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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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kollektivistischer Denkungsart glücklich umschifft. Auch Boutroux würde wie der Staats¬
rechtler Duguit in einer selbständigen Kollektivpersönlichkeit nur "Hypothese" oder
"Fiktion" sehen und in der staatlichenZwangsgewalt nur den Willen der gerade an der
Regierung befindlichen Individuen. Aus solch abweichender Weltanschauung heraus
wird unseres Trachtens eine verschiedene Stellung zu dem Problem des Staaies
mit Notwendigkeit geboren, so entsteht auf der einen Seite die Neigung zur
Staatsverachtung "vom Anarchisten bis zum Universitätsprofessor" infolge der
überklaren und rationellen Betrachtung der Dinge im Lichte des Allzumenschlichen,
auf der anderen die innere Empfänglichkeit der Geister zur Verehrung der höheren
Gemeinschaft -- in der von uns bekämpften Sprache nationaler Borniertheit: Staats¬
knechtschaft oder Staatsmystik genannt. Auf dem so gestimmten Instrumente der
nationalen Psyche spielt dann die jeweilige Geschichte ihre besondere Melodie.
Doch betrachten wir diese "Stimmung" noch ein wenig.

> Ein Satz wie der Treitschkes, politische Freiheit sei politisch beschränk"?
Freiheit, entspringt unverkennbar kollektivistischen Denken. Die Freiheit der sitt¬
lichen Autonomie mit ihrer Hingabe aller Einzelkräfte in den Dienst der Gesamt¬
heit, das Gefühl des freien Gehorsams, die im Staate und nicht außerhalb ge¬
fundene Freiheit oder wie man sonst das eigentümlich Deutsche der Problemstellung
zum Ausdruck bringen will, wird im Glauven an überindividuelle Bindungen, an
konkrete Allgemeinheit einen günstigeren Nährboden finden als da, wo diese zu
blutleeren Schemen, Hypothesen und Fiktionen herabsinken und bestenfalls durch
die banale Figur der jeweils am Staatsruder befindlichen Machthaber verkörpert
werden. Wir sagen mit Absicht nur "einen besseren Nährboden finden", denn
fehlen darf diese geistige Einstellung auch bei individualistisch gerichteten Völkern
nicht. Wo wären wohl unsere Gegner heute, wenn ihnen Opfersinn, Dienst an
der Gesamtheit, Begeisterung für überindividuelle Ideen nicht mehr als leere
Abstraktion, Kultus metaphysischer Idole bedeutete? I Ganz sicher ist diese Denkungs¬
art, namentlich wenn es sich um die technische Form obrigkeitlicher Anforderungen
handelt, den: Engländer im Laufe des Krieges nur sauer eingegangen und auch
dem Franzosen schwerer verständlich als dem Deutschen, gefehlt hat sie bei beiden
auch vor dem August 1914 nicht, wohl aber andere Wege zu ihrer Verwirk¬
lichung eingeschlagen. Wir dürfen bei dieser Überlegung nicht vergessen, dasz auch
bei uns zu Lande vor dem August 1914 manches anders war als es die durch
den Krieg wiedergefundene nationale Selbstbestimmung Wort haben möchte. Wie
schrieb doch Meinecke kurz vor dem Kriege? "Es hat^sich ein weichliches ..stheten-
tuin entwickelt, das sich in den Kultus der eigenen Subjektivität versenkt und es
für selbstverständliche Vornehmheit hält, den Staat zu ignorieren."*) Solche
Rückerinnerung tut gerade in Epochejahren not, um das richtige Augenmaß zu
bewahren. Jetzt, wo wir im Blute unserer Besten dem hundertjährigen Gedächtnis
der Freiheitskriege ein nachträgliches Malzeichen errichtet haben, wie es bei der
eigentlichen Wiederkehr des Tages keiner ahnen konnte, ahnen wollte, brauchen wir
nicht mehr die schemenhafte Feier von 1913 mit Gerhart Hauptmanns "Fest,
spiel" -- aber gerade darum sollten wir nie vergessen, wie nahe daran wir waren,
das von den Vätern errungene Gut natipnalstaatlicher Einheit zu verlieren, indem
wir aufhörten, es innerlich zu erwerben.

Aber im wesentlichen wäre also der Franzose und Angelsachse "Indivi¬
dualist", der Deutsche "Kollektivist"?! Eine voreilige Festlegung in den Schranken
Narrer Begriffe, die die Sprache mit unzulänglichen Mitteln formt! Denn mit
demselben Rechte könnte man die Prädikate in obigem Gegensatze vertauschen. Ja
würde dann nicht viel eher die Vergangenheit für sie zeugen? Lehrt nicht alles,
was wir von unserem an eigenwilligen Formen so reichen MMelalter, von den Zeiten
Deutscher Libertät", von jenem unseligen "Partikularismus" der "Dynastien und
Stämme" und dem ganzen Elend der Kleinstaaterei wissen, das Gegenteil williger
Unterordnung unter das Ganze? Und galten nicht unsere westlichen Nachbarn zu



*) "Die deutsche Erhebung von 1914." (1914), S. 90.

