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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die polnische Frage von Juni bis September 5957

lischen Gruppen kämen, und keinesfalls dürste zugelassen werden, daß ent¬
schieden aktivistische und gradlinig auf der Basis des Novemberaktes stehende
Elemente irgendwelchen Einfluß erlangen'."

Es ist selbstverständlich, daß nach diesem Rezepte wirklich auch verfahren
wurde, daß darauf alle Unzukömmlichkeiten, das Wühlen gegen die Zentral¬
mächte, die Ohnmacht des von diesen eingesetzten Staatsrates, dessen Rücktritt
im Mai und am 29. August zurückzuführen sind. Staatsrat Lempicki mußte
am 7. August in "Glos" gestehen, daß die polnische Regierung gegen eine
neutralistische (pasftvistische) und ententefreundliche Strömung zu kämpfen hat.
Mit Recht schreibt er einige Tage früher dieses Chaos den Vertretern der
"polnischen Gesellschaft" zu. Mit Unrecht will er und andere dafür aber auch
die Regierungen der Mittelmächte dafür verantwortlich machen, weil diese nur
zögernd den Ausbau Polens vollzogen. Dieses Zögern war durch die Er-
kenntnis bedingt, die man mit den Verhältnissen in Polen gemacht hatte: es
gibt eben da keine regierungsfähige Partei, die dem Treiben der anderen
standhalten könnte.

Die beste Illustration zu diesen Zuständen in Polen bildet der Fall
Pilsudski und das Schicksal der polnischen Armee. Die polnische Legion, die
sich zumeist aus Galizien und der Bukowina rekrutierte und der übrigens auch
Deutsche und Ruthenen angehörten, hat unstreitig mit Begeisterung gekämpft
und verdiente daher Anerkennung, wenn auch solche Freikorps im modernen
Kriege nur geringe Bedeutung haben. Diese Legionen waren nun (obwohl
zum größten Teil Österreicher!) zum Kader des neuen polnischen Heeres be¬
stimmt worden. Damit begann der Zersetzungsprozeß. Schon im Juni be¬
richteten die Zeitungen, daß die gesamte Werbetätigkeit für das polnische Heer
eingestellt wurde. Bald darauf hören wir von unangenehmen Vorgängen bei
der Vereidigung der polnischen Truppen in Warschau. Durch die Agitation
des russischen Abenteuerers Pilsudski ist die gesamte Organisation unterwühlt
worden. Die meisten aus dem Königreich stammenden Legionäre verweigerten
den Eid. weil sie offenbar von Pilsudski für seine Sonderabsichten verpflichtet
wurden, über die allerlei Gerüchte im Umlauf sind. Am wahrscheinlichsten ist
doch, daß Pilsudski zur Verbindung mit Rußland hinneigte und für die in
Rußland arbeitenden russophilen Allpolen die Legion in Anspruch nehmen
wollte. Deshalb protestierte das Oberste polnische Nationalkomitee (Krakauer
Konservativen) "gegen alle Versuche der Organisierung des polnischen Heeres
und der Schaffung eigenmächtiger Regierungen außerhalb der Grenze des
polnischen Gebietes". Gleichzeitig verurteilte es jene Treibereien, die zum
Zwiespalt in den Legionen geführt haben. Bekannt ist, daß ein Teil der
Legionäre schon im August um Versetzung zu den k. und k. Truppen baten,
und daß die Reste der Legion an die Ostfront trotz des Widerstrebens gewisser
polnischer Kreise kommandiert wurden. Da alle Hoffnungen auf die Aufstellung
eines polnischen Heeres infolge der russophilen und ententefreundlichen Agitation


Die polnische Frage von Juni bis September 5957

lischen Gruppen kämen, und keinesfalls dürste zugelassen werden, daß ent¬
schieden aktivistische und gradlinig auf der Basis des Novemberaktes stehende
Elemente irgendwelchen Einfluß erlangen'."

Es ist selbstverständlich, daß nach diesem Rezepte wirklich auch verfahren
wurde, daß darauf alle Unzukömmlichkeiten, das Wühlen gegen die Zentral¬
mächte, die Ohnmacht des von diesen eingesetzten Staatsrates, dessen Rücktritt
im Mai und am 29. August zurückzuführen sind. Staatsrat Lempicki mußte
am 7. August in „Glos" gestehen, daß die polnische Regierung gegen eine
neutralistische (pasftvistische) und ententefreundliche Strömung zu kämpfen hat.
Mit Recht schreibt er einige Tage früher dieses Chaos den Vertretern der
„polnischen Gesellschaft" zu. Mit Unrecht will er und andere dafür aber auch
die Regierungen der Mittelmächte dafür verantwortlich machen, weil diese nur
zögernd den Ausbau Polens vollzogen. Dieses Zögern war durch die Er-
kenntnis bedingt, die man mit den Verhältnissen in Polen gemacht hatte: es
gibt eben da keine regierungsfähige Partei, die dem Treiben der anderen
standhalten könnte.

Die beste Illustration zu diesen Zuständen in Polen bildet der Fall
Pilsudski und das Schicksal der polnischen Armee. Die polnische Legion, die
sich zumeist aus Galizien und der Bukowina rekrutierte und der übrigens auch
Deutsche und Ruthenen angehörten, hat unstreitig mit Begeisterung gekämpft
und verdiente daher Anerkennung, wenn auch solche Freikorps im modernen
Kriege nur geringe Bedeutung haben. Diese Legionen waren nun (obwohl
zum größten Teil Österreicher!) zum Kader des neuen polnischen Heeres be¬
stimmt worden. Damit begann der Zersetzungsprozeß. Schon im Juni be¬
richteten die Zeitungen, daß die gesamte Werbetätigkeit für das polnische Heer
eingestellt wurde. Bald darauf hören wir von unangenehmen Vorgängen bei
der Vereidigung der polnischen Truppen in Warschau. Durch die Agitation
des russischen Abenteuerers Pilsudski ist die gesamte Organisation unterwühlt
worden. Die meisten aus dem Königreich stammenden Legionäre verweigerten
den Eid. weil sie offenbar von Pilsudski für seine Sonderabsichten verpflichtet
wurden, über die allerlei Gerüchte im Umlauf sind. Am wahrscheinlichsten ist
doch, daß Pilsudski zur Verbindung mit Rußland hinneigte und für die in
Rußland arbeitenden russophilen Allpolen die Legion in Anspruch nehmen
wollte. Deshalb protestierte das Oberste polnische Nationalkomitee (Krakauer
Konservativen) „gegen alle Versuche der Organisierung des polnischen Heeres
und der Schaffung eigenmächtiger Regierungen außerhalb der Grenze des
polnischen Gebietes". Gleichzeitig verurteilte es jene Treibereien, die zum
Zwiespalt in den Legionen geführt haben. Bekannt ist, daß ein Teil der
Legionäre schon im August um Versetzung zu den k. und k. Truppen baten,
und daß die Reste der Legion an die Ostfront trotz des Widerstrebens gewisser
polnischer Kreise kommandiert wurden. Da alle Hoffnungen auf die Aufstellung
eines polnischen Heeres infolge der russophilen und ententefreundlichen Agitation


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/97>, abgerufen am 01.09.2024.