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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Belgien

Kontrolle, d.h. Knebelung Belgiens, vor allem Antwerpens, Londons natür¬
lichem und bei voller Bewegungsfreiheit mindestens ebenbürtigem Konkurrenten.
Es übersieht oder will nicht sehen, daß seine Weltstellung in Handel und
Schiffahrt nicht sowohl aus der Niederhaltung Antwerpens und der Rhein¬
mündungen erwachsen ist, mag diese auch beigetragen haben, als aus den Ver¬
hältnissen der Segelschiffahrt, aus der Zersplitterung Europas vor 1870 mit
ihrer "schönen Mannigfaltigkeit" an Staaten und Grenzen, an Münzen, Maßen
und Gewichten, Zollsystemen und Handelsrechten wie -gebrauchen, an natür¬
lichen und künstlichen Verkehrshindernissen aller Art, verschärft durch den Mangel
an Industrien und Handelsflotten, an Eisenbahnen und Wasserstraßen, wodurch
ein kontinentaler Großmarkt und Großhandel nicht auszukommen vermochte.
Das lieferte das Weltmeer und die außereuropäische Welt an denjenigen Staat,
der unter den gegenteiligen Verhältnissen lebte und dessen gesammelte National¬
kraft von günstiger Stelle aus eingesetzt werden konnte, eben an England, fast
mühelos aus. Die monopolartige Stellung dieses Landes mit dem Mittel¬
punkt in London war zunächst für den Kontinent beinahe ein Glück, weil sie
ihm immerhin die Befriedigung seiner überseeischen und industriellen Bezugs¬
und Verkehrsbedürfnisse gewährte und ihn lehrte, was die nationale Sammlung
und Einheit allein an Realitäten bedeuten. Aus der Wohltat ist in¬
zwischen etwas Unnützes, ja Schädliches und Lästiges geworden, seit sich ein
völlige Umwälzung aller Verhältnisse auf dem Kontinent vollzog, die zu dessen
Festigung und Vereinheitlichung und zu einer allgemeinen Sammlung und Ent¬
wicklung der nationalen Kräfte führte. Jeder Staat sucht, gestützt auf aus¬
reichende Hilfsmittel, seine industriellen und kommerziellen Bedürfnisse selbst zu
befriedigen und Fremde möglichst fern zu halten. Diese Entwicklung, wie sie
auch England einst durchgemacht, als es die Hansa und Holland abschüttelte,
hat Englands Welthandel und -Schiffahrt in die Verteidigung gedrängt, nicht
Deutschlands "Niederträchtigkeit" und "unehrliche Methoden". Eben weil es sich
dabei um eine auf Elementarkräften beruhende Entwicklung handelt, darum-ist
Englands Kampf in diesem Kriege vergeblich und wäre es selbst dann, wenn
es militärisch siegreich wäre. Aufgabe der britischen Politik ist es, dies zu
erkennen, sich entschlossen aus den Boden unabänderlicher Tatsachen zu stellen
und zu retten, was zu retten ist, anstatt die Jagd nach dem Glück fortzusetzen
und halten zu wollen, was nicht zu halten ist. Englands Monopolstellung ist
veraltet und ein für allemal verloren; aber wenn es sich entschlossen und kraft¬
voll in Reih und Glied der Weltentwicklung neben, nicht über die anderen
Staaten stellt, wenn es seinen anmaßenden Monopolanspruch aufgibt, und
zu dem allgemeinen Konkurrenzsystem, dem System des freien Spiels der wirt¬
schaftlichen Kräfte unter den Staaten, ehrlich übergeht, dann kann ihm seine
tatsächliche wirtschaftliche Stärke, beruhend auf seiner geographischen Lage,
seiner Weltverbindungen, seiner kolonialen Hilfsquellen, seiner überragenden
Handels-, Schiffahrts- und Finanzmacht, eine hohe Blüte noch auf lange hinaus