kollektivistischer Denkungsart glücklich umschifft. Auch Boutroux würde wie der Staats¬
rechtler Duguit in einer selbständigen Kollektivpersönlichkeit nur „Hypothese" oder
»Fiktion" sehen und in der staatlichenZwangsgewalt nur den Willen der gerade an der
Regierung befindlichen Individuen. Aus solch abweichender Weltanschauung heraus
wird unseres Trachtens eine verschiedene Stellung zu dem Problem des Staaies
mit Notwendigkeit geboren, so entsteht auf der einen Seite die Neigung zur
Staatsverachtung „vom Anarchisten bis zum Universitätsprofessor" infolge der
überklaren und rationellen Betrachtung der Dinge im Lichte des Allzumenschlichen,
auf der anderen die innere Empfänglichkeit der Geister zur Verehrung der höheren
Gemeinschaft — in der von uns bekämpften Sprache nationaler Borniertheit: Staats¬
knechtschaft oder Staatsmystik genannt. Auf dem so gestimmten Instrumente der
nationalen Psyche spielt dann die jeweilige Geschichte ihre besondere Melodie.
Doch betrachten wir diese „Stimmung" noch ein wenig.

> Ein Satz wie der Treitschkes, politische Freiheit sei politisch beschränk«?
Freiheit, entspringt unverkennbar kollektivistischen Denken. Die Freiheit der sitt¬
lichen Autonomie mit ihrer Hingabe aller Einzelkräfte in den Dienst der Gesamt¬
heit, das Gefühl des freien Gehorsams, die im Staate und nicht außerhalb ge¬
fundene Freiheit oder wie man sonst das eigentümlich Deutsche der Problemstellung
zum Ausdruck bringen will, wird im Glauven an überindividuelle Bindungen, an
konkrete Allgemeinheit einen günstigeren Nährboden finden als da, wo diese zu
blutleeren Schemen, Hypothesen und Fiktionen herabsinken und bestenfalls durch
die banale Figur der jeweils am Staatsruder befindlichen Machthaber verkörpert
werden. Wir sagen mit Absicht nur „einen besseren Nährboden finden", denn
fehlen darf diese geistige Einstellung auch bei individualistisch gerichteten Völkern
nicht. Wo wären wohl unsere Gegner heute, wenn ihnen Opfersinn, Dienst an
der Gesamtheit, Begeisterung für überindividuelle Ideen nicht mehr als leere
Abstraktion, Kultus metaphysischer Idole bedeutete? I Ganz sicher ist diese Denkungs¬
art, namentlich wenn es sich um die technische Form obrigkeitlicher Anforderungen
handelt, den: Engländer im Laufe des Krieges nur sauer eingegangen und auch
dem Franzosen schwerer verständlich als dem Deutschen, gefehlt hat sie bei beiden
auch vor dem August 1914 nicht, wohl aber andere Wege zu ihrer Verwirk¬
lichung eingeschlagen. Wir dürfen bei dieser Überlegung nicht vergessen, dasz auch
bei uns zu Lande vor dem August 1914 manches anders war als es die durch
den Krieg wiedergefundene nationale Selbstbestimmung Wort haben möchte. Wie
schrieb doch Meinecke kurz vor dem Kriege? „Es hat^sich ein weichliches ..stheten-
tuin entwickelt, das sich in den Kultus der eigenen Subjektivität versenkt und es
für selbstverständliche Vornehmheit hält, den Staat zu ignorieren."*) Solche
Rückerinnerung tut gerade in Epochejahren not, um das richtige Augenmaß zu
bewahren. Jetzt, wo wir im Blute unserer Besten dem hundertjährigen Gedächtnis
der Freiheitskriege ein nachträgliches Malzeichen errichtet haben, wie es bei der
eigentlichen Wiederkehr des Tages keiner ahnen konnte, ahnen wollte, brauchen wir
nicht mehr die schemenhafte Feier von 1913 mit Gerhart Hauptmanns „Fest,
spiel" — aber gerade darum sollten wir nie vergessen, wie nahe daran wir waren,
das von den Vätern errungene Gut natipnalstaatlicher Einheit zu verlieren, indem
wir aufhörten, es innerlich zu erwerben.

Aber im wesentlichen wäre also der Franzose und Angelsachse „Indivi¬
dualist", der Deutsche „Kollektivist"?! Eine voreilige Festlegung in den Schranken
Narrer Begriffe, die die Sprache mit unzulänglichen Mitteln formt! Denn mit
demselben Rechte könnte man die Prädikate in obigem Gegensatze vertauschen. Ja
würde dann nicht viel eher die Vergangenheit für sie zeugen? Lehrt nicht alles,
was wir von unserem an eigenwilligen Formen so reichen MMelalter, von den Zeiten
Deutscher Libertät", von jenem unseligen „Partikularismus" der „Dynastien und
Stämme" und dem ganzen Elend der Kleinstaaterei wissen, das Gegenteil williger
Unterordnung unter das Ganze? Und galten nicht unsere westlichen Nachbarn zu



