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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Vor hundert Jahren

Universitäten selbst zum 31. Oktober besondere Feiern ansagten, führte nach¬
träglich noch zur Wahl des 18. Oktober. Mit dem Reformationsfest verband
die Einladung, die die Jenaer Burschenschaft am 11. August 1817 erließ, bereits
die Feier des Sieges von Leipzig "und der ersten freudigen und freundschaft¬
lichen Zusammenkunft deutscher Burschen von den meisten vaterländischen Hoch¬
schulen". Fast alle protestantischen Universitäten sagten in begeisterter Antwort
ihre Teilnahme zu. Nur aus Breslau, Greifswald und Königsberg blieben
Vertreter aus. In Halle hatte sich kurz vorher, die "Teutonia" auf Befehl der
Regierung auflösen müssen.

Am 16. und 17. Oktober sammelten sich 466 Burschen aus allen deutschen
Gauen im gastlichen Eisenach. Eine stattliche Schar älterer Freunde der
akademischen Jugend schloß sich ihnen an. Insbesondere waren aus dem
nahen Jena einige Gönner und Förderer der aufblühenden Burschenschaft, die
Professoren Kieser, Fries. Oken und Schweitzer, erschienen. Ein Ausschuß der
Jenaer Burschenschaft traf im Gasthaus zum Rautenkranz am Markte umsichtig
alle Vorbereitungen. Seine Führer Karl Scheibler und Heinrich Riemann,
beide ehemalige Lützower, wurden unter lautem Beifall zur Leitung berufen,
der eine als "Burgvogt", der andere als Festredner. Was sie und ihre Ge¬
sinnungsgenossen von vornherein von der Feier erwarteten, sprach der Jenaer
Philosoph Friedrich Fries in einer schwungvollen Flugschrift offen aus, die
bereits in Eisenach verteilt wurde. Mit der Erinnerung an die Reformation
und an den Freiheitskampf, in dem ja ein großer Teil der Burschen mit-
gestritten hatte, verknüpfte sie nachdrücklich die Mahnung zu politischer Einkehr:
"Verbündet Euch", so hieß es hier, "daß im Geiste eins und einig werde das
deutsche Vaterland, daß es in regem Gemeingeist gedeihe zu öffentlichem Leben!
Möge dem deutschen Vaterlande ein solcher Bund seiner gebildeten Jugend
gedeihen!" Und ähnlich forderte der schöne Eintrag eines Gießener Studenten
ins Stammbuch der Wartburg: "Aus diesen feurig begeisterten Versammlungen
sollen die Bürger erwachsen, auf die unser armes Vaterland mit Vertrauen
schaut," im Kampf für Recht und Wahrheit und Glauben und für des deutschen
Vaterlandes Einheit und Freiheit. --

"Der 18. Oktober brach an", so erzählt der anschauliche Bericht Professor
Kiefers. "Ein heiterer Herbstmorgen hatte die Nebel der Berge in silbernem
Reife niedergeschlagen, und von den Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchtet,
glänzte die alte Wartburg in seltener Klarheit aus dem Dufte der Berge empor¬
steigend und als die heilige Stätte dieses Tages von jedem mit stillem Ernste
begrüßt." Um 8 Uhr ordnete sich der Zug der Burschen auf dem Markte.
Paarweise ging es den Steinweg hinauf zur Burg, dessen Räume der Schlo߬
herr, der geliebte Großherzog, bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte. Im
Rittersaal, dessen damals noch düstere Mauern von den Eisenacher Bürgern
mit Laubgewinden festlich geziert waren, erwarteten die Jenaer Professoren


Vor hundert Jahren

Universitäten selbst zum 31. Oktober besondere Feiern ansagten, führte nach¬
träglich noch zur Wahl des 18. Oktober. Mit dem Reformationsfest verband
die Einladung, die die Jenaer Burschenschaft am 11. August 1817 erließ, bereits
die Feier des Sieges von Leipzig „und der ersten freudigen und freundschaft¬
lichen Zusammenkunft deutscher Burschen von den meisten vaterländischen Hoch¬
schulen". Fast alle protestantischen Universitäten sagten in begeisterter Antwort
ihre Teilnahme zu. Nur aus Breslau, Greifswald und Königsberg blieben
Vertreter aus. In Halle hatte sich kurz vorher, die „Teutonia" auf Befehl der
Regierung auflösen müssen.

Am 16. und 17. Oktober sammelten sich 466 Burschen aus allen deutschen
Gauen im gastlichen Eisenach. Eine stattliche Schar älterer Freunde der
akademischen Jugend schloß sich ihnen an. Insbesondere waren aus dem
nahen Jena einige Gönner und Förderer der aufblühenden Burschenschaft, die
Professoren Kieser, Fries. Oken und Schweitzer, erschienen. Ein Ausschuß der
Jenaer Burschenschaft traf im Gasthaus zum Rautenkranz am Markte umsichtig
alle Vorbereitungen. Seine Führer Karl Scheibler und Heinrich Riemann,
beide ehemalige Lützower, wurden unter lautem Beifall zur Leitung berufen,
der eine als „Burgvogt", der andere als Festredner. Was sie und ihre Ge¬
sinnungsgenossen von vornherein von der Feier erwarteten, sprach der Jenaer
Philosoph Friedrich Fries in einer schwungvollen Flugschrift offen aus, die
bereits in Eisenach verteilt wurde. Mit der Erinnerung an die Reformation
und an den Freiheitskampf, in dem ja ein großer Teil der Burschen mit-
gestritten hatte, verknüpfte sie nachdrücklich die Mahnung zu politischer Einkehr:
„Verbündet Euch", so hieß es hier, „daß im Geiste eins und einig werde das
deutsche Vaterland, daß es in regem Gemeingeist gedeihe zu öffentlichem Leben!
Möge dem deutschen Vaterlande ein solcher Bund seiner gebildeten Jugend
gedeihen!" Und ähnlich forderte der schöne Eintrag eines Gießener Studenten
ins Stammbuch der Wartburg: „Aus diesen feurig begeisterten Versammlungen
sollen die Bürger erwachsen, auf die unser armes Vaterland mit Vertrauen
schaut," im Kampf für Recht und Wahrheit und Glauben und für des deutschen
Vaterlandes Einheit und Freiheit. —

