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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

Ehren gebracht hatten, war das militärische Zusammengehörigkeitsgefühl mit
der großen Armee geboren worden. Die stolzen Erinnerungen daran sind noch
heute in den altelsüssischen Familien lebendig, der "Napi" ist mehr noch als
im ganzen deutschen Westen im Elsaß eine populäre Figur. In den beiden
folgenden Revolutionen war das elsässtsche Bürgertum: untätig gewesen, wie
in ganz Frankreich so hatte auch im Elsaß die Bourgeoisie sich damals zur
sozialen Vorherrschaft aufgeschwungen. Gewiß waren alte reichsstädtische Über¬
lieferungen, wie sie Goethe in Alt-Straßburg noch "voll lebendig" gefunden
hatte, vielfach mit in die neuen Konventionen hinübergenommen worden. Aber
der Zusammenhang war vergessen. Weniger durch büreaukratische Staatlichkeit
wie in Preußen, sondern mehr durch militärische Gemeinschaftserinnerungen und
durch sozial-kulturelle Solidarität war die bourgeoise Oberschicht des Landes
nunmehr dem Franzosentum gewonnen. Und in diese jungen Konventionen,
in diesen Konservativismus von vorgestern mußte ein jeder hineinwachsen, der
aus der sprachlich und kulturell noch immer wesentlich deutschen Unterschicht in
die maßgebenden Kreise des Großbürgertums aufsteigen wollte. Der soziale
Ehrgeiz wurde geschickt vor die französische Kulturpropaganda gespannt. Denn
das Schibboleth der neugewonnenen Klassenzugehörigkeit war die Beherrschung
der französischen Sprache. Sie brauchte nicht sehr tief zu gehen und ihr
Wortschatz nicht gar sehr weit zu reichen. Weltanschauliche Grübelei, mit denen
sich die teutonischen Hungerpastorsnaturen herumschlugen, beunruhigten den
satten Alltag dieses Großbürgertums sehr wenig. Man war kirchlich korrekt
und übrigens rationalistisch aufgeklärt. Und für die intimsten Dinge des Lebens
blieb im Grunde doch noch das altüberkommene und nie vergessene "Elsässer
Dieses" aufgespart. Das Hochdeutsche spielte lediglich als Standesdialekt, als
"Pastorendeutsch" eine Rolle. Sonst gewann man zu ihm kein Verhältnis.
Denn für die gleichgültigen Dinge des gewöhnlichen Lebens und erst recht für
das repräsentative Geplapper der Salons oder der noch immer nicht ausge¬
storbenen Osterspaziergänge vor die Tore der Stadt war eben von nun ab
das Französische unumgänglich. Es war und ist auch heute noch in weitem
Umfange romanische Schaustellung vor sich und vor andern, vollends bei den
unteren Klassen lächerliche Vornehmtuerei, aber auch bei den oberen keineswegs
notwendiger und echter Ausdruck der völkischen Sonderart. Es ist das lose
Band, das einer emporkömmlingshaften Oberschicht das Gefühl einer Berührung
mit einer mehr von fern beflaumten und respektierten als mitschöpferisch erlebten
Weltkultur vermitteln mußte. Aber eben weil diese Pflege des Französischen
immerhin der ferne Abglanz der unbestreitbaren kulturellen Weltgeltung von
Paris war, konnte sie mit rein machtpolitischen Verschiebungen wie der Annexion
des Landes durch die junge Militärmacht Preußen-Deutschland natürlich nicht
vyn heute auf morgen außer Kurs gesetzt werden.

Diese Erwägungen nun führen uns aus den mehr peripherischen wirtschaft¬
lichen Gegensätzen mitten in den Kern des Altdeutschen-Problems im bisherigen


Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

Ehren gebracht hatten, war das militärische Zusammengehörigkeitsgefühl mit
der großen Armee geboren worden. Die stolzen Erinnerungen daran sind noch
heute in den altelsüssischen Familien lebendig, der „Napi" ist mehr noch als
im ganzen deutschen Westen im Elsaß eine populäre Figur. In den beiden
folgenden Revolutionen war das elsässtsche Bürgertum: untätig gewesen, wie
in ganz Frankreich so hatte auch im Elsaß die Bourgeoisie sich damals zur
sozialen Vorherrschaft aufgeschwungen. Gewiß waren alte reichsstädtische Über¬
lieferungen, wie sie Goethe in Alt-Straßburg noch „voll lebendig" gefunden
hatte, vielfach mit in die neuen Konventionen hinübergenommen worden. Aber
der Zusammenhang war vergessen. Weniger durch büreaukratische Staatlichkeit
wie in Preußen, sondern mehr durch militärische Gemeinschaftserinnerungen und
durch sozial-kulturelle Solidarität war die bourgeoise Oberschicht des Landes
nunmehr dem Franzosentum gewonnen. Und in diese jungen Konventionen,
in diesen Konservativismus von vorgestern mußte ein jeder hineinwachsen, der
aus der sprachlich und kulturell noch immer wesentlich deutschen Unterschicht in
die maßgebenden Kreise des Großbürgertums aufsteigen wollte. Der soziale
Ehrgeiz wurde geschickt vor die französische Kulturpropaganda gespannt. Denn
das Schibboleth der neugewonnenen Klassenzugehörigkeit war die Beherrschung
der französischen Sprache. Sie brauchte nicht sehr tief zu gehen und ihr
Wortschatz nicht gar sehr weit zu reichen. Weltanschauliche Grübelei, mit denen
sich die teutonischen Hungerpastorsnaturen herumschlugen, beunruhigten den
satten Alltag dieses Großbürgertums sehr wenig. Man war kirchlich korrekt
und übrigens rationalistisch aufgeklärt. Und für die intimsten Dinge des Lebens
blieb im Grunde doch noch das altüberkommene und nie vergessene „Elsässer
Dieses" aufgespart. Das Hochdeutsche spielte lediglich als Standesdialekt, als
„Pastorendeutsch" eine Rolle. Sonst gewann man zu ihm kein Verhältnis.
Denn für die gleichgültigen Dinge des gewöhnlichen Lebens und erst recht für
das repräsentative Geplapper der Salons oder der noch immer nicht ausge¬
storbenen Osterspaziergänge vor die Tore der Stadt war eben von nun ab
das Französische unumgänglich. Es war und ist auch heute noch in weitem
Umfange romanische Schaustellung vor sich und vor andern, vollends bei den
unteren Klassen lächerliche Vornehmtuerei, aber auch bei den oberen keineswegs
notwendiger und echter Ausdruck der völkischen Sonderart. Es ist das lose
Band, das einer emporkömmlingshaften Oberschicht das Gefühl einer Berührung
mit einer mehr von fern beflaumten und respektierten als mitschöpferisch erlebten
Weltkultur vermitteln mußte. Aber eben weil diese Pflege des Französischen
immerhin der ferne Abglanz der unbestreitbaren kulturellen Weltgeltung von
Paris war, konnte sie mit rein machtpolitischen Verschiebungen wie der Annexion
des Landes durch die junge Militärmacht Preußen-Deutschland natürlich nicht
vyn heute auf morgen außer Kurs gesetzt werden.

