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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Englands Stellungnahme zum Zionismus

So der Bericht des nach Polen zur Wahrung der religiösen Interessen der
polnischen Juden durch die Frankfurter "Freie Vereinigung" entsandten Rabbiners
or.Kohn aus Ansbach. ("Jüd. Rundschau" 1918 S,3.) Demnach ist es tiefbedauer¬
lich, wenn man von rationalistischer Seite das Wohlwollen der deutschen Regierung,
die sich den größten Dank der Judenwelt verdient hat, mit ganz ungerechtfertigten
Angriffen vergilt. Hierdurch wirst mau der deutschen Verwaltung in ihren Be¬
strebungen für das Judentum geradezu Knüttel zwischen die Beine; die Folge
kann nur eine empfindliche Schädigung der polnischen Juden sein (vgl. hierzu
insbesondere den Bericht über die Erklärung des Reichstagsabgeordneten or. Haas,
"N. Jüd. Monatshefte" 1917 Bd. 2 S 28). Zugleich aber bringt man Deutsch¬
land in unverantwortlicher Weise vor dem Auslande in Verruf. In dem Behrschen
Artikel sind diese Angriffe doppelt empörend, weil gerade Behr wiederholt auf die
Wichtigkeit der Sympathien der ausländischen Juden hinweist. 99 Prozent der
deutschen Juden lehnen für solche Politik jede Verantwortung ab.

Aber auch andere Ausführungen Behrs fordern entschiedenen Widerspruch
heraus. So, wenn er von der Türkei die Erfüllung der palästinensischen Forde¬
rungen mit der Begründung verlangt:

"Der einheitliche Wille des altweltlichen Judentums, wie er sich in diesem
Kriege in seinen gemeinsamen Forderungen verdichtet hat, wird sich nach dein
Kriege auch in seiner Macht zeigen. Und daß diese Macht auf dem Gebiete der
Finanzen, der öffentlichen Meinung, der Beeinflussung der Poliiik nicht gering ist,
steht heute fest. Man kann nur wünschen, im Interesse der harmonischen Ent¬
wicklung des jüdischen Volkes ebenso wie der gedeihlichen Zukunft des Türkischen
Reiches, daß die türkischen Staatsmänner noch rechtzeitig sich dieser Möglichkeiten
bewußt, werden". (S. 580.)

Ähnlich heißt es bei Besprechung der deutschen Judenpolitik: "Es ist offen-
bar so, daß bei der Abwägung der verschiedenen Interessen die Bedeutung der
jüdischen Interessen für die deutsche Außenpolitik in Deutschland unterschätzt wird.
Man ist in Deutschland noch zu wenig vertraut mit dem Begriff der jüdischen
Nation, des jüdischen Einheitswillens, der jüdischen Volkspolitik". (S. 582.) Dem¬
gegenüber muß betont werden, daß es auf politischem Gebiet "einen einheitlichen
Willen des altweltlichen Judentums" nicht gibt (oder doch nur in der Phantasie
der Antisemiten) und daß wir deutschen Juden die Einreihung in ein politisches
Allerweltsjudentum als Beleidigung und Verdächtigung zurückweisen.

Es ist nicht ungefährlich, gegen die Agitation der nationaljüdischen Hei߬
sporne aufzutreten, aber es ist nicht möglich, länger zu schweigen. Planmäßig
sucht man auf jener Seite die Grundlagen unserer Gemeinschaft zu unterwühlen.
Dahin zielt es, wenn der bekannte jüdische Nationalist Professor Dr. Loewe in
den "Neuen Jüd. Monatsheften" vom 10. Oktober 1916 die jüdischen Gemeinden
auffordert, jüdisch-nationale Schulen. Volksschulen, Realschulen, Gymnasien zu
errichten, dahin, wenn der gleichfalls national-jüdische Rechtsanwalt Dr. Kvl-
lenscher, der Gemeindereserent der "Neuen jüdischen Monatshefte" es in diesen
(Ur. vom 10. November 1916) als Losung ausgibt, die jüdischen Gemeinden
sollten die Fragen des Kultus und Ritus aus ihrer Zuständigkeit ausschalten und
diese vielmehr freien, innerhalb der offiziellen Synagogengemeinden zu bildenden
religiösen Gemeinden überlassen -- was doch auf nichts anderes hinauslaufen kann,
als die jüdischen Gemeinden zu nationalen Organen zu machen. Wohin die
Reise geht, zeigt am deutlichsten ein Artikel, den Gust. Landauer, wohl der geist¬
vollste Vertreter des Buberschen Gedankenkreises im "Juden" (Oktober 1916) über
"Ostjuden und Deutsches Reich" veröffentlicht:

