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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

Reichsland hinein. In diese überreife, erstarrende, kanonisch und klassisch
werdende Kulturkonvention der breit im Sattel sitzenden Großbourgeoisie platzte
das neue Deutschtum in der Blüte seiner kulturellen Pubertät herein. Gewiß,
diese einwandernden neudeutschen Kulturträger fanden eine Kultur der Parvenus,
einer vor knapp drei Generationen ans Ruder gekommenen Gesellschaftsschicht
vor. Aber eben weil diese Kultur als Erbe übernommen war, eben weil in
ihren Räumen noch das Gespenst von Louis-Quatorze so unheimlich umging,
als lächelte es über diese sich als Aristokraten aufspielenden querköpfigen Klein¬
bürger der elsässischen Oberschicht, eben weil damals schon die Reaktion inner¬
halb dieser westlichen Zivilisation eingesetzt hatte, die in diesen Weltkrieg aus-
laufen sollte: aus all diesen Gründen mußte sich die Trägerin dieses späten
Kulturerbes um so starrer gegen die von jenseits des Rheines eindringenden
bedenklich neuartige" Tendenzen verkapseln. Und dies innerlich unsichere,
dekadente Selbsterhaltungsstreben mußte nach außen als hochmütige Ablehnung
des Neuen zutage treten. Diese überhebliche Abweisung aber der willig und
oft naiv-begeistert hingestreckten Bruderhand mußte auch auf deutscher Seite zu
Trotz und Verstockung führen. Dies ist der unerfreuliche Zirkel, in dem sich
das Verhältnis der Einheimischen und Zuwandernden bewegte. Und einmal in
seinen Antrieben durchschaut, erklärt uns dieser Zirkel auch die sonst schwer
begreifliche Tatsache, daß diese Beziehungen sich bis hart an den Rand des
Krieges nicht gebessert, sondern vielfach verschlimmert haben. Die Wirkungen
des Krieges bleiben abzuwarten. Zu große Hoffnungen dürfen keinesfalls auf
sie gesetzt werden.

Denn rund heraus gesagt: der altdeutsche Einwanderer hatte bis zum
heutigen Tage nichts, das genügend in sich ruhenden Wert und zugleich werbende
Kraft bekundet hätte, um dieser im elsässischen Bürgertum herrschenden west¬
lichen Zivilisation mit Erfolg entgegentreten zu können. Wenn wir es vor dem
Krieg nicht wußten, so haben wir es ja jetzt an allen Orten, in Italien,
Rumänien, Polen, Dänemark, Skandinavien und ganz ebenso in Elsaß-Lothringen
erfahren: unsere nach den Polen unzugänglicher Innerlichkeit und technischer
Veräußerlichung auseinanderstrebende neudeutsche Kultur hat nicht die Anmut
und zugleich die leichte Übertragbarkeit jener Weltzivilisation, die ihr mühelos
allenthalben den Rang abläuft und die die ganze Welt in einem unüberwind¬
lichen stimmungsmäßigen Vorurteil gegen uns vereint. Diesen kompakten Anti¬
pathien gegenüber hilft es bekanntlich gar nichts, daß wir entrüstet die Über¬
legenheit unserer Transzendentalkultur von Bach bis Hegel oder unserer technischen
Zivilisation von Mayer und Helmholtz bis Krupp und Zeppelin beteuern.
Unsere Argumentationen mögen Köpfe überzeugen. Herzen umstimmen können
sie nicht. Auf den Einklang der Herzen aber kommt es an, wenn natione"
und Stämme den Weg zueinander finden sollen. Den einwandernden Alt¬
deutschen gelang es trotz aller ehrlichen Begeisterung nicht, diesen rasch erhoffte"
Bund der Herzen zu stiften.


Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

Reichsland hinein. In diese überreife, erstarrende, kanonisch und klassisch
werdende Kulturkonvention der breit im Sattel sitzenden Großbourgeoisie platzte
das neue Deutschtum in der Blüte seiner kulturellen Pubertät herein. Gewiß,
diese einwandernden neudeutschen Kulturträger fanden eine Kultur der Parvenus,
einer vor knapp drei Generationen ans Ruder gekommenen Gesellschaftsschicht
vor. Aber eben weil diese Kultur als Erbe übernommen war, eben weil in
ihren Räumen noch das Gespenst von Louis-Quatorze so unheimlich umging,
als lächelte es über diese sich als Aristokraten aufspielenden querköpfigen Klein¬
bürger der elsässischen Oberschicht, eben weil damals schon die Reaktion inner¬
halb dieser westlichen Zivilisation eingesetzt hatte, die in diesen Weltkrieg aus-
laufen sollte: aus all diesen Gründen mußte sich die Trägerin dieses späten
Kulturerbes um so starrer gegen die von jenseits des Rheines eindringenden
bedenklich neuartige» Tendenzen verkapseln. Und dies innerlich unsichere,
dekadente Selbsterhaltungsstreben mußte nach außen als hochmütige Ablehnung
des Neuen zutage treten. Diese überhebliche Abweisung aber der willig und
oft naiv-begeistert hingestreckten Bruderhand mußte auch auf deutscher Seite zu
Trotz und Verstockung führen. Dies ist der unerfreuliche Zirkel, in dem sich
das Verhältnis der Einheimischen und Zuwandernden bewegte. Und einmal in
seinen Antrieben durchschaut, erklärt uns dieser Zirkel auch die sonst schwer
begreifliche Tatsache, daß diese Beziehungen sich bis hart an den Rand des
Krieges nicht gebessert, sondern vielfach verschlimmert haben. Die Wirkungen
des Krieges bleiben abzuwarten. Zu große Hoffnungen dürfen keinesfalls auf
sie gesetzt werden.

Denn rund heraus gesagt: der altdeutsche Einwanderer hatte bis zum
heutigen Tage nichts, das genügend in sich ruhenden Wert und zugleich werbende
Kraft bekundet hätte, um dieser im elsässischen Bürgertum herrschenden west¬
lichen Zivilisation mit Erfolg entgegentreten zu können. Wenn wir es vor dem
Krieg nicht wußten, so haben wir es ja jetzt an allen Orten, in Italien,
Rumänien, Polen, Dänemark, Skandinavien und ganz ebenso in Elsaß-Lothringen
erfahren: unsere nach den Polen unzugänglicher Innerlichkeit und technischer
Veräußerlichung auseinanderstrebende neudeutsche Kultur hat nicht die Anmut
und zugleich die leichte Übertragbarkeit jener Weltzivilisation, die ihr mühelos
allenthalben den Rang abläuft und die die ganze Welt in einem unüberwind¬
lichen stimmungsmäßigen Vorurteil gegen uns vereint. Diesen kompakten Anti¬
pathien gegenüber hilft es bekanntlich gar nichts, daß wir entrüstet die Über¬
legenheit unserer Transzendentalkultur von Bach bis Hegel oder unserer technischen
Zivilisation von Mayer und Helmholtz bis Krupp und Zeppelin beteuern.
Unsere Argumentationen mögen Köpfe überzeugen. Herzen umstimmen können
sie nicht. Auf den Einklang der Herzen aber kommt es an, wenn natione«
und Stämme den Weg zueinander finden sollen. Den einwandernden Alt¬
deutschen gelang es trotz aller ehrlichen Begeisterung nicht, diesen rasch erhoffte«
Bund der Herzen zu stiften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/56>, abgerufen am 01.09.2024.