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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

darf, sondern in die man hineingeboren sein muß, saß ein bürgerstolzes,
betriebsames und doch das Leben behäbig genießendes Bourgeoisgeschlecht.
Söhne und Töchter wurden durch die Eltern in den bekannten Familien ver¬
heiratet, wobei ein Hauptaugenmerk darauf fiel, daß Geld zu Gelde kam.
Ungeheure Aussteuern gehörten zum guten Ton, Möbel in den erstarrten fran¬
zösischen Stilen, dazwischen freilich auch mal das Erbgut der elsässischen Bauern¬
stube, schmückten die hochfenstrigen hellen Räume, die Schränke füllte reiches
Geschirr, das sich vielfach auch durch Generationen vererbt hatte. Und in¬
mitten dieser späten und ziemlich unschöpferisch gewordenen Sachkultur führte
man ein geselliges breites trink- und eßfreudiges Dasein, das nichts von der
Arme-Leute-Kultur des "deutschen Idealismus" kannte. Und da kamen sie
nun in Scharen wie die Ameisen, diese hergelaufenen Oberbahnasststenten,
Amtsgerichtsräte und Gvmnastalprofessoren, errichteten sich vor den Toren der
Reichsstadt ein Häusermeer von unbehaglichen, schlecht gebauten, innen dunklen,
nach außen kitschig-prunkhaften Mietskasernen, wo sie nun -- mit den vielen
Kindern in enge Etagenwohnungen gepfercht, dabei alle drei Jahre umziehend --
ihr unstetes Pflichtdasein dahinlebten. Angewiesen waren sie auf das kärgliche
Gehalt, das der deutsche Staat ihnen hinwarf, und wenn sie hier und da ein
kleines Vermögen besaßen, dann merkte man nur zu oft, daß es mit einer
Heirat unter Stande erkauft war. In komischem Gegensatz zu ihrer ungesellig
engbrüstigen Lebensführung stand die oft so steife oder plumpe Würde, mit der
sie sich als Vertreter des Deutschen Reiches und als Träger der deutschen Kultur
gebärdeten: gesehen mit den Augen, gemessen an den schon ein wenig apoplek-
tischen Maßstäben einer sehr nüchternen, in ihrem Witze ironisch-skeptischen
Bourgeoisie nach westlichem Muster waren und blieben sie "ditschi Hungerlider".

Die elsässtsche Bourgeoisie ist seßhaft und bodenständig. Der Oberländer
mit seinem rauhen, halb alpinen Dialekt ist im leichtlebigeren Unterelsaß schon
beinahe in der Fremde, der Elsässer hat in Lothringen nichts zu suchen und
umgekehrt. Handel, Industrie, Land- und insbesondere Weinbau, der Advokaten-,
Notars- und Ärzteberuf: all diese bürgerlichen Beschäftigungen fesseln nicht nur
den einzelnen, sondern meist auch die Familie durch mehrere Generationen an
denselben Ort. So ist der elsässtsche Bürger vielfach mit seiner Stadt so eng
verwachsen, wie der ostelbische Junker mit seiner Scholle. Die Lockerung dieser
Bodenständigkeit, die etwa der preußische Staat in seiner Feudalbureaükratie be¬
wirkt hat, hatte Frankreich hier weder versucht noch zuwege gebracht. Die
natürliche Folge dieser Lebensform ist ein ziemlich staatsfremder, konventions-
strenger und auf bürgerlichen Standes- und Besitzstolz gegründeter Konservati¬
vismus. Seine Überlieferungen reichten nicht gerade sehr weit zurück. Die
eigentliche Grenzscheide bildete die napoleonische Zeit. Nach der ersten Revolution
war dem Lande mit der französischen Schule zum ersten Male ein wesentlich
undeutsches Kulturelement aufgedrängt worden. In den napoleonischen Feld¬
zügen, die elsässisches und lothringisches Soldatentum zum erstenmal zu hohen


