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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die polnische Frage von Juni bis September 59^7

scheiterten, blieb den Mittelmächten nichts anderes übrig, als den gesunden aus
Osterreich stammenden Teil der Legionen vor dem Verderben zu retten. Weniger
bekannt ist, daß die Legionäre bei ihrem Abschied von Warschau an die Be¬
völkerung einen Aufruf erließen (24. August), in dem das Treiben in Polen,
das Vorgehen Pilsudskis, die kindischen Konspirationen, die Tatenlosigkeit in
schärfster Weise gebrandmarkt werden. Der Aufruf schließt mit den Worten:
"Der polnische Soldat geht weit in die Welt hinaus durch Schuld der eigenen
Nation. In Polen hat er nichts mehr zu tun, das ist die schreckliche Wahrheit."

Wenn der Staatsrat sich trotz dieser Polen verderblichen Treibereien für
Pilsudski einsetzen mußte und sogar deshalb zurücktrat, trotzdem die Erfüllung
weitgehender Zugeständnisse durch Osterreich und Deutschland bevorstand, so ist
das nur ein Beweis, wie schwach die Stellung der gemäßigten, den Mittel¬
mächten geneigten Kreise ist, und es war nur sehr berechtigt, daß die Mittel¬
mächte nur zögernd die Verwaltung aus ihren Händen gaben*).




Wie in Polen so wird das polnische Leben in Galizien und Osterreich
durch die panslawistische und ententefreundliche Richtung beeinflußt. Schon vor
dem Kriege hat sich dieser aus der Fremde nach Galizien gedrungene Zwang
der Anhänger Dmowskis geltend gemacht und die ruhige Richtung der Krakauer
Konservativen (Llama-iyKsn), denen die österreichischen Polen ihre großen Erfolge
verdankten (vgl. mein "Polen und die polnisch-ruthenische Frage"), an die Wand
gedrückt. Seit dem Kriege ist dieser Einfluß noch stärker geworden. Wir werden
schon für die Maibeschlüsse und das Auftreten der österreichischen Polen im
Juni (vgl. den ersten Artikel) diese Einflüsse verantwortlich machen und ebenso
ihnen die weitere Entwicklung zuschreiben müssen. Die volle Bestätigung dieser
Ausführungen bietet der Krakauer "Czas" vom 9. August. In dem Artikel
"Geheime Instruktionen" wird ausgeführt, daß gewisse Kreise und Parteien des
Polenklubs ihre Instruktionen aus England von Herrn Dmowski beziehen, der
eifrig darauf bedacht ist, daß die zu fassenden Resolutionen nicht England
nahetreten.

Dadurch erklärt sich die gesamte widerspruchsvolle und schwankende Politik
der österreichischen Polen. Kaum war der Polenklub infolge des Druckes der
extremen Faktoren anfangs Juni in Opposition zur Negierung getreten, so zeigte
sich doch wieder ein Teil der Abgeordneten bereit, nach altgewohnter Weise
zur Regierung in Beziehungen zu treten und ihr gegen entsprechende
Konzessionen Gefolgschaft zu leisten. Verschiedene polnische Herrenhaus¬
mitglieder betonten am 28. Juni, daß sie das alte Verhältnis zu Österreich
aufrechterhalten wollen. Graf Pininski erklärte, daß die Polen nur in Ver¬
bindung mit der Monarchie eine bessere Zukunft erwarten und in dem Träger



-> Völlig verkehrt ist die von H. von Eckardt in "Mittel-Europa" Heft 11 S. 109
geäußerte Anschauung.
Die polnische Frage von Juni bis September 59^7

scheiterten, blieb den Mittelmächten nichts anderes übrig, als den gesunden aus
Osterreich stammenden Teil der Legionen vor dem Verderben zu retten. Weniger
bekannt ist, daß die Legionäre bei ihrem Abschied von Warschau an die Be¬
völkerung einen Aufruf erließen (24. August), in dem das Treiben in Polen,
das Vorgehen Pilsudskis, die kindischen Konspirationen, die Tatenlosigkeit in
schärfster Weise gebrandmarkt werden. Der Aufruf schließt mit den Worten:
„Der polnische Soldat geht weit in die Welt hinaus durch Schuld der eigenen
Nation. In Polen hat er nichts mehr zu tun, das ist die schreckliche Wahrheit."

Wenn der Staatsrat sich trotz dieser Polen verderblichen Treibereien für
Pilsudski einsetzen mußte und sogar deshalb zurücktrat, trotzdem die Erfüllung
weitgehender Zugeständnisse durch Osterreich und Deutschland bevorstand, so ist
das nur ein Beweis, wie schwach die Stellung der gemäßigten, den Mittel¬
mächten geneigten Kreise ist, und es war nur sehr berechtigt, daß die Mittel¬
mächte nur zögernd die Verwaltung aus ihren Händen gaben*).




Wie in Polen so wird das polnische Leben in Galizien und Osterreich
durch die panslawistische und ententefreundliche Richtung beeinflußt. Schon vor
dem Kriege hat sich dieser aus der Fremde nach Galizien gedrungene Zwang
der Anhänger Dmowskis geltend gemacht und die ruhige Richtung der Krakauer
Konservativen (Llama-iyKsn), denen die österreichischen Polen ihre großen Erfolge
verdankten (vgl. mein „Polen und die polnisch-ruthenische Frage"), an die Wand
gedrückt. Seit dem Kriege ist dieser Einfluß noch stärker geworden. Wir werden
schon für die Maibeschlüsse und das Auftreten der österreichischen Polen im
Juni (vgl. den ersten Artikel) diese Einflüsse verantwortlich machen und ebenso
ihnen die weitere Entwicklung zuschreiben müssen. Die volle Bestätigung dieser
Ausführungen bietet der Krakauer „Czas" vom 9. August. In dem Artikel
„Geheime Instruktionen" wird ausgeführt, daß gewisse Kreise und Parteien des
Polenklubs ihre Instruktionen aus England von Herrn Dmowski beziehen, der
eifrig darauf bedacht ist, daß die zu fassenden Resolutionen nicht England
nahetreten.

Dadurch erklärt sich die gesamte widerspruchsvolle und schwankende Politik
der österreichischen Polen. Kaum war der Polenklub infolge des Druckes der
extremen Faktoren anfangs Juni in Opposition zur Negierung getreten, so zeigte
sich doch wieder ein Teil der Abgeordneten bereit, nach altgewohnter Weise
zur Regierung in Beziehungen zu treten und ihr gegen entsprechende
Konzessionen Gefolgschaft zu leisten. Verschiedene polnische Herrenhaus¬
mitglieder betonten am 28. Juni, daß sie das alte Verhältnis zu Österreich
aufrechterhalten wollen. Graf Pininski erklärte, daß die Polen nur in Ver¬
bindung mit der Monarchie eine bessere Zukunft erwarten und in dem Träger



-> Völlig verkehrt ist die von H. von Eckardt in „Mittel-Europa" Heft 11 S. 109
geäußerte Anschauung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/98>, abgerufen am 01.09.2024.