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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Hjalmar Brantings Sieg

brechen mußte, wenn es ihr nicht möglich war, mit den Mittelmächten zu einem
Frieden zu kommen, den letztere als einen sozialistischen bezeichneten und
fürchteten. Rußland gegenüber hat Branting sich als ein von der Pseudo-
demokratie der Entente abhängiger Funktionär bewiesen, nicht als der große
Parteiführer, der er nach dem Wahlergebnis zu sein scheint. Rußland ist von
Branting geopfert, nicht das um seine Existenz ringende Deutschland. Denn wie
allgemein bekannt ist, konnte Rußland einen Frieden haben, der es der dortigen
Demokratie erlaubt hätte, feste Wurzeln zu schlagen und, einmal vom Kriege
erholt, einen außerordentlichen Einfluß auf die inneren Verhältnisse Mittel¬
europas und mit dessen Hilfe auf die der Westvölker auszuüben. Wie die Ent¬
wicklung der Dinge während der letzten Monate beweist, war es die junge
russische Demokratie, die den Frieden brauchte und nicht Deutschland, das den
Frieden anbot. Das mußte ein Führer erkennen oder er ist kein Führer!

Angesichts dieser wankenden sozialistischen Stützen bei Brantings Stellung
gewinnt die Haltung der Liberalen ihm gegenüber eine ganz besondere Be¬
deutung.

Es fragt sich, ob die innerpolitischen Verhältnisse in Schweden es Herrn
Branting erlauben werden, seiner Idee, ein schwedischer Venizelos zu werden,
Fortentwicklung zu sichern, trotzdem der Ninibus der Internationalen bald von
ihm abfallen dürfte. Die Frage ist, ob er die Wahlsiege der Linken für seine
äußere politische Stellung wird ausnutzen können, ob er, oder wie ein liberales
Götenburger Blatt rät, gar als Ministerpräsident eine bestimmende Größe sür
die Zukunft Schwedens werden soll. Die Beantwortung der Frage liegt bei
den Liberalen, die entsprechenden Einfluß auf die Stellungnahme des Königs
zu den neu geschaffenen Parteiverhältnissen auszuüben vermögen. Nachdem
vor acht Tagen schon mit ziemlicher Bestimmtheit von der sofortigen Ver¬
abschiedung des bisherigen Kabinetts gesprochen wurde, ist es davon wieder
ruhig geworden und es mehren sich die Stimmen, die der Beibehaltung des
jetzigen Kabinetts bis zum Kriegsschluß das Wort reden. Der König ist durch
die Verfassung nicht gezwungen, das Kabinett einer Neubildung zu unterziehen,
aber König Gustav hat es bisher vermieden, mit einem der Mehrheit des
Reichstages nicht entsprechenden Kabinett zu regieren. Die Wahlergebnisse
geben nun nicht etwa einer Partei das absolute Übergewicht über die andere:
Rechte 70. Liberalen 62, Sozialisten 98. Zudem sind Rechte und Sozialisten
noch in sich gespalten; bei den Sozialisten bedeutet zwar nach ihres Führers
Lindhagen Ausscheiden die Absplitterung der zwölf Jungsozialisten nicht viel, --
auch das Vorhandensein von zwölf Landbündlern, in sich wieder geschieden in
Reichsverein der Landwirte mit drei und Bauernbund mit neun Abgeordneten
auf der Rechten sind kaum eine Gefahr zu nennen, aber sie fordern bei Kom-


Hjalmar Brantings Sieg

brechen mußte, wenn es ihr nicht möglich war, mit den Mittelmächten zu einem
Frieden zu kommen, den letztere als einen sozialistischen bezeichneten und
fürchteten. Rußland gegenüber hat Branting sich als ein von der Pseudo-
demokratie der Entente abhängiger Funktionär bewiesen, nicht als der große
Parteiführer, der er nach dem Wahlergebnis zu sein scheint. Rußland ist von
Branting geopfert, nicht das um seine Existenz ringende Deutschland. Denn wie
allgemein bekannt ist, konnte Rußland einen Frieden haben, der es der dortigen
Demokratie erlaubt hätte, feste Wurzeln zu schlagen und, einmal vom Kriege
erholt, einen außerordentlichen Einfluß auf die inneren Verhältnisse Mittel¬
europas und mit dessen Hilfe auf die der Westvölker auszuüben. Wie die Ent¬
wicklung der Dinge während der letzten Monate beweist, war es die junge
russische Demokratie, die den Frieden brauchte und nicht Deutschland, das den
Frieden anbot. Das mußte ein Führer erkennen oder er ist kein Führer!

Angesichts dieser wankenden sozialistischen Stützen bei Brantings Stellung
gewinnt die Haltung der Liberalen ihm gegenüber eine ganz besondere Be¬
deutung.

Es fragt sich, ob die innerpolitischen Verhältnisse in Schweden es Herrn
Branting erlauben werden, seiner Idee, ein schwedischer Venizelos zu werden,
Fortentwicklung zu sichern, trotzdem der Ninibus der Internationalen bald von
ihm abfallen dürfte. Die Frage ist, ob er die Wahlsiege der Linken für seine
äußere politische Stellung wird ausnutzen können, ob er, oder wie ein liberales
Götenburger Blatt rät, gar als Ministerpräsident eine bestimmende Größe sür
die Zukunft Schwedens werden soll. Die Beantwortung der Frage liegt bei
den Liberalen, die entsprechenden Einfluß auf die Stellungnahme des Königs
zu den neu geschaffenen Parteiverhältnissen auszuüben vermögen. Nachdem
vor acht Tagen schon mit ziemlicher Bestimmtheit von der sofortigen Ver¬
abschiedung des bisherigen Kabinetts gesprochen wurde, ist es davon wieder
ruhig geworden und es mehren sich die Stimmen, die der Beibehaltung des
jetzigen Kabinetts bis zum Kriegsschluß das Wort reden. Der König ist durch
die Verfassung nicht gezwungen, das Kabinett einer Neubildung zu unterziehen,
aber König Gustav hat es bisher vermieden, mit einem der Mehrheit des
Reichstages nicht entsprechenden Kabinett zu regieren. Die Wahlergebnisse
geben nun nicht etwa einer Partei das absolute Übergewicht über die andere:
Rechte 70. Liberalen 62, Sozialisten 98. Zudem sind Rechte und Sozialisten
noch in sich gespalten; bei den Sozialisten bedeutet zwar nach ihres Führers
Lindhagen Ausscheiden die Absplitterung der zwölf Jungsozialisten nicht viel, —
auch das Vorhandensein von zwölf Landbündlern, in sich wieder geschieden in
Reichsverein der Landwirte mit drei und Bauernbund mit neun Abgeordneten
auf der Rechten sind kaum eine Gefahr zu nennen, aber sie fordern bei Kom-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/50>, abgerufen am 01.09.2024.