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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Lin Vorschlag zur lvahlreform

schliffen und unterrichtet. Etwa von 7 500 Mark Jahreseinkommen an scheint
mir die Erhöhung der Stimmkraft gleichfalls berechtigt.

Die Abwägung des Umfangs der Verstärkung ist natürlich noch schwieriger;
sie ist Sache des Ermessens und des Gerechtigkeitsgefühls. Nicht zu beanstanden
dürste wohl sein, daß man dem älteren Wahlfähigen eine zweite Stimme miegt
und der Vater eine dritte Stimme erhält. Denn das doppelte Gewicht der ge¬
reiften Männer entspricht ohne Frage der Billigkeit. Da sie die überwiegende
Mehrzahl der stimmfähigen bilden, wird im Ergebnis die Stimmkraft des Vaters
nur um die Hälfte verstärkt. Da ferner auch die Väter in der reichlichen Mehr-
heit sich befinden, so kann der Dreistimmenwähler als das Naturgemäße auf
Grund der menschlichen Entwicklung an sich erachtet werden. Deshalb erhebt sich
schon die Frage, ob für den gehobenen Unterricht und das Einkommen die Zu¬
legung von je einer Stimme genügt, da dies doch nur ein Drittel Stimmver-
stärkung gegenüber dem Regelfalle bedeutet und nicht wenigstens je zwei Stimmen
für diese Eigenschaften gewährt werden müssen. Sicherlich aber würde es ungerecht
sein, wenn für die abgeschlossene akademische Bildung nicht wenigstens vier Stimmen
gewährt werden, da eine so fortgeschrittene Disziplinierung des Geistes auch für
die politische Einsicht und Schulung von größter Bedeutung ist.

In der Art der Abgabe dieser Stimmen wäre der Wahlberechtigte nicht zu
beschränken. Die Vorschrift geschlossener Abgabe sämtlicher Stimmen auf eine
Liste oder Person würde Überwachungsvorschriften erfordern, welche die Freiheit
und Heimlichkeit der Stimmabgabe gefährdeten. Auch ist nicht zu befürchten, daß
zersplitterte Abgaben der Stimmen sich häufig ereignen, da die Stimmberechtigten
doch nach ihrer Überzeugung wählen und die Gelegenheit zu Scherzen nicht gerade
bei der Wahlhandlung suchen.

Ein Zahlenbeispiel mag die Wirkungen eines so gegliederten Wahlrechts
veranschaulichen. Die Ziffern konnten natürlich nur geschätzt werden. Immerhin
sind zum großen Teile statistische Ergebnisse zugrunde gelegt.

In der letzten allgemeinen Neichstagswahl 1912 erhielten unter Weg¬
lassung der kleinen Gruppen und der unbestimmten und zersplitterten Stimmen --
die größeren Parteien in Preußen folgende Stimmenmengen, zu Tausenden ab¬
gerundet, und hätten danach im Landeswahlsystem, eine Stimmensumme von
18 000 angenommen, folgende Abgeordnete gestellt:

Parteien Stimmen Gewählt Stimmenrest Zugewählt Abgeordnete
Konservative... 861 47 Is . 1 48
Dtsch, Fr. ... 493 27 7 - 27
Zentrum .... 1250 S9 8 -- 09
Nationalliberale . . 939 62 " -- 52
Fortschritt .... 860 47 14 1 45
Polen..... 441 24 S -- 24
Sozialisten . . . 1402 77 16 1 78
Unabh. Sozialisten 1005_5S_ _1_56
72S1 37 402

Werden den Wählern von 35 Jahren an und den Vätern je eine, den
Wählern mit gehobenem Unterricht und denjenigen mit einem Einkommen von
7500 Mark aufwärts je zwei und den Wählern mit einer abgeschlossenen Hoch-


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schliffen und unterrichtet. Etwa von 7 500 Mark Jahreseinkommen an scheint
mir die Erhöhung der Stimmkraft gleichfalls berechtigt.

Die Abwägung des Umfangs der Verstärkung ist natürlich noch schwieriger;
sie ist Sache des Ermessens und des Gerechtigkeitsgefühls. Nicht zu beanstanden
dürste wohl sein, daß man dem älteren Wahlfähigen eine zweite Stimme miegt
und der Vater eine dritte Stimme erhält. Denn das doppelte Gewicht der ge¬
reiften Männer entspricht ohne Frage der Billigkeit. Da sie die überwiegende
Mehrzahl der stimmfähigen bilden, wird im Ergebnis die Stimmkraft des Vaters
nur um die Hälfte verstärkt. Da ferner auch die Väter in der reichlichen Mehr-
heit sich befinden, so kann der Dreistimmenwähler als das Naturgemäße auf
Grund der menschlichen Entwicklung an sich erachtet werden. Deshalb erhebt sich
schon die Frage, ob für den gehobenen Unterricht und das Einkommen die Zu¬
legung von je einer Stimme genügt, da dies doch nur ein Drittel Stimmver-
stärkung gegenüber dem Regelfalle bedeutet und nicht wenigstens je zwei Stimmen
für diese Eigenschaften gewährt werden müssen. Sicherlich aber würde es ungerecht
sein, wenn für die abgeschlossene akademische Bildung nicht wenigstens vier Stimmen
gewährt werden, da eine so fortgeschrittene Disziplinierung des Geistes auch für
die politische Einsicht und Schulung von größter Bedeutung ist.

In der Art der Abgabe dieser Stimmen wäre der Wahlberechtigte nicht zu
beschränken. Die Vorschrift geschlossener Abgabe sämtlicher Stimmen auf eine
Liste oder Person würde Überwachungsvorschriften erfordern, welche die Freiheit
und Heimlichkeit der Stimmabgabe gefährdeten. Auch ist nicht zu befürchten, daß
zersplitterte Abgaben der Stimmen sich häufig ereignen, da die Stimmberechtigten
doch nach ihrer Überzeugung wählen und die Gelegenheit zu Scherzen nicht gerade
bei der Wahlhandlung suchen.

Ein Zahlenbeispiel mag die Wirkungen eines so gegliederten Wahlrechts
veranschaulichen. Die Ziffern konnten natürlich nur geschätzt werden. Immerhin
sind zum großen Teile statistische Ergebnisse zugrunde gelegt.

In der letzten allgemeinen Neichstagswahl 1912 erhielten unter Weg¬
lassung der kleinen Gruppen und der unbestimmten und zersplitterten Stimmen —
die größeren Parteien in Preußen folgende Stimmenmengen, zu Tausenden ab¬
gerundet, und hätten danach im Landeswahlsystem, eine Stimmensumme von
18 000 angenommen, folgende Abgeordnete gestellt:

Parteien Stimmen Gewählt Stimmenrest Zugewählt Abgeordnete
Konservative... 861 47 Is . 1 48
Dtsch, Fr. ... 493 27 7 - 27
Zentrum .... 1250 S9 8 — 09
Nationalliberale . . 939 62 » — 52
Fortschritt .... 860 47 14 1 45
Polen..... 441 24 S — 24
Sozialisten . . . 1402 77 16 1 78
Unabh. Sozialisten 1005_5S_ _1_56
72S1 37 402

Werden den Wählern von 35 Jahren an und den Vätern je eine, den
Wählern mit gehobenem Unterricht und denjenigen mit einem Einkommen von
7500 Mark aufwärts je zwei und den Wählern mit einer abgeschlossenen Hoch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/107>, abgerufen am 22.07.2024.