Diese Erwägungen nun führen uns aus den mehr peripherischen wirtschaft¬
lichen Gegensätzen mitten in den Kern des Altdeutschen-Problems im bisherigen


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[0055] Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß Ehren gebracht hatten, war das militärische Zusammengehörigkeitsgefühl mit der großen Armee geboren worden. Die stolzen Erinnerungen daran sind noch heute in den altelsüssischen Familien lebendig, der „Napi" ist mehr noch als im ganzen deutschen Westen im Elsaß eine populäre Figur. In den beiden folgenden Revolutionen war das elsässtsche Bürgertum: untätig gewesen, wie in ganz Frankreich so hatte auch im Elsaß die Bourgeoisie sich damals zur sozialen Vorherrschaft aufgeschwungen. Gewiß waren alte reichsstädtische Über¬ lieferungen, wie sie Goethe in Alt-Straßburg noch „voll lebendig" gefunden hatte, vielfach mit in die neuen Konventionen hinübergenommen worden. Aber der Zusammenhang war vergessen. Weniger durch büreaukratische Staatlichkeit wie in Preußen, sondern mehr durch militärische Gemeinschaftserinnerungen und durch sozial-kulturelle Solidarität war die bourgeoise Oberschicht des Landes nunmehr dem Franzosentum gewonnen. Und in diese jungen Konventionen, in diesen Konservativismus von vorgestern mußte ein jeder hineinwachsen, der aus der sprachlich und kulturell noch immer wesentlich deutschen Unterschicht in die maßgebenden Kreise des Großbürgertums aufsteigen wollte. Der soziale Ehrgeiz wurde geschickt vor die französische Kulturpropaganda gespannt. Denn das Schibboleth der neugewonnenen Klassenzugehörigkeit war die Beherrschung der französischen Sprache. Sie brauchte nicht sehr tief zu gehen und ihr Wortschatz nicht gar sehr weit zu reichen. Weltanschauliche Grübelei, mit denen sich die teutonischen Hungerpastorsnaturen herumschlugen, beunruhigten den satten Alltag dieses Großbürgertums sehr wenig. Man war kirchlich korrekt und übrigens rationalistisch aufgeklärt. Und für die intimsten Dinge des Lebens blieb im Grunde doch noch das altüberkommene und nie vergessene „Elsässer Dieses" aufgespart. Das Hochdeutsche spielte lediglich als Standesdialekt, als „Pastorendeutsch" eine Rolle. Sonst gewann man zu ihm kein Verhältnis. Denn für die gleichgültigen Dinge des gewöhnlichen Lebens und erst recht für das repräsentative Geplapper der Salons oder der noch immer nicht ausge¬ storbenen Osterspaziergänge vor die Tore der Stadt war eben von nun ab das Französische unumgänglich. Es war und ist auch heute noch in weitem Umfange romanische Schaustellung vor sich und vor andern, vollends bei den unteren Klassen lächerliche Vornehmtuerei, aber auch bei den oberen keineswegs notwendiger und echter Ausdruck der völkischen Sonderart. Es ist das lose Band, das einer emporkömmlingshaften Oberschicht das Gefühl einer Berührung mit einer mehr von fern beflaumten und respektierten als mitschöpferisch erlebten Weltkultur vermitteln mußte. Aber eben weil diese Pflege des Französischen immerhin der ferne Abglanz der unbestreitbaren kulturellen Weltgeltung von Paris war, konnte sie mit rein machtpolitischen Verschiebungen wie der Annexion des Landes durch die junge Militärmacht Preußen-Deutschland natürlich nicht vyn heute auf morgen außer Kurs gesetzt werden. Diese Erwägungen nun führen uns aus den mehr peripherischen wirtschaft¬ lichen Gegensätzen mitten in den Kern des Altdeutschen-Problems im bisherigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/55>, abgerufen am 01.09.2024.