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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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vor hundert Jahren

schon ihre jungen Freunde. In der Mitte der einen Seite war ein be¬
scheidener Rednerstuhl errichtet, neben dem die dem Zuge vorgetragene Fahne der
Jenaer Burschenschaft, schwarz'-rot mit goldenem Eichenzweig, ihren Platz fand.

Ein kurzes Gebet und der Gesang des Lutherliedes "Ein' feste Burg ist
unser Gott" eröffnete die Feier. Dann betrat Heinrich Riemann, mit dem bei
Lignu erworbenen Eisernen Kreuz geschmückt, den Rednerstuhl. Einleitend be¬
zeichnete er kurz und treffend Zweck und Ziel des Festes: "das Bild der Ver¬
gangenheit uns vor die Seele zu rufen, um aus ihr Kraft zu schöpfen für die
lebendige Tat in der Gegenwart, gemeinschaftlich uns zu beraten über unser
Tun und Treiben, unsere Ansichten auszutauschen, das Burschenleben in seiner
Reinheit uns anschaulicher zu machen und endlich, unserem Volke zu zeigen,
was es von seiner Jugend zu hoffen hat, welcher Geist sie beseelt, wie Ein¬
tracht und Brudersinn von uns geehrt werden, wie wir ringen und streben,
den Geist der Zeit zu verstehen, der mit Flammenzügen in den Taten der
jüngsten Vergangenheit sich uns kund tut."

Geschickt gewann der Redner mit diesen Worten den Übergang zur Er¬
innerung an die Tat der Reformation und an die Leipziger Schlacht: Voll
Gottvertrauen und Gottesfurcht, ohne Menschenfurcht erschütterte Luther mit
Riesenkraft den römischen Fels mit dem Satze, daß es ein frei Ding sei um
den Glauben. Dieser Gottesglaube aber muß fußen im vaterländischen Boden,
seine Anwendung finden im Vaterlande, durch dieses im bürgerlichen Wirkungs-
kreise und weiter im häuslichen Leben. Nur zu lange war Vaterlandsliebe
einem verderblichen Weltbürgersinn gewichen. Während unsere Wissenschaft
voranschritt, ward das Vaterland vergessen und mit ihm seine Tugend und
Sitte. Nach jahrelanger Knechtschaft rief uns endlich die Freiheit auf. Was
das erwachte Volk zu opfern versprach im Gefühl der erlittenen Schmach, im
Bewußtsein der verjüngten Kraft und im Vertrauen auf den allmächtigen Gott,
das zeugen die blutigen Schlachtfelder um Leipzig.

"Vier lange Jahre sind seitdem verflossen. Das deutsche Volk hatte schöne
Hoffnungen gefaßt; sie sind alle vereitelt. Alles ist anders gekommen, als wir
erwartet haben; viel Großes und Herrliches, was geschehen konnte und mußte,
ist unterblieben." Viele wackere Männer sind über solchen Ausgang kleinmütig
geworden und ziehen sich vom öffentlichen Leben zurück. Wir aber können und
wollen ihnen nicht folgen. "An dem, was wir erkannt haben, wollen wir
halten. Der Geist, der uns hier zusammengeführt, der Geist der Wahrheit und
Gerechtigkeit, soll uns leiten durch unser ganzes Leben, daß wir, alle Brüder,
alle Söhne eines und desselben Vaterlandes, eine eherne Mauer bilden gegen
jegliche äußere und innere Feinde, daß nimmer in uns erlösche das Streben
nach Erkenntnis der Wahrheit, das Streben nach jeglicher menschlichen und
vaterländischen Tugend. Mit solchen Grundsätzen wollen wir einst zurücktreten
ins bürgerliche Leben, fest und unvertilgbar im Herzen die Liebe zum einigen
deutschen Vaterlande."


vor hundert Jahren

schon ihre jungen Freunde. In der Mitte der einen Seite war ein be¬
scheidener Rednerstuhl errichtet, neben dem die dem Zuge vorgetragene Fahne der
Jenaer Burschenschaft, schwarz'-rot mit goldenem Eichenzweig, ihren Platz fand.

Ein kurzes Gebet und der Gesang des Lutherliedes „Ein' feste Burg ist
unser Gott" eröffnete die Feier. Dann betrat Heinrich Riemann, mit dem bei
Lignu erworbenen Eisernen Kreuz geschmückt, den Rednerstuhl. Einleitend be¬
zeichnete er kurz und treffend Zweck und Ziel des Festes: „das Bild der Ver¬
gangenheit uns vor die Seele zu rufen, um aus ihr Kraft zu schöpfen für die
lebendige Tat in der Gegenwart, gemeinschaftlich uns zu beraten über unser
Tun und Treiben, unsere Ansichten auszutauschen, das Burschenleben in seiner
Reinheit uns anschaulicher zu machen und endlich, unserem Volke zu zeigen,
was es von seiner Jugend zu hoffen hat, welcher Geist sie beseelt, wie Ein¬
tracht und Brudersinn von uns geehrt werden, wie wir ringen und streben,
den Geist der Zeit zu verstehen, der mit Flammenzügen in den Taten der
jüngsten Vergangenheit sich uns kund tut."

Geschickt gewann der Redner mit diesen Worten den Übergang zur Er¬
innerung an die Tat der Reformation und an die Leipziger Schlacht: Voll
Gottvertrauen und Gottesfurcht, ohne Menschenfurcht erschütterte Luther mit
Riesenkraft den römischen Fels mit dem Satze, daß es ein frei Ding sei um
den Glauben. Dieser Gottesglaube aber muß fußen im vaterländischen Boden,
seine Anwendung finden im Vaterlande, durch dieses im bürgerlichen Wirkungs-
kreise und weiter im häuslichen Leben. Nur zu lange war Vaterlandsliebe
einem verderblichen Weltbürgersinn gewichen. Während unsere Wissenschaft
voranschritt, ward das Vaterland vergessen und mit ihm seine Tugend und
Sitte. Nach jahrelanger Knechtschaft rief uns endlich die Freiheit auf. Was
das erwachte Volk zu opfern versprach im Gefühl der erlittenen Schmach, im
Bewußtsein der verjüngten Kraft und im Vertrauen auf den allmächtigen Gott,
das zeugen die blutigen Schlachtfelder um Leipzig.

„Vier lange Jahre sind seitdem verflossen. Das deutsche Volk hatte schöne
Hoffnungen gefaßt; sie sind alle vereitelt. Alles ist anders gekommen, als wir
erwartet haben; viel Großes und Herrliches, was geschehen konnte und mußte,
ist unterblieben." Viele wackere Männer sind über solchen Ausgang kleinmütig
geworden und ziehen sich vom öffentlichen Leben zurück. Wir aber können und
wollen ihnen nicht folgen. „An dem, was wir erkannt haben, wollen wir
halten. Der Geist, der uns hier zusammengeführt, der Geist der Wahrheit und
Gerechtigkeit, soll uns leiten durch unser ganzes Leben, daß wir, alle Brüder,
alle Söhne eines und desselben Vaterlandes, eine eherne Mauer bilden gegen
jegliche äußere und innere Feinde, daß nimmer in uns erlösche das Streben
nach Erkenntnis der Wahrheit, das Streben nach jeglicher menschlichen und
vaterländischen Tugend. Mit solchen Grundsätzen wollen wir einst zurücktreten
ins bürgerliche Leben, fest und unvertilgbar im Herzen die Liebe zum einigen
deutschen Vaterlande."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/85>, abgerufen am 01.09.2024.