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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die Reform des preußischen Landtages

zum erstenmal entwickelte Gedanke, die staatliche und soziale Leistung in ihren
hauptsächlichen Momenten und unter Zurückdrängung des pekuniären Gesichts-
Punkts zum Grund- und Eckstein des Wahlrechts zu erheben, erwies sich aber
nicht als tragfähig genug, um eine Grundlage für die von mir erstrebte Einigung
aller Parteien abzugeben. Schließlich mußte ich mir selbst sagen, daß,
wenn jeder Versuch, ein abgestuftes Wahlrecht ohne die stärkste Heraushebung der
Mehrstimmen für Besitz, und Einkommensteuer durchzuführen, im wesentlichen
nur eine Verdoppelung des demokratischen Reichstagswahlrechts bedeuten würde,
es das einfachste sein werde, sich von vornherein auf den Boden des gleichen
Wahlrechts zu stellen, das doch vor jedem abgestuften Wahlrecht den Vorzug der
Einfachheit, Klarheit und Volkstümlichkeit haben werde. So ist es gekommen,
daß ich -- worüber ich den Lesern der "Grenzboten" eine Aufklärung schuldig
zu sein glaubte -- von dem Boden eines abgestuften Wahlrechts auf den des
gleichen Wahlrechts hinübergetreten bin. Ich halte mich überzeugt, daß
sobald erst die Wahlrechtsverhandlungen in der Kommission die enormen
Schwierigkeiten der Verständigung über ein den Erwartungen der breiten
Bolksmassen auch nur entfernt genügendes abgestuftes Wahlrecht jedem Teil¬
nehmer praktisch klar gemacht haben, viele, sehr viele den gleichen Entwicklungs¬
gang vom Saulus zum Paulus des gleichen Wahlrechts nehmen werden, und
daß ganz von selbst so der Verlauf der Dinge die Wendung nehmen wird, nach
weiteren Sicherungen im Rahmen deS gleichen Wahlrechts zu suchen. Daß man
dabei an den bereits in die Vorlage eingefügten Kautelen des gleichen Wahlrechtes,
die doch recht kleinlicher Natur sind und nicht einmal den Vertretern der rechts-
stehenden Parteien gefallen, festhalten wird, möchte ich nicht einmal glauben, viel-
mehr ist es anzunehmen, daß man den Stein der Weisen in einer Verbindung
zwischen dem gleichen Wahlrecht und dem Verhältniswahlsystem, für das ja auch
die Vertreter der Linken sind, suchen wird. Es wird sich verlohnen, diesem Ge¬
danken einmal in einem eigenen Aufsatz nachzugehen. Jedenfalls besteht heute
nicht die geringste Notwendigkeit, an der Situation der Wahlrechtsvorlage zu ver¬
zweifeln. Das schöne Wort, das der Herausgeber der "Grenzboten" in der vorigen
Nummer variierte, Wortes kortuna achuvst. wird seine Zauberkraft auch in der
so verzwickten und dornigen Wahlrechtsfrage bewähren, wenn nur die Regierung
ihren Weg geradeaus ohne Zagen und Wanken verfolgt, -- und sie kann ja gar nicht
anders. Gelingt ihr aber der große Wurf, der ja auch in dem feindlichen Eng¬
land um die gleiche Zeit zu einem guten Ende führt -- und wollen wir uns von
unseren Feinden auf das tiefste beschämen lassen? - so wird man eS ihr ewig zu
höchstem Ruhm anrechnen, daß sie mitten in den Schauern des Weltkrieges ver¬
standen habe, unser nationales Leben dauernd von der schlimmsten aller Streit¬
fragen zu entlasten!




Die Reform des preußischen Landtages

zum erstenmal entwickelte Gedanke, die staatliche und soziale Leistung in ihren
hauptsächlichen Momenten und unter Zurückdrängung des pekuniären Gesichts-
Punkts zum Grund- und Eckstein des Wahlrechts zu erheben, erwies sich aber
nicht als tragfähig genug, um eine Grundlage für die von mir erstrebte Einigung
aller Parteien abzugeben. Schließlich mußte ich mir selbst sagen, daß,
wenn jeder Versuch, ein abgestuftes Wahlrecht ohne die stärkste Heraushebung der
Mehrstimmen für Besitz, und Einkommensteuer durchzuführen, im wesentlichen
nur eine Verdoppelung des demokratischen Reichstagswahlrechts bedeuten würde,
es das einfachste sein werde, sich von vornherein auf den Boden des gleichen
Wahlrechts zu stellen, das doch vor jedem abgestuften Wahlrecht den Vorzug der
Einfachheit, Klarheit und Volkstümlichkeit haben werde. So ist es gekommen,
daß ich — worüber ich den Lesern der „Grenzboten" eine Aufklärung schuldig
zu sein glaubte — von dem Boden eines abgestuften Wahlrechts auf den des
gleichen Wahlrechts hinübergetreten bin. Ich halte mich überzeugt, daß
sobald erst die Wahlrechtsverhandlungen in der Kommission die enormen
Schwierigkeiten der Verständigung über ein den Erwartungen der breiten
Bolksmassen auch nur entfernt genügendes abgestuftes Wahlrecht jedem Teil¬
nehmer praktisch klar gemacht haben, viele, sehr viele den gleichen Entwicklungs¬
gang vom Saulus zum Paulus des gleichen Wahlrechts nehmen werden, und
daß ganz von selbst so der Verlauf der Dinge die Wendung nehmen wird, nach
weiteren Sicherungen im Rahmen deS gleichen Wahlrechts zu suchen. Daß man
dabei an den bereits in die Vorlage eingefügten Kautelen des gleichen Wahlrechtes,
die doch recht kleinlicher Natur sind und nicht einmal den Vertretern der rechts-
stehenden Parteien gefallen, festhalten wird, möchte ich nicht einmal glauben, viel-
mehr ist es anzunehmen, daß man den Stein der Weisen in einer Verbindung
zwischen dem gleichen Wahlrecht und dem Verhältniswahlsystem, für das ja auch
die Vertreter der Linken sind, suchen wird. Es wird sich verlohnen, diesem Ge¬
danken einmal in einem eigenen Aufsatz nachzugehen. Jedenfalls besteht heute
nicht die geringste Notwendigkeit, an der Situation der Wahlrechtsvorlage zu ver¬
zweifeln. Das schöne Wort, das der Herausgeber der „Grenzboten" in der vorigen
Nummer variierte, Wortes kortuna achuvst. wird seine Zauberkraft auch in der
so verzwickten und dornigen Wahlrechtsfrage bewähren, wenn nur die Regierung
ihren Weg geradeaus ohne Zagen und Wanken verfolgt, — und sie kann ja gar nicht
anders. Gelingt ihr aber der große Wurf, der ja auch in dem feindlichen Eng¬
land um die gleiche Zeit zu einem guten Ende führt — und wollen wir uns von
unseren Feinden auf das tiefste beschämen lassen? - so wird man eS ihr ewig zu
höchstem Ruhm anrechnen, daß sie mitten in den Schauern des Weltkrieges ver¬
standen habe, unser nationales Leben dauernd von der schlimmsten aller Streit¬
fragen zu entlasten!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/361>, abgerufen am 01.09.2024.