Der altdeutsche Einwanderer im Elsaß

darf, sondern in die man hineingeboren sein muß, saß ein bürgerstolzes,
betriebsames und doch das Leben behäbig genießendes Bourgeoisgeschlecht.
Söhne und Töchter wurden durch die Eltern in den bekannten Familien ver¬
heiratet, wobei ein Hauptaugenmerk darauf fiel, daß Geld zu Gelde kam.
Ungeheure Aussteuern gehörten zum guten Ton, Möbel in den erstarrten fran¬
zösischen Stilen, dazwischen freilich auch mal das Erbgut der elsässischen Bauern¬
stube, schmückten die hochfenstrigen hellen Räume, die Schränke füllte reiches
Geschirr, das sich vielfach auch durch Generationen vererbt hatte. Und in¬
mitten dieser späten und ziemlich unschöpferisch gewordenen Sachkultur führte
man ein geselliges breites trink- und eßfreudiges Dasein, das nichts von der
Arme-Leute-Kultur des „deutschen Idealismus" kannte. Und da kamen sie
nun in Scharen wie die Ameisen, diese hergelaufenen Oberbahnasststenten,
Amtsgerichtsräte und Gvmnastalprofessoren, errichteten sich vor den Toren der
Reichsstadt ein Häusermeer von unbehaglichen, schlecht gebauten, innen dunklen,
nach außen kitschig-prunkhaften Mietskasernen, wo sie nun — mit den vielen
Kindern in enge Etagenwohnungen gepfercht, dabei alle drei Jahre umziehend —
ihr unstetes Pflichtdasein dahinlebten. Angewiesen waren sie auf das kärgliche
Gehalt, das der deutsche Staat ihnen hinwarf, und wenn sie hier und da ein
kleines Vermögen besaßen, dann merkte man nur zu oft, daß es mit einer
Heirat unter Stande erkauft war. In komischem Gegensatz zu ihrer ungesellig
engbrüstigen Lebensführung stand die oft so steife oder plumpe Würde, mit der
sie sich als Vertreter des Deutschen Reiches und als Träger der deutschen Kultur
gebärdeten: gesehen mit den Augen, gemessen an den schon ein wenig apoplek-
tischen Maßstäben einer sehr nüchternen, in ihrem Witze ironisch-skeptischen
Bourgeoisie nach westlichem Muster waren und blieben sie „ditschi Hungerlider".

Die elsässtsche Bourgeoisie ist seßhaft und bodenständig. Der Oberländer
mit seinem rauhen, halb alpinen Dialekt ist im leichtlebigeren Unterelsaß schon
beinahe in der Fremde, der Elsässer hat in Lothringen nichts zu suchen und
umgekehrt. Handel, Industrie, Land- und insbesondere Weinbau, der Advokaten-,
Notars- und Ärzteberuf: all diese bürgerlichen Beschäftigungen fesseln nicht nur
den einzelnen, sondern meist auch die Familie durch mehrere Generationen an
denselben Ort. So ist der elsässtsche Bürger vielfach mit seiner Stadt so eng
verwachsen, wie der ostelbische Junker mit seiner Scholle. Die Lockerung dieser
Bodenständigkeit, die etwa der preußische Staat in seiner Feudalbureaükratie be¬
wirkt hat, hatte Frankreich hier weder versucht noch zuwege gebracht. Die
natürliche Folge dieser Lebensform ist ein ziemlich staatsfremder, konventions-
strenger und auf bürgerlichen Standes- und Besitzstolz gegründeter Konservati¬
vismus. Seine Überlieferungen reichten nicht gerade sehr weit zurück. Die
eigentliche Grenzscheide bildete die napoleonische Zeit. Nach der ersten Revolution
war dem Lande mit der französischen Schule zum ersten Male ein wesentlich
undeutsches Kulturelement aufgedrängt worden. In den napoleonischen Feld¬
zügen, die elsässisches und lothringisches Soldatentum zum erstenmal zu hohen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/54>, abgerufen am 01.09.2024.