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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

des Art. 78 Abs. 1 von der Reichsgewalt über das staatsrechtliche Schicksal
des Landes anders bestimmt, die Umwandelung zum Bundesstaate oder die
Einverleibung in einen Einzelstaat ausgesprochen werden. Das Recht de5 Reiches
an Elsaß-Lothringen steht nicht selbständig neben der Reichsgewalt, sondern ist
mit dieser gegeben. Durch Verfügungen der Reichsgewalt wird das rechtliche
Schicksal des Landes bestimmt. Mag es sich dabei um allgemeine. Elsaß-
Lothringen mit betreffende Reichsangelegenheiten oder um die Organisation
speziell des Reichslandes, um mehr oder minder weitgehende Eingriffe in den
bestehenden Rechtszustand, handeln, es gilt gleichmäßig der in der Reichs¬
verfassung geordnete Weg gesetzlicher Betätigung der Reichsgewalt. Diese
Voraussetzungen müssen voll erfüllt sein; ein Mehr zu verlangen, fehlt es am
Rechtsgrunde, auch dann, wenn die Reichsgewalt für gut findet, nur die all¬
gemeine Reichsunterworfenheit für Elsaß-Lothringen bestehen zu lassen, sich im
übrigen der Staatsgewalt über das Reichsland ganz zu entäußern.

Ein Zweifel möchte erhoben werden für den Fall der Verwandelung des
Reichslandes in einen Bundesstaat. Ist nicht die Schöpfung eines selbständigen
Staates aus dem Ganzen oder einem Teil des Reichslandgebietes an Zustim¬
mung aller Bundesglieder geknüpft? Den Bund, auf dem das Reich beruht.
Hütte ja der so geschaffene Staat nicht mit geschlossen. Kann Einzelstaaten
durch Mehrheitsbeschluß ein neuer Verbündeter aufgedrängt werden, das Mit¬
recht an der Reichsgewalt ohne ihren Willen ein weiteres Subjekt erhalten?

Einhelliger Zustimmung würde es zweifellos dann bedürfen, wenn ein
bestehender reichsfremder Staat in den Reichsverband aufgenommen werden
sollte. Daß seinerzeit der Eintritt der süddeutschen Staaten in den Bund auf
den Vorschlag des Bundespräsidiums, der Krone Preußen, im Wege der Bundes¬
gesetzgebung, also ohne Feststellung des Einverständnisses der sämtlichen nord¬
deutschen Staaten -- an dem freilich tatsächlich kein Zweifel war -- erfolgen
konnte, beruhte auf der besonderen Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 der Verfassung
des Norddeutschen Bundes. Der Vorgang ist daher für den Eintritt weiterer
Staaten in den Bund ohne Bedeutung.

Allein ein Staat Elsaß-Lothringen wäre ja nicht ein bestehendes, reichs¬
fremdes Staatswesen, mit dem der Bund erst geschlossen werden müßte, sondern
ein Geschöpf des Reiches. Zur Erzeugung eines Staates außerhalb des Reichs¬
verbandes ist das Reich gar nicht imstande, die schaffende Gewalt steht ihm
nur für die eigenen Zwecke zu Gebote. Der neue Staat kann nicht anders
als und der Reichszngehörigkeit behaftet ins Dasein treten, wie auch die Ein¬
verleibung in einen Einzelstaat niemals die Zugehörigkeit des eingegliederten
Gebietes zum Reiche zu beseitigen vermag. Die verbündeten Regierungen haben
die Verfügung über das Reichsland auch in dem Sinne, daß sie im Wege
der Reichsgesetzgebung beschließen können, es zum Bundesstaate, zu ihrem
Bundesgenossen zu macheu, ohne daß Abschluß eines Bundesvertrages in
Frage käme.


Reichsgewalt und Landesverfassung im Reichslande

des Art. 78 Abs. 1 von der Reichsgewalt über das staatsrechtliche Schicksal
des Landes anders bestimmt, die Umwandelung zum Bundesstaate oder die
Einverleibung in einen Einzelstaat ausgesprochen werden. Das Recht de5 Reiches
an Elsaß-Lothringen steht nicht selbständig neben der Reichsgewalt, sondern ist
mit dieser gegeben. Durch Verfügungen der Reichsgewalt wird das rechtliche
Schicksal des Landes bestimmt. Mag es sich dabei um allgemeine. Elsaß-
Lothringen mit betreffende Reichsangelegenheiten oder um die Organisation
speziell des Reichslandes, um mehr oder minder weitgehende Eingriffe in den
bestehenden Rechtszustand, handeln, es gilt gleichmäßig der in der Reichs¬
verfassung geordnete Weg gesetzlicher Betätigung der Reichsgewalt. Diese
Voraussetzungen müssen voll erfüllt sein; ein Mehr zu verlangen, fehlt es am
Rechtsgrunde, auch dann, wenn die Reichsgewalt für gut findet, nur die all¬
gemeine Reichsunterworfenheit für Elsaß-Lothringen bestehen zu lassen, sich im
übrigen der Staatsgewalt über das Reichsland ganz zu entäußern.

Ein Zweifel möchte erhoben werden für den Fall der Verwandelung des
Reichslandes in einen Bundesstaat. Ist nicht die Schöpfung eines selbständigen
Staates aus dem Ganzen oder einem Teil des Reichslandgebietes an Zustim¬
mung aller Bundesglieder geknüpft? Den Bund, auf dem das Reich beruht.
Hütte ja der so geschaffene Staat nicht mit geschlossen. Kann Einzelstaaten
durch Mehrheitsbeschluß ein neuer Verbündeter aufgedrängt werden, das Mit¬
recht an der Reichsgewalt ohne ihren Willen ein weiteres Subjekt erhalten?

Einhelliger Zustimmung würde es zweifellos dann bedürfen, wenn ein
bestehender reichsfremder Staat in den Reichsverband aufgenommen werden
sollte. Daß seinerzeit der Eintritt der süddeutschen Staaten in den Bund auf
den Vorschlag des Bundespräsidiums, der Krone Preußen, im Wege der Bundes¬
gesetzgebung, also ohne Feststellung des Einverständnisses der sämtlichen nord¬
deutschen Staaten — an dem freilich tatsächlich kein Zweifel war — erfolgen
konnte, beruhte auf der besonderen Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 der Verfassung
des Norddeutschen Bundes. Der Vorgang ist daher für den Eintritt weiterer
Staaten in den Bund ohne Bedeutung.

Allein ein Staat Elsaß-Lothringen wäre ja nicht ein bestehendes, reichs¬
fremdes Staatswesen, mit dem der Bund erst geschlossen werden müßte, sondern
ein Geschöpf des Reiches. Zur Erzeugung eines Staates außerhalb des Reichs¬
verbandes ist das Reich gar nicht imstande, die schaffende Gewalt steht ihm
nur für die eigenen Zwecke zu Gebote. Der neue Staat kann nicht anders
als und der Reichszngehörigkeit behaftet ins Dasein treten, wie auch die Ein¬
verleibung in einen Einzelstaat niemals die Zugehörigkeit des eingegliederten
Gebietes zum Reiche zu beseitigen vermag. Die verbündeten Regierungen haben
die Verfügung über das Reichsland auch in dem Sinne, daß sie im Wege
der Reichsgesetzgebung beschließen können, es zum Bundesstaate, zu ihrem
Bundesgenossen zu macheu, ohne daß Abschluß eines Bundesvertrages in
Frage käme.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/40>, abgerufen am 01.09.2024.