"Denn das sei zum Schluß noch gesagt: bilden wir uns ja nicht ein, daß,
wenn wir im rechten Geiste unsere Einheit mit dem gesamten Judentum zur Tat
werden lassen, wir Westlichen es seien, die da hülfen und jene Östlichen, denen
geholfen würde. In aller hoffnungsvollen Demut vielmehr wollen wir erkennen,
daß Rettung, Aufschwung und Erneuerung der gesamten Judenschaft not tut und
daß wir dem Schicksal innig zu Dank verpflichtet sind, wenn es uns die Gnade


Englands Stellungnahme zum Zionismus

So der Bericht des nach Polen zur Wahrung der religiösen Interessen der
polnischen Juden durch die Frankfurter „Freie Vereinigung" entsandten Rabbiners
or.Kohn aus Ansbach. („Jüd. Rundschau" 1918 S,3.) Demnach ist es tiefbedauer¬
lich, wenn man von rationalistischer Seite das Wohlwollen der deutschen Regierung,
die sich den größten Dank der Judenwelt verdient hat, mit ganz ungerechtfertigten
Angriffen vergilt. Hierdurch wirst mau der deutschen Verwaltung in ihren Be¬
strebungen für das Judentum geradezu Knüttel zwischen die Beine; die Folge
kann nur eine empfindliche Schädigung der polnischen Juden sein (vgl. hierzu
insbesondere den Bericht über die Erklärung des Reichstagsabgeordneten or. Haas,
„N. Jüd. Monatshefte" 1917 Bd. 2 S 28). Zugleich aber bringt man Deutsch¬
land in unverantwortlicher Weise vor dem Auslande in Verruf. In dem Behrschen
Artikel sind diese Angriffe doppelt empörend, weil gerade Behr wiederholt auf die
Wichtigkeit der Sympathien der ausländischen Juden hinweist. 99 Prozent der
deutschen Juden lehnen für solche Politik jede Verantwortung ab.

Aber auch andere Ausführungen Behrs fordern entschiedenen Widerspruch
heraus. So, wenn er von der Türkei die Erfüllung der palästinensischen Forde¬
rungen mit der Begründung verlangt:

„Der einheitliche Wille des altweltlichen Judentums, wie er sich in diesem
Kriege in seinen gemeinsamen Forderungen verdichtet hat, wird sich nach dein
Kriege auch in seiner Macht zeigen. Und daß diese Macht auf dem Gebiete der
Finanzen, der öffentlichen Meinung, der Beeinflussung der Poliiik nicht gering ist,
steht heute fest. Man kann nur wünschen, im Interesse der harmonischen Ent¬
wicklung des jüdischen Volkes ebenso wie der gedeihlichen Zukunft des Türkischen
Reiches, daß die türkischen Staatsmänner noch rechtzeitig sich dieser Möglichkeiten
bewußt, werden". (S. 580.)