„Der 18. Oktober brach an", so erzählt der anschauliche Bericht Professor
Kiefers. „Ein heiterer Herbstmorgen hatte die Nebel der Berge in silbernem
Reife niedergeschlagen, und von den Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchtet,
glänzte die alte Wartburg in seltener Klarheit aus dem Dufte der Berge empor¬
steigend und als die heilige Stätte dieses Tages von jedem mit stillem Ernste
begrüßt." Um 8 Uhr ordnete sich der Zug der Burschen auf dem Markte.
Paarweise ging es den Steinweg hinauf zur Burg, dessen Räume der Schlo߬
herr, der geliebte Großherzog, bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte. Im
Rittersaal, dessen damals noch düstere Mauern von den Eisenacher Bürgern
mit Laubgewinden festlich geziert waren, erwarteten die Jenaer Professoren


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[0084] Vor hundert Jahren Universitäten selbst zum 31. Oktober besondere Feiern ansagten, führte nach¬ träglich noch zur Wahl des 18. Oktober. Mit dem Reformationsfest verband die Einladung, die die Jenaer Burschenschaft am 11. August 1817 erließ, bereits die Feier des Sieges von Leipzig „und der ersten freudigen und freundschaft¬ lichen Zusammenkunft deutscher Burschen von den meisten vaterländischen Hoch¬ schulen". Fast alle protestantischen Universitäten sagten in begeisterter Antwort ihre Teilnahme zu. Nur aus Breslau, Greifswald und Königsberg blieben Vertreter aus. In Halle hatte sich kurz vorher, die „Teutonia" auf Befehl der Regierung auflösen müssen. Am 16. und 17. Oktober sammelten sich 466 Burschen aus allen deutschen Gauen im gastlichen Eisenach. Eine stattliche Schar älterer Freunde der akademischen Jugend schloß sich ihnen an. Insbesondere waren aus dem nahen Jena einige Gönner und Förderer der aufblühenden Burschenschaft, die Professoren Kieser, Fries. Oken und Schweitzer, erschienen. Ein Ausschuß der Jenaer Burschenschaft traf im Gasthaus zum Rautenkranz am Markte umsichtig alle Vorbereitungen. Seine Führer Karl Scheibler und Heinrich Riemann, beide ehemalige Lützower, wurden unter lautem Beifall zur Leitung berufen, der eine als „Burgvogt", der andere als Festredner. Was sie und ihre Ge¬ sinnungsgenossen von vornherein von der Feier erwarteten, sprach der Jenaer Philosoph Friedrich Fries in einer schwungvollen Flugschrift offen aus, die bereits in Eisenach verteilt wurde. Mit der Erinnerung an die Reformation und an den Freiheitskampf, in dem ja ein großer Teil der Burschen mit- gestritten hatte, verknüpfte sie nachdrücklich die Mahnung zu politischer Einkehr: „Verbündet Euch", so hieß es hier, „daß im Geiste eins und einig werde das deutsche Vaterland, daß es in regem Gemeingeist gedeihe zu öffentlichem Leben! Möge dem deutschen Vaterlande ein solcher Bund seiner gebildeten Jugend gedeihen!" Und ähnlich forderte der schöne Eintrag eines Gießener Studenten ins Stammbuch der Wartburg: „Aus diesen feurig begeisterten Versammlungen sollen die Bürger erwachsen, auf die unser armes Vaterland mit Vertrauen schaut," im Kampf für Recht und Wahrheit und Glauben und für des deutschen Vaterlandes Einheit und Freiheit. — „Der 18. Oktober brach an", so erzählt der anschauliche Bericht Professor Kiefers. „Ein heiterer Herbstmorgen hatte die Nebel der Berge in silbernem Reife niedergeschlagen, und von den Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchtet, glänzte die alte Wartburg in seltener Klarheit aus dem Dufte der Berge empor¬ steigend und als die heilige Stätte dieses Tages von jedem mit stillem Ernste begrüßt." Um 8 Uhr ordnete sich der Zug der Burschen auf dem Markte. Paarweise ging es den Steinweg hinauf zur Burg, dessen Räume der Schlo߬ herr, der geliebte Großherzog, bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte. Im Rittersaal, dessen damals noch düstere Mauern von den Eisenacher Bürgern mit Laubgewinden festlich geziert waren, erwarteten die Jenaer Professoren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/84>, abgerufen am 01.09.2024.