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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Belgien

Stützpunkte der Wasserherrschaft sind. Neptun, nicht Jupiter ist sein Sinnbild.
Nur von dieser Auffassung aus gewinnt man den richtigen Standpunkt zur
britischen Weltpolitik seit Elisabeth. Von ihm aus betrachtet England auch die
belgische Frage, Deutschland eben deshalb sie mit gleich vitalen Interesse vom
entgegengesetzten, demselben, den das durch Deutschlands Ohnmacht zeitweilig
zur Vormacht gewordene Frankreich bis Waterloo verfolgt und nie ganz auf¬
gegeben hat. Das Wort Napoleons des Ersten, Antwerpen sei die aus Eng¬
lands Brust gerichtete Pistole, ist in dem Inselreich, ein allgemeiner Glaubens¬
satz und Deutschlands U-Bootkrieg von der flandrischen Basis hat gewiß nicht
dazu beigetragen, ihn zu erschüttern. Belgien ist in den Augen Großbritanniens,
was Elsaß-Lothringen für Deutschland: der Schlüssel zum eigenen Hause, den
man nicht einfach in fremde Hände geben kann. Dasselbe ist es aber auch
für Deutschland und Frankreich, und da eben liegt die Schwierigkeit der Sache.
Es ist für alle drei Großstaaten mehr als eine Macht- oder gar Prestigefrage,
es ist eine Lebensfrage. Diesem Umstände verdankt ja der neugebackene
Kleinstaat dort oben überhaupt nur sein selbständiges Dasein.

Militärische und handelspolitische Interessen ernsthaftester Art knüpfen also
die drei Großmächte gleicherweise an Belgien und nur eine Lösung, die alle
drei gegeneinander sicherstellt, kann wirklichen Frieden bringen. Es gibt dafür
nur einen Ausweg: die Herstellung eines sicheren Zustandes, der allen drei
Mächten entweder die gleiche Machtkontrolle Belgiens gestattet oder überhaupt
keine. Jede andere Lösung bürgt den Keim neuer Konflikte in sich aus Eifer¬
sucht und Furcht.

Eine Gesamtkontrolle der drei Großmächte, etwa durch eine Kommission
oder durch Vollinachtsauftrag an eine neutrale Mittelmacht, ist, wie gerade die
Erfahrungen der letzten Geschichtsperiode erwiesen haben, eine Spottgeburt von
Dreck und Feuer, kein Löschmittel, sondern ein Feuerbrand. Somit bleibt nur
der Verzicht auf jede unmittelbare Machtkontrolle und ihre Ersetzung durch ein
internationales Gesetz, ein organisches Statut, welches die volle Neutralität
Belgiens nach außen und innen verbürgt, sie allen Interessenten in gleicher
Weise nutzbar macht und ihr alle Giftzühne, durch die sie einseitig gefährlich
werden könnte, ein für allemal ausreißt. Dadurch daß Deutschland, Frank¬
reich, England ausdrücklich zu Garantiemächten erklärt werden, würde die
korrekte Durchführung mit der Hilfe ihrer diplomatischen Vertretungen in Brüssel
auch ohne internationales Sonderorgan ausreichend gesichert. Eine verfassungs¬
rechtliche Bestimmung, die Geheimabkommen verbietet und alle internationalen
Vereinbarungen von der Genehmigung des belgischen Parlamentes in öffent¬
licher Verhandlung abhängig macht, würde neutralitätswidrige "Verständigungen"
bis dicht zur Unmöglichkeit erschweren.

Erste Neutralitätsbedingung wäre: die Entwaffnung und Entfestigung
Belgiens. Die prompte Überrennung zu Beginn des Weltkrieges hat gezeigt,
daß solcher Kleinstaat trotz aller Festungen, Kanonen. Soldaten, aus eigener


Belgien

Stützpunkte der Wasserherrschaft sind. Neptun, nicht Jupiter ist sein Sinnbild.
Nur von dieser Auffassung aus gewinnt man den richtigen Standpunkt zur
britischen Weltpolitik seit Elisabeth. Von ihm aus betrachtet England auch die
belgische Frage, Deutschland eben deshalb sie mit gleich vitalen Interesse vom
entgegengesetzten, demselben, den das durch Deutschlands Ohnmacht zeitweilig
zur Vormacht gewordene Frankreich bis Waterloo verfolgt und nie ganz auf¬
gegeben hat. Das Wort Napoleons des Ersten, Antwerpen sei die aus Eng¬
lands Brust gerichtete Pistole, ist in dem Inselreich, ein allgemeiner Glaubens¬
satz und Deutschlands U-Bootkrieg von der flandrischen Basis hat gewiß nicht
dazu beigetragen, ihn zu erschüttern. Belgien ist in den Augen Großbritanniens,
was Elsaß-Lothringen für Deutschland: der Schlüssel zum eigenen Hause, den
man nicht einfach in fremde Hände geben kann. Dasselbe ist es aber auch
für Deutschland und Frankreich, und da eben liegt die Schwierigkeit der Sache.
Es ist für alle drei Großstaaten mehr als eine Macht- oder gar Prestigefrage,
es ist eine Lebensfrage. Diesem Umstände verdankt ja der neugebackene
Kleinstaat dort oben überhaupt nur sein selbständiges Dasein.

Militärische und handelspolitische Interessen ernsthaftester Art knüpfen also
die drei Großmächte gleicherweise an Belgien und nur eine Lösung, die alle
drei gegeneinander sicherstellt, kann wirklichen Frieden bringen. Es gibt dafür
nur einen Ausweg: die Herstellung eines sicheren Zustandes, der allen drei
Mächten entweder die gleiche Machtkontrolle Belgiens gestattet oder überhaupt
keine. Jede andere Lösung bürgt den Keim neuer Konflikte in sich aus Eifer¬
sucht und Furcht.