*) „Die deutsche Erhebung von 1914." (1914), S. 90.
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[0233] kollektivistischer Denkungsart glücklich umschifft. Auch Boutroux würde wie der Staats¬ rechtler Duguit in einer selbständigen Kollektivpersönlichkeit nur „Hypothese" oder »Fiktion" sehen und in der staatlichenZwangsgewalt nur den Willen der gerade an der Regierung befindlichen Individuen. Aus solch abweichender Weltanschauung heraus wird unseres Trachtens eine verschiedene Stellung zu dem Problem des Staaies mit Notwendigkeit geboren, so entsteht auf der einen Seite die Neigung zur Staatsverachtung „vom Anarchisten bis zum Universitätsprofessor" infolge der überklaren und rationellen Betrachtung der Dinge im Lichte des Allzumenschlichen, auf der anderen die innere Empfänglichkeit der Geister zur Verehrung der höheren Gemeinschaft — in der von uns bekämpften Sprache nationaler Borniertheit: Staats¬ knechtschaft oder Staatsmystik genannt. Auf dem so gestimmten Instrumente der nationalen Psyche spielt dann die jeweilige Geschichte ihre besondere Melodie. Doch betrachten wir diese „Stimmung" noch ein wenig. > Ein Satz wie der Treitschkes, politische Freiheit sei politisch beschränk«? Freiheit, entspringt unverkennbar kollektivistischen Denken. Die Freiheit der sitt¬ lichen Autonomie mit ihrer Hingabe aller Einzelkräfte in den Dienst der Gesamt¬ heit, das Gefühl des freien Gehorsams, die im Staate und nicht außerhalb ge¬ fundene Freiheit oder wie man sonst das eigentümlich Deutsche der Problemstellung zum Ausdruck bringen will, wird im Glauven an überindividuelle Bindungen, an konkrete Allgemeinheit einen günstigeren Nährboden finden als da, wo diese zu blutleeren Schemen, Hypothesen und Fiktionen herabsinken und bestenfalls durch die banale Figur der jeweils am Staatsruder befindlichen Machthaber verkörpert werden. Wir sagen mit Absicht nur „einen besseren Nährboden finden", denn fehlen darf diese geistige Einstellung auch bei individualistisch gerichteten Völkern nicht. Wo wären wohl unsere Gegner heute, wenn ihnen Opfersinn, Dienst an der Gesamtheit, Begeisterung für überindividuelle Ideen nicht mehr als leere Abstraktion, Kultus metaphysischer Idole bedeutete? I Ganz sicher ist diese Denkungs¬ art, namentlich wenn es sich um die technische Form obrigkeitlicher Anforderungen handelt, den: Engländer im Laufe des Krieges nur sauer eingegangen und auch dem Franzosen schwerer verständlich als dem Deutschen, gefehlt hat sie bei beiden auch vor dem August 1914 nicht, wohl aber andere Wege zu ihrer Verwirk¬ lichung eingeschlagen. Wir dürfen bei dieser Überlegung nicht vergessen, dasz auch bei uns zu Lande vor dem August 1914 manches anders war als es die durch den Krieg wiedergefundene nationale Selbstbestimmung Wort haben möchte. Wie schrieb doch Meinecke kurz vor dem Kriege? „Es hat^sich ein weichliches ..stheten- tuin entwickelt, das sich in den Kultus der eigenen Subjektivität versenkt und es für selbstverständliche Vornehmheit hält, den Staat zu ignorieren."*) Solche Rückerinnerung tut gerade in Epochejahren not, um das richtige Augenmaß zu bewahren. Jetzt, wo wir im Blute unserer Besten dem hundertjährigen Gedächtnis der Freiheitskriege ein nachträgliches Malzeichen errichtet haben, wie es bei der eigentlichen Wiederkehr des Tages keiner ahnen konnte, ahnen wollte, brauchen wir nicht mehr die schemenhafte Feier von 1913 mit Gerhart Hauptmanns „Fest, spiel" — aber gerade darum sollten wir nie vergessen, wie nahe daran wir waren, das von den Vätern errungene Gut natipnalstaatlicher Einheit zu verlieren, indem wir aufhörten, es innerlich zu erwerben. Aber im wesentlichen wäre also der Franzose und Angelsachse „Indivi¬ dualist", der Deutsche „Kollektivist"?! Eine voreilige Festlegung in den Schranken Narrer Begriffe, die die Sprache mit unzulänglichen Mitteln formt! Denn mit demselben Rechte könnte man die Prädikate in obigem Gegensatze vertauschen. Ja würde dann nicht viel eher die Vergangenheit für sie zeugen? Lehrt nicht alles, was wir von unserem an eigenwilligen Formen so reichen MMelalter, von den Zeiten Deutscher Libertät", von jenem unseligen „Partikularismus" der „Dynastien und Stämme" und dem ganzen Elend der Kleinstaaterei wissen, das Gegenteil williger Unterordnung unter das Ganze? Und galten nicht unsere westlichen Nachbarn zu *) „Die deutsche Erhebung von 1914." (1914), S. 90.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/233>, abgerufen am 22.07.2024.