Herz gegenüber
seinen Feinden verhärtet und jene Versöhnung, die an sich schon nicht nur "einen
Sieg über den preußischen Machtinstinkt, sondern auch über das Beste im eigenen
Wesen, über den die Bestrafung des Verbrechens verlangenden Nschtsinstinkt"
bedeutet, auf lange Zeit unmöglich macht. Dann wäre nationaler Besinnung die
Möglichkeit der Auswirkung aufs stärkste erschwert.




Katholiken und Sozialisten in Frankreich
einem französischen Gelehrten"") von

!ir zählen nicht mehr die Schiffbrüche dieses Krieges: Schiffbruch der
Ideen, Schiffbruch der Menschen, Schiffbruch der Parteien. Ich spreche
hier von den extremen Parteien. Auf Grund ihres unbestimmten
Programms und ihrer mannigfaltigen Grundsätze gehen die ver¬
mittelnden Parteien weniger blotzgestellt aus der Probe hervor,
j Aber kann man bei den Katholiken und Sozialisten von Schiff¬
bruch reden? Ist das nicht Bankrott, und zwar betrügerisch"! Bankrott? Ich war
vor dem Kriege weder Sozialist noch Antiklerikaler, und ich kann ganz frei vom
Katholizismus sprechen. Nun, ich bin überzeugt, daß er sich als soziale Kraft
nach diesem Kriege in Frankreich schwerlich wieder erheben wird. Er wird er¬
scheinen müssen -- er erscheint schon -- vor dem doppelten Gericht der öffentlichen





*) Spranger "Shaftesbury und wir" ("Internationale Monatsschr." s1917) SP. 1477ff,),
"me kritische Besprechung des Weisorschen Buches: "Shaftesbury und das deutsche Geistes¬
leben", dessen sonstige Werte von obiger Einschränkung nicht berührt werden.
"
"Studien zur Weltkrise (1S17), S. 123.
***
) Die nachfolgenden Ausführungen stammen aus der Feder desselben Franzosen, der
uns im vorigen Heft seine Augusterinnerungen von 1914 vermittelte.
Katholiken und Sozinlisten in Frankreich

..überall (bei den genannten Völkern) der gleiche", also das Schelersche Axiom
von dem konstanten Maß an Freiheit, bzw. Gebundenheitin der modernen Welt!'

Aus derselben nationalen Besinnung heraus, die diese Zeilen vertreten, hat
neuerdings der Leipziger Philosoph Eduard Spranger gegen die These Christian
Friedrich Weihers Einspruch erhoben, die den Grafen Shaftesbury zum Träger
einer spezifisch germanisch-deutschen Weltanschauung stempeln will und den Ab¬
solutismus als romanisches Produkt, statt als allgemeine verfassungsrechtliche
Durchgangsstufe der europäischen Völker betrachtet*), den Liberalismus dagegen
als germanisch, aber in seiner staatsbewußten Vollendung nicht als englisch,
sondern als spezifisch deutsch.

Wir dürfen den Gegnern auf geistigem Gebiete in stolzer Ehrlichkeit Waffen¬
ruhe ansagen, ohne darum „der wahren Individualität unserer historischen Er¬
scheinung" das geringste zu vergeben. Allerdings fordern wir von ihnen die
gleiche Bereitwilligkeit, sich auf dem Boden einer gerechten Beurteilung der auch
beim jeweilig „anderen" vorhandenen positiven Werte mit uns zusammenzufinden.
Geschieht das nicht, wird auch in Zukunft die Stimme der Vernunft von hysterisch¬
kreischender Leidenschaft überschrien, dann könnte allerdings jenes traurige Er¬
eignis eintreten, das der Schwede Kjellen^) so gern beschwören möchte: daß sich
nämlich Deutschlands bis zur Grenze des Menschlichen geprüftes Herz gegenüber
seinen Feinden verhärtet und jene Versöhnung, die an sich schon nicht nur „einen
Sieg über den preußischen Machtinstinkt, sondern auch über das Beste im eigenen
Wesen, über den die Bestrafung des Verbrechens verlangenden Nschtsinstinkt"
bedeutet, auf lange Zeit unmöglich macht. Dann wäre nationaler Besinnung die
Möglichkeit der Auswirkung aufs stärkste erschwert.




Katholiken und Sozialisten in Frankreich
einem französischen Gelehrten»") von

!ir zählen nicht mehr die Schiffbrüche dieses Krieges: Schiffbruch der
Ideen, Schiffbruch der Menschen, Schiffbruch der Parteien. Ich spreche
hier von den extremen Parteien. Auf Grund ihres unbestimmten
Programms und ihrer mannigfaltigen Grundsätze gehen die ver¬
mittelnden Parteien weniger blotzgestellt aus der Probe hervor,
j Aber kann man bei den Katholiken und Sozialisten von Schiff¬
bruch reden? Ist das nicht Bankrott, und zwar betrügerisch«! Bankrott? Ich war
vor dem Kriege weder Sozialist noch Antiklerikaler, und ich kann ganz frei vom
Katholizismus sprechen. Nun, ich bin überzeugt, daß er sich als soziale Kraft
nach diesem Kriege in Frankreich schwerlich wieder erheben wird. Er wird er¬
scheinen müssen — er erscheint schon — vor dem doppelten Gericht der öffentlichen





*) Spranger „Shaftesbury und wir" („Internationale Monatsschr." s1917) SP. 1477ff,),
«me kritische Besprechung des Weisorschen Buches: „Shaftesbury und das deutsche Geistes¬
leben", dessen sonstige Werte von obiger Einschränkung nicht berührt werden.
"
„Studien zur Weltkrise (1S17), S. 123.
***
) Die nachfolgenden Ausführungen stammen aus der Feder desselben Franzosen, der
uns im vorigen Heft seine Augusterinnerungen von 1914 vermittelte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/235>, abgerufen am 22.07.2024.