Eine Gesamtkontrolle der drei Großmächte, etwa durch eine Kommission
oder durch Vollinachtsauftrag an eine neutrale Mittelmacht, ist, wie gerade die
Erfahrungen der letzten Geschichtsperiode erwiesen haben, eine Spottgeburt von
Dreck und Feuer, kein Löschmittel, sondern ein Feuerbrand. Somit bleibt nur
der Verzicht auf jede unmittelbare Machtkontrolle und ihre Ersetzung durch ein
internationales Gesetz, ein organisches Statut, welches die volle Neutralität
Belgiens nach außen und innen verbürgt, sie allen Interessenten in gleicher
Weise nutzbar macht und ihr alle Giftzühne, durch die sie einseitig gefährlich
werden könnte, ein für allemal ausreißt. Dadurch daß Deutschland, Frank¬
reich, England ausdrücklich zu Garantiemächten erklärt werden, würde die
korrekte Durchführung mit der Hilfe ihrer diplomatischen Vertretungen in Brüssel
auch ohne internationales Sonderorgan ausreichend gesichert. Eine verfassungs¬
rechtliche Bestimmung, die Geheimabkommen verbietet und alle internationalen
Vereinbarungen von der Genehmigung des belgischen Parlamentes in öffent¬
licher Verhandlung abhängig macht, würde neutralitätswidrige „Verständigungen"
bis dicht zur Unmöglichkeit erschweren.

Erste Neutralitätsbedingung wäre: die Entwaffnung und Entfestigung
Belgiens. Die prompte Überrennung zu Beginn des Weltkrieges hat gezeigt,
daß solcher Kleinstaat trotz aller Festungen, Kanonen. Soldaten, aus eigener


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[0078] Belgien Stützpunkte der Wasserherrschaft sind. Neptun, nicht Jupiter ist sein Sinnbild. Nur von dieser Auffassung aus gewinnt man den richtigen Standpunkt zur britischen Weltpolitik seit Elisabeth. Von ihm aus betrachtet England auch die belgische Frage, Deutschland eben deshalb sie mit gleich vitalen Interesse vom entgegengesetzten, demselben, den das durch Deutschlands Ohnmacht zeitweilig zur Vormacht gewordene Frankreich bis Waterloo verfolgt und nie ganz auf¬ gegeben hat. Das Wort Napoleons des Ersten, Antwerpen sei die aus Eng¬ lands Brust gerichtete Pistole, ist in dem Inselreich, ein allgemeiner Glaubens¬ satz und Deutschlands U-Bootkrieg von der flandrischen Basis hat gewiß nicht dazu beigetragen, ihn zu erschüttern. Belgien ist in den Augen Großbritanniens, was Elsaß-Lothringen für Deutschland: der Schlüssel zum eigenen Hause, den man nicht einfach in fremde Hände geben kann. Dasselbe ist es aber auch für Deutschland und Frankreich, und da eben liegt die Schwierigkeit der Sache. Es ist für alle drei Großstaaten mehr als eine Macht- oder gar Prestigefrage, es ist eine Lebensfrage. Diesem Umstände verdankt ja der neugebackene Kleinstaat dort oben überhaupt nur sein selbständiges Dasein. Militärische und handelspolitische Interessen ernsthaftester Art knüpfen also die drei Großmächte gleicherweise an Belgien und nur eine Lösung, die alle drei gegeneinander sicherstellt, kann wirklichen Frieden bringen. Es gibt dafür nur einen Ausweg: die Herstellung eines sicheren Zustandes, der allen drei Mächten entweder die gleiche Machtkontrolle Belgiens gestattet oder überhaupt keine. Jede andere Lösung bürgt den Keim neuer Konflikte in sich aus Eifer¬ sucht und Furcht. Eine Gesamtkontrolle der drei Großmächte, etwa durch eine Kommission oder durch Vollinachtsauftrag an eine neutrale Mittelmacht, ist, wie gerade die Erfahrungen der letzten Geschichtsperiode erwiesen haben, eine Spottgeburt von Dreck und Feuer, kein Löschmittel, sondern ein Feuerbrand. Somit bleibt nur der Verzicht auf jede unmittelbare Machtkontrolle und ihre Ersetzung durch ein internationales Gesetz, ein organisches Statut, welches die volle Neutralität Belgiens nach außen und innen verbürgt, sie allen Interessenten in gleicher Weise nutzbar macht und ihr alle Giftzühne, durch die sie einseitig gefährlich werden könnte, ein für allemal ausreißt. Dadurch daß Deutschland, Frank¬ reich, England ausdrücklich zu Garantiemächten erklärt werden, würde die korrekte Durchführung mit der Hilfe ihrer diplomatischen Vertretungen in Brüssel auch ohne internationales Sonderorgan ausreichend gesichert. Eine verfassungs¬ rechtliche Bestimmung, die Geheimabkommen verbietet und alle internationalen Vereinbarungen von der Genehmigung des belgischen Parlamentes in öffent¬ licher Verhandlung abhängig macht, würde neutralitätswidrige „Verständigungen" bis dicht zur Unmöglichkeit erschweren. Erste Neutralitätsbedingung wäre: die Entwaffnung und Entfestigung Belgiens. Die prompte Überrennung zu Beginn des Weltkrieges hat gezeigt, daß solcher Kleinstaat trotz aller Festungen, Kanonen. Soldaten, aus eigener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/78>, abgerufen am 01.09.2024.