Ähnlich heißt es bei Besprechung der deutschen Judenpolitik: „Es ist offen-
bar so, daß bei der Abwägung der verschiedenen Interessen die Bedeutung der
jüdischen Interessen für die deutsche Außenpolitik in Deutschland unterschätzt wird.
Man ist in Deutschland noch zu wenig vertraut mit dem Begriff der jüdischen
Nation, des jüdischen Einheitswillens, der jüdischen Volkspolitik". (S. 582.) Dem¬
gegenüber muß betont werden, daß es auf politischem Gebiet „einen einheitlichen
Willen des altweltlichen Judentums" nicht gibt (oder doch nur in der Phantasie
der Antisemiten) und daß wir deutschen Juden die Einreihung in ein politisches
Allerweltsjudentum als Beleidigung und Verdächtigung zurückweisen.

Es ist nicht ungefährlich, gegen die Agitation der nationaljüdischen Hei߬
sporne aufzutreten, aber es ist nicht möglich, länger zu schweigen. Planmäßig
sucht man auf jener Seite die Grundlagen unserer Gemeinschaft zu unterwühlen.
Dahin zielt es, wenn der bekannte jüdische Nationalist Professor Dr. Loewe in
den „Neuen Jüd. Monatsheften" vom 10. Oktober 1916 die jüdischen Gemeinden
auffordert, jüdisch-nationale Schulen. Volksschulen, Realschulen, Gymnasien zu
errichten, dahin, wenn der gleichfalls national-jüdische Rechtsanwalt Dr. Kvl-
lenscher, der Gemeindereserent der „Neuen jüdischen Monatshefte" es in diesen
(Ur. vom 10. November 1916) als Losung ausgibt, die jüdischen Gemeinden
sollten die Fragen des Kultus und Ritus aus ihrer Zuständigkeit ausschalten und
diese vielmehr freien, innerhalb der offiziellen Synagogengemeinden zu bildenden
religiösen Gemeinden überlassen — was doch auf nichts anderes hinauslaufen kann,
als die jüdischen Gemeinden zu nationalen Organen zu machen. Wohin die
Reise geht, zeigt am deutlichsten ein Artikel, den Gust. Landauer, wohl der geist¬
vollste Vertreter des Buberschen Gedankenkreises im „Juden" (Oktober 1916) über
„Ostjuden und Deutsches Reich" veröffentlicht:

„Denn das sei zum Schluß noch gesagt: bilden wir uns ja nicht ein, daß,
wenn wir im rechten Geiste unsere Einheit mit dem gesamten Judentum zur Tat
werden lassen, wir Westlichen es seien, die da hülfen und jene Östlichen, denen
geholfen würde. In aller hoffnungsvollen Demut vielmehr wollen wir erkennen,
daß Rettung, Aufschwung und Erneuerung der gesamten Judenschaft not tut und
daß wir dem Schicksal innig zu Dank verpflichtet sind, wenn es uns die Gnade


