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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Oesterreich und Polen

setzen. Der Anschluß Polens an die Donaumonarchie würde also von Anfang
an viel lockerer sein als etwa der Ungarns. Nur die Loslösung Galiziens stände
fest. Ein selbständiges polnisches Heer mit eigener polnischer Kommandosprache
ist in den Anfängen schon jetzt vorhanden. Das könnte man nicht wieder be¬
seitigen. Und das alles müßte auf Ungarn zurückwirken. Es wäre Wasser auf
die Mühle derjenigen, die Ungarn in das Verhältnis reiner Personalunion zu
Osterreich setzen wollen. Ein eigenes ungarisches Heer mit ungarischer Kommando-
sprache wäre dann nicht länger abzulehnen. Den Ungarn fiele von selbst in den
Schoß, was sie so lange erstrebt.

Damit träten an die Stelle der immer noch durch starke einheitliche Bande
umschlungenen Doppelmonarchie drei ziemlich selbständige Staaten mit eigenen
Heeren.

Aber sowohl auf deutsch-österreichischer wie auf ungarischer Seite hätte
kurzsichtige Interessenpolitik äußere augenblickliche Vorteile errungen auf Kosten
dauernder schwerer Nachteile.

Die anderen Nationalitäten können doch nicht die glänzenden Erfolge der
Polen erblicken, ohne für sich gleiches zu erstreben. Schon haben sich auf rumä¬
nischer Seite Stimmen erhoben, die die bisherige verfehlte Politik Rumäniens
verdammen und das Heil Rumäniens nicht nur im engsten Anschlusse an die
Mittelmächte, sondern geradezu in der Übertragung der rumänischen Krone aus
den Kaiser von Osterreich sehen. Damit wäre auf umgekehrtem Wege das erreicht,
was Rumänien durch den Krieg erstrebte: die Vereinigung der Rumänen deS
Königreichs und derjenigen Österreich-Ungarns nach den Forderungen des Natio¬
nalitätsprinzips unter einem staatlichen Szepter. Daß damit an dieser Ecke der
ungarische Staatsverband gesprengt würde, ist selbstverständlich. Übrigens hat
noch niemand die Frage beantwortet, was bei der Verbindung Galiziens mit
Polen aus der Bukowina werden soll. Daß der nicht von Bulgarien beanspruchte
Teil Serbiens, vielleicht auch Montenegro und Nord-Albanien mit dem öster¬
reichischen Kaiserstaate vereinigt werden, stand schon früher ziemlich fest.") Damit
droht aber die südslawische Frage. Der serbo-kroatische Stamm erhebt, indem er
beansprucht auch die Slowenen sich anzugliedern, dieselben Forderungen wie die
Polen. Das richtet sich in gleicher Weise gegen die Deutsch Österreicher wie gegen
die Ungarn. Und selbstverständlich haben auch schon die Tschechen ihre Ansprüche
angemeldet. Für das böhmische Staatsrecht der Wenzelskrone verlangen sie
gleiches Recht mit den Polen, die ungarischen Slowaken müssen natürlich in den
Tschechenstaat hinein. Auch hier werden Deutsch-Österreicher und Ungarn in
gleicher Weise bedroht.

Die Herrschaft der Dynastie soll allerdings weit über alle Grenzen des bis¬
herigen Osterreich ausgedehnt werden. Aber gleichzeitig verliert die Doppel¬
monarchie an innerem Zusammenhange, und die Nationalitäten treiben das Staats¬
wesen nach entgegengesetzten Richtungen auseinander.

Während aber sonst olle Nationalitäten mit Ausnahme der italienischen auf
Kosten des Staates gewinnen oder gewinnen wollen, kommt eine einzige ins



*) Vgl, meinen Aufsatz "Österreichische Kriegsziele" in Ur. 22 der "Grenzboten"
"on 1917.
Oesterreich und Polen

setzen. Der Anschluß Polens an die Donaumonarchie würde also von Anfang
an viel lockerer sein als etwa der Ungarns. Nur die Loslösung Galiziens stände
fest. Ein selbständiges polnisches Heer mit eigener polnischer Kommandosprache
ist in den Anfängen schon jetzt vorhanden. Das könnte man nicht wieder be¬
seitigen. Und das alles müßte auf Ungarn zurückwirken. Es wäre Wasser auf
die Mühle derjenigen, die