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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Vor hundert Jahren
Zum Paul lventzcke von

r^M)!or vier Jahren erst erreichten die Hundertjahrfeiern unserer Be¬
freiungskriege ihren Höhepunkt. Eine kurze Spanne Zeit nur,
doch welch weltgeschichtlicher Umschwung! -- Der 18. Oktober 1913
s sah noch die Vertreter der Verbündeten von 1813 auf den Fluren
von Leipzig, einig geschart um die Fürsten und Völker des neuen
Deutschen Reiches, während von innen heraus der englisch-deutsche Gegensatz
die Mächte der alten Welt bereits zu neuer Gruppierung drängte. Die hundert-
jährige Wiederkehr der Tage von Ligny und Belle-Alliance wurde in blutigem
Tanze durch den ersten Gegenstoß der Engländer gegen unsere neue Front in
Flandern gefeiert. Am 16. und 18. Juni 1915 tobte erbittertster Kampf um
die Trümmer von Hooge, um die überragende Artilleriebeobachtung im Dvern-
bogen. Gleichzeitig trat im Osten die erste Kampfpause nach dem Vorstoß von
Gorlice ein. Über all diesem ungeheuren Ringen fand das deutsche Volk keine
Zeit zu Erinnerungsfesten. Es vergaß und durfte vergessen, daß gerade hundert
Jahre seit seinem Eintritt in das Zeitalter bewußt nationalen Strebens ver¬
gangen waren, in ein Zeitalter, dessen erster Höhepunkt das Wartburgfest von:
18. Oktober 1817 bedeutet.--

Die Keime dieser Entwicklung entfalteten sich bereits in herrlichster Weise
im Jahrzehnt, das den Schicksalsschlägen von Jena und Auerstädt folgte. Unter
dem Drucke der Fremdherrschaft wandelte sich damals vor allem in Preußen
das Weltbürgertum des achtzehnten Jahrhunderts zum vollen Bewußtsein einer
nationalen Staatsgesinnung. Aber die Gefahr lag nahe, daß die schwere wirt¬
schaftliche und soziale Not der Friedensjahre, die gleichmäßig auf allen Ständen
lastete, die schönsten Blüten dieser neuen, auf innere und äußere Freiheit der
Persönlichkeit und der Gesamtheit gerichteten Anschauungen zu Boden drücke
und verderbe. Da war es die Jugend, die akademische Jugend vor allem, die
sich zum Träger der Ideale aufschwang, die der heilige Krieg in ihr wach¬
gerufen und gefestigt hatte.

Wohl warben seit 1806 schon die Propheten des neuen Deutschland
gerade um die Herzen der deutschen Studenten. Neben Fichte sprachen
Schleiermacher in Berlin. Steffens in Halle und Breslau, Luden in Jena,
Welcker in Gießen in eindringlichen Worten von Vaterland und Freiheit.




Vor hundert Jahren
Zum Paul lventzcke von

r^M)!or vier Jahren erst erreichten die Hundertjahrfeiern unserer Be¬
freiungskriege ihren Höhepunkt. Eine kurze Spanne Zeit nur,
doch welch weltgeschichtlicher Umschwung! — Der 18. Oktober 1913
s sah noch die Vertreter der Verbündeten von 1813 auf den Fluren
von Leipzig, einig geschart um die Fürsten und Völker des neuen
Deutschen Reiches, während von innen heraus der englisch-deutsche Gegensatz
die Mächte der alten Welt bereits zu neuer Gruppierung drängte. Die hundert-
jährige Wiederkehr der Tage von Ligny und Belle-Alliance wurde in blutigem
Tanze durch den ersten Gegenstoß der Engländer gegen unsere neue Front in
Flandern gefeiert. Am 16. und 18. Juni 1915 tobte erbittertster Kampf um
die Trümmer von Hooge, um die überragende Artilleriebeobachtung im Dvern-
bogen. Gleichzeitig trat im Osten die erste Kampfpause nach dem Vorstoß von
Gorlice ein. Über all diesem ungeheuren Ringen fand das deutsche Volk keine
Zeit zu Erinnerungsfesten. Es vergaß und durfte vergessen, daß gerade hundert
Jahre seit seinem Eintritt in das Zeitalter bewußt nationalen Strebens ver¬
gangen waren, in ein Zeitalter, dessen erster Höhepunkt das Wartburgfest von:
18. Oktober 1817 bedeutet.—