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[0226] Englands Stellungnahme zum Zionismus So der Bericht des nach Polen zur Wahrung der religiösen Interessen der polnischen Juden durch die Frankfurter „Freie Vereinigung" entsandten Rabbiners or.Kohn aus Ansbach. („Jüd. Rundschau" 1918 S,3.) Demnach ist es tiefbedauer¬ lich, wenn man von rationalistischer Seite das Wohlwollen der deutschen Regierung, die sich den größten Dank der Judenwelt verdient hat, mit ganz ungerechtfertigten Angriffen vergilt. Hierdurch wirst mau der deutschen Verwaltung in ihren Be¬ strebungen für das Judentum geradezu Knüttel zwischen die Beine; die Folge kann nur eine empfindliche Schädigung der polnischen Juden sein (vgl. hierzu insbesondere den Bericht über die Erklärung des Reichstagsabgeordneten or. Haas, „N. Jüd. Monatshefte" 1917 Bd. 2 S 28). Zugleich aber bringt man Deutsch¬ land in unverantwortlicher Weise vor dem Auslande in Verruf. In dem Behrschen Artikel sind diese Angriffe doppelt empörend, weil gerade Behr wiederholt auf die Wichtigkeit der Sympathien der ausländischen Juden hinweist. 99 Prozent der deutschen Juden lehnen für solche Politik jede Verantwortung ab. Aber auch andere Ausführungen Behrs fordern entschiedenen Widerspruch heraus. So, wenn er von der Türkei die Erfüllung der palästinensischen Forde¬ rungen mit der Begründung verlangt: „Der einheitliche Wille des altweltlichen Judentums, wie er sich in diesem Kriege in seinen gemeinsamen Forderungen verdichtet hat, wird sich nach dein Kriege auch in seiner Macht zeigen. Und daß diese Macht auf dem Gebiete der Finanzen, der öffentlichen Meinung, der Beeinflussung der Poliiik nicht gering ist, steht heute fest. Man kann nur wünschen, im Interesse der harmonischen Ent¬ wicklung des jüdischen Volkes ebenso wie der gedeihlichen Zukunft des Türkischen Reiches, daß die türkischen Staatsmänner noch rechtzeitig sich dieser Möglichkeiten bewußt, werden". (S. 580.) Ähnlich heißt es bei Besprechung der deutschen Judenpolitik: „Es ist offen- bar so, daß bei der Abwägung der verschiedenen Interessen die Bedeutung der jüdischen Interessen für die deutsche Außenpolitik in Deutschland unterschätzt wird. Man ist in Deutschland noch zu wenig vertraut mit dem Begriff der jüdischen Nation, des jüdischen Einheitswillens, der jüdischen Volkspolitik". (S. 582.) Dem¬ gegenüber muß betont werden, daß es auf politischem Gebiet „einen einheitlichen Willen des altweltlichen Judentums" nicht gibt (oder doch nur in der Phantasie der Antisemiten) und daß wir deutschen Juden die Einreihung in ein politisches Allerweltsjudentum als Beleidigung und Verdächtigung zurückweisen. Es ist nicht ungefährlich, gegen die Agitation der nationaljüdischen Hei߬ sporne aufzutreten, aber es ist nicht möglich, länger zu schweigen. Planmäßig sucht man auf jener Seite die Grundlagen unserer Gemeinschaft zu unterwühlen. Dahin zielt es, wenn der bekannte jüdische Nationalist Professor Dr. Loewe in den „Neuen Jüd. Monatsheften" vom 10. Oktober 1916 die jüdischen Gemeinden auffordert, jüdisch-nationale Schulen. Volksschulen, Realschulen, Gymnasien zu errichten, dahin, wenn der gleichfalls national-jüdische Rechtsanwalt Dr. Kvl- lenscher, der Gemeindereserent der „Neuen jüdischen Monatshefte" es in diesen (Ur. vom 10. November 1916) als Losung ausgibt, die jüdischen Gemeinden sollten die Fragen des Kultus und Ritus aus ihrer Zuständigkeit ausschalten und diese vielmehr freien, innerhalb der offiziellen Synagogengemeinden zu bildenden religiösen Gemeinden überlassen — was doch auf nichts anderes hinauslaufen kann, als die jüdischen Gemeinden zu nationalen Organen zu machen. Wohin die Reise geht, zeigt am deutlichsten ein Artikel, den Gust. Landauer, wohl der geist¬ vollste Vertreter des Buberschen Gedankenkreises im „Juden" (Oktober 1916) über „Ostjuden und Deutsches Reich" veröffentlicht: „Denn das sei zum Schluß noch gesagt: bilden wir uns ja nicht ein, daß, wenn wir im rechten Geiste unsere Einheit mit dem gesamten Judentum zur Tat werden lassen, wir Westlichen es seien, die da hülfen und jene Östlichen, denen geholfen würde. In aller hoffnungsvollen Demut vielmehr wollen wir erkennen, daß Rettung, Aufschwung und Erneuerung der gesamten Judenschaft not tut und daß wir dem Schicksal innig zu Dank verpflichtet sind, wenn es uns die Gnade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/226>, abgerufen am 22.07.2024.