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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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gemacht, in wenigen knappen und klaren Sätzen zusammenzufassen, was alle
erstrebten und wünschten. Mit tätiger Unterstützung des glühenden Vaterlands¬
freundes Heinrich Luden entstanden fünfunddreißig "Grundsätze des Wartburg¬
festes", die den politischen, religiösen und wirtschaftlichen Forderungen des
deutschen Liberalismus zum ersten Male erschöpfend Ausdruck verliehen. Na¬
tionale Einheit Deutschlands. Entwicklung seiner Wehrkraft, konstitutionelle
Monarchie, Ministerverantwortlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Rede- und
Preßfreiheit: dies Streben kennzeichnet bekanntlich den politischen Kampf, den
das aufstrebende Bürgertum als Vertreter der Gesamtheit des deutschen Volkes
auf den Landtagen der nächsten Jahrzehnte auszufechten hatte. Die erste deutsche
Nationalversammlung in Frankfurt hat diesen Streit dann übernommen und
der neuen Generation weitergegeben. Neben diese "Grundsätze" traten zwölf
"Beschlüsse des Wartburgfestes", die ergänzend die Richtlinien für die burschen-
schastliche Bewegung selbst bieten wollten. Die Wissenschaft, heißt es hier, soll dem
Leben und dem Vaterlande dienen. Alle Spaltungen auf den Hochschulen sollen auf¬
hören. Aller Kleinstaaterei und Ausländern, allem Kastengeist und Despotendienst
schwören die Burschen ab. verpflichten sich aber, dereinst ihr Amt "ehrlich, redlich,
dem Fürsten treu, dem Vaterlande ergeben" zu verwalten.

Wohl wurden diese "Grundsätze und Beschlüsse" trotz warmer Fürsprache
Riemanns und seiner Freunde von der Jenaer Burschenschaft nicht als amtlich
bindende Leitsätze angenommen. Mit Erfolg mahnte der bedächtigere Scheibler,
der "Burgvogt" des Wartburgfestes: "Wenn Ihr das unterschreibt, so kriegt Ihr
künftig keine Stellen!" Aber in vertraulichen Abschriften wurden die Sätze dafür
um so eifriger verbreitet. Trotz aller Rundung und Abschwächung ist ihr
Sinn deutlich genug auch in der grundlegenden Einleitung zur Verfassung des
großen Bundes der deutschen Jugend lebendig. "Die allgemeine deutsche
Burschenschaft", mahnt sie, "tritt ins Leben ein dadurch, daß sie sich je
länger je mehr darstellt als ein Bild ihres in Freiheit und Einheit erblühenden
Volkes, daß sie ein volkstümliches Burschenleben in der Ausbildung einer jeden
geistigen und leiblichen Kraft erhält und in freiem, gleichem und geordnetem
Gemeinwesen ihre Glieder vorbereitet zum Volksleben, so daß jedes derselben
zu einer solchen Stufe des Selbstbewußtseins erhoben werde, daß es in seiner
reinen Eigentümlichkeit den Glanz der Herrlichkeit deutschen Volkslebens darstelle."

Einheit und Freiheit des Vaterlandes: mit voller Bestimmtheit rücken diese
Worte damit in den Mittelpunkt der nationalen Bestrebungen, deren Träger
und Vertreter die deutsche Burschenschaft damals geworden ist. Wenn an der
Schwelle des Wartburgfestes nur einzelne Führer diese Erkenntnis offen aus-
sprachen: am Schluß der Eisenacher Tage schon war sie Gemeingut der Teil¬
nehmer geworden, die die teueren Worte und ihre tiefe Bedeutung allenthalben
verbreiteten.

Wie umfassend die jungen Burschen in treuer Gemeinschaft mit den selbst
gewählten geistigen Führern dies nationale Streben auffaßten, geht deutlich


vor hundert Jahren

gemacht, in wenigen knappen und klaren Sätzen zusammenzufassen, was alle
erstrebten und wünschten. Mit tätiger Unterstützung des glühenden Vaterlands¬
freundes Heinrich Luden entstanden fünfunddreißig „Grundsätze des Wartburg¬
festes", die den politischen, religiösen und wirtschaftlichen Forderungen des
deutschen Liberalismus zum ersten Male erschöpfend Ausdruck verliehen. Na¬
tionale Einheit Deutschlands. Entwicklung seiner Wehrkraft, konstitutionelle
Monarchie, Ministerverantwortlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Rede- und
Preßfreiheit: dies Streben kennzeichnet bekanntlich den politischen Kampf, den
das aufstrebende Bürgertum als Vertreter der Gesamtheit des deutschen Volkes
auf den Landtagen der nächsten Jahrzehnte auszufechten hatte. Die erste deutsche
Nationalversammlung in Frankfurt hat diesen Streit dann übernommen und
der neuen Generation weitergegeben. Neben diese „Grundsätze" traten zwölf
„Beschlüsse des Wartburgfestes", die ergänzend die Richtlinien für die burschen-
schastliche Bewegung selbst bieten wollten. Die Wissenschaft, heißt es hier, soll dem
Leben und dem Vaterlande dienen. Alle Spaltungen auf den Hochschulen sollen auf¬
hören. Aller Kleinstaaterei und Ausländern, allem Kastengeist und Despotendienst
schwören die Burschen ab. verpflichten sich aber, dereinst ihr Amt „ehrlich, redlich,
dem Fürsten treu, dem Vaterlande ergeben" zu verwalten.

Wohl wurden diese „Grundsätze und Beschlüsse" trotz warmer Fürsprache
Riemanns und seiner Freunde von der Jenaer Burschenschaft nicht als amtlich
bindende Leitsätze angenommen. Mit Erfolg mahnte der bedächtigere Scheibler,
der „Burgvogt" des Wartburgfestes: „Wenn Ihr das unterschreibt, so kriegt Ihr
künftig keine Stellen!" Aber in vertraulichen Abschriften wurden die Sätze dafür
um so eifriger verbreitet. Trotz aller Rundung und Abschwächung ist ihr
Sinn deutlich genug auch in der grundlegenden Einleitung zur Verfassung des
großen Bundes der deutschen Jugend lebendig. „Die allgemeine deutsche
Burschenschaft", mahnt sie, „tritt ins Leben ein dadurch, daß sie sich je
länger je mehr darstellt als ein Bild ihres in Freiheit und Einheit erblühenden
Volkes, daß sie ein volkstümliches Burschenleben in der Ausbildung einer jeden
geistigen und leiblichen Kraft erhält und in freiem, gleichem und geordnetem
Gemeinwesen ihre Glieder vorbereitet zum Volksleben, so daß jedes derselben
zu einer solchen Stufe des Selbstbewußtseins erhoben werde, daß es in seiner
reinen Eigentümlichkeit den Glanz der Herrlichkeit deutschen Volkslebens darstelle."

Einheit und Freiheit des Vaterlandes: mit voller Bestimmtheit rücken diese
Worte damit in den Mittelpunkt der nationalen Bestrebungen, deren Träger
und Vertreter die deutsche Burschenschaft damals geworden ist. Wenn an der
Schwelle des Wartburgfestes nur einzelne Führer diese Erkenntnis offen aus-
sprachen: am Schluß der Eisenacher Tage schon war sie Gemeingut der Teil¬
nehmer geworden, die die teueren Worte und ihre tiefe Bedeutung allenthalben
verbreiteten.

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gewählten geistigen Führern dies nationale Streben auffaßten, geht deutlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/90>, abgerufen am 01.09.2024.