Die Keime dieser Entwicklung entfalteten sich bereits in herrlichster Weise
im Jahrzehnt, das den Schicksalsschlägen von Jena und Auerstädt folgte. Unter
dem Drucke der Fremdherrschaft wandelte sich damals vor allem in Preußen
das Weltbürgertum des achtzehnten Jahrhunderts zum vollen Bewußtsein einer
nationalen Staatsgesinnung. Aber die Gefahr lag nahe, daß die schwere wirt¬
schaftliche und soziale Not der Friedensjahre, die gleichmäßig auf allen Ständen
lastete, die schönsten Blüten dieser neuen, auf innere und äußere Freiheit der
Persönlichkeit und der Gesamtheit gerichteten Anschauungen zu Boden drücke
und verderbe. Da war es die Jugend, die akademische Jugend vor allem, die
sich zum Träger der Ideale aufschwang, die der heilige Krieg in ihr wach¬
gerufen und gefestigt hatte.

Wohl warben seit 1806 schon die Propheten des neuen Deutschland
gerade um die Herzen der deutschen Studenten. Neben Fichte sprachen
Schleiermacher in Berlin. Steffens in Halle und Breslau, Luden in Jena,
Welcker in Gießen in eindringlichen Worten von Vaterland und Freiheit.


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[0082] [Abbildung] Vor hundert Jahren Zum Paul lventzcke von r^M)!or vier Jahren erst erreichten die Hundertjahrfeiern unserer Be¬ freiungskriege ihren Höhepunkt. Eine kurze Spanne Zeit nur, doch welch weltgeschichtlicher Umschwung! — Der 18. Oktober 1913 s sah noch die Vertreter der Verbündeten von 1813 auf den Fluren von Leipzig, einig geschart um die Fürsten und Völker des neuen Deutschen Reiches, während von innen heraus der englisch-deutsche Gegensatz die Mächte der alten Welt bereits zu neuer Gruppierung drängte. Die hundert- jährige Wiederkehr der Tage von Ligny und Belle-Alliance wurde in blutigem Tanze durch den ersten Gegenstoß der Engländer gegen unsere neue Front in Flandern gefeiert. Am 16. und 18. Juni 1915 tobte erbittertster Kampf um die Trümmer von Hooge, um die überragende Artilleriebeobachtung im Dvern- bogen. Gleichzeitig trat im Osten die erste Kampfpause nach dem Vorstoß von Gorlice ein. Über all diesem ungeheuren Ringen fand das deutsche Volk keine Zeit zu Erinnerungsfesten. Es vergaß und durfte vergessen, daß gerade hundert Jahre seit seinem Eintritt in das Zeitalter bewußt nationalen Strebens ver¬ gangen waren, in ein Zeitalter, dessen erster Höhepunkt das Wartburgfest von: 18. Oktober 1817 bedeutet.— Die Keime dieser Entwicklung entfalteten sich bereits in herrlichster Weise im Jahrzehnt, das den Schicksalsschlägen von Jena und Auerstädt folgte. Unter dem Drucke der Fremdherrschaft wandelte sich damals vor allem in Preußen das Weltbürgertum des achtzehnten Jahrhunderts zum vollen Bewußtsein einer nationalen Staatsgesinnung. Aber die Gefahr lag nahe, daß die schwere wirt¬ schaftliche und soziale Not der Friedensjahre, die gleichmäßig auf allen Ständen lastete, die schönsten Blüten dieser neuen, auf innere und äußere Freiheit der Persönlichkeit und der Gesamtheit gerichteten Anschauungen zu Boden drücke und verderbe. Da war es die Jugend, die akademische Jugend vor allem, die sich zum Träger der Ideale aufschwang, die der heilige Krieg in ihr wach¬ gerufen und gefestigt hatte. Wohl warben seit 1806 schon die Propheten des neuen Deutschland gerade um die Herzen der deutschen Studenten. Neben Fichte sprachen Schleiermacher in Berlin. Steffens in Halle und Breslau, Luden in Jena, Welcker in Gießen in eindringlichen Worten von Vaterland und Freiheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/82>, abgerufen am 27.07.2024.