Belgien

Kontrolle, d.h. Knebelung Belgiens, vor allem Antwerpens, Londons natür¬
lichem und bei voller Bewegungsfreiheit mindestens ebenbürtigem Konkurrenten.
Es übersieht oder will nicht sehen, daß seine Weltstellung in Handel und
Schiffahrt nicht sowohl aus der Niederhaltung Antwerpens und der Rhein¬
mündungen erwachsen ist, mag diese auch beigetragen haben, als aus den Ver¬
hältnissen der Segelschiffahrt, aus der Zersplitterung Europas vor 1870 mit
ihrer „schönen Mannigfaltigkeit" an Staaten und Grenzen, an Münzen, Maßen
und Gewichten, Zollsystemen und Handelsrechten wie -gebrauchen, an natür¬
lichen und künstlichen Verkehrshindernissen aller Art, verschärft durch den Mangel
an Industrien und Handelsflotten, an Eisenbahnen und Wasserstraßen, wodurch
ein kontinentaler Großmarkt und Großhandel nicht auszukommen vermochte.
Das lieferte das Weltmeer und die außereuropäische Welt an denjenigen Staat,
der unter den gegenteiligen Verhältnissen lebte und dessen gesammelte National¬
kraft von günstiger Stelle aus eingesetzt werden konnte, eben an England, fast
mühelos aus. Die monopolartige Stellung dieses Landes mit dem Mittel¬
punkt in London war zunächst für den Kontinent beinahe ein Glück, weil sie
ihm immerhin die Befriedigung seiner überseeischen und industriellen Bezugs¬
und Verkehrsbedürfnisse gewährte und ihn lehrte, was die nationale Sammlung
und Einheit allein an Realitäten bedeuten. Aus der Wohltat ist in¬
zwischen etwas Unnützes, ja Schädliches und Lästiges geworden, seit sich ein
völlige Umwälzung aller Verhältnisse auf dem Kontinent vollzog, die zu dessen
Festigung und Vereinheitlichung und zu einer allgemeinen Sammlung und Ent¬
wicklung der nationalen Kräfte führte. Jeder Staat sucht, gestützt auf aus¬
reichende Hilfsmittel, seine industriellen und kommerziellen Bedürfnisse selbst zu
befriedigen und Fremde möglichst fern zu halten. Diese Entwicklung, wie sie
auch England einst durchgemacht, als es die Hansa und Holland abschüttelte,
hat Englands Welthandel und -Schiffahrt in die Verteidigung gedrängt, nicht
Deutschlands „Niederträchtigkeit" und „unehrliche Methoden". Eben weil es sich
dabei um eine auf Elementarkräften beruhende Entwicklung handelt, darum-ist
Englands Kampf in diesem Kriege vergeblich und wäre es selbst dann, wenn
es militärisch siegreich wäre. Aufgabe der britischen Politik ist es, dies zu
erkennen, sich entschlossen aus den Boden unabänderlicher Tatsachen zu stellen
und zu retten, was zu retten ist, anstatt die Jagd nach dem Glück fortzusetzen
und halten zu wollen, was nicht zu halten ist. Englands Monopolstellung ist
veraltet und ein für allemal verloren; aber wenn es sich entschlossen und kraft¬
voll in Reih und Glied der Weltentwicklung neben, nicht über die anderen
Staaten stellt, wenn es seinen anmaßenden Monopolanspruch aufgibt, und
zu dem allgemeinen Konkurrenzsystem, dem System des freien Spiels der wirt¬
schaftlichen Kräfte unter den Staaten, ehrlich übergeht, dann kann ihm seine
tatsächliche wirtschaftliche Stärke, beruhend auf seiner geographischen Lage,
seiner Weltverbindungen, seiner kolonialen Hilfsquellen, seiner überragenden
Handels-, Schiffahrts- und Finanzmacht, eine hohe Blüte noch auf lange hinaus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/80>, abgerufen am 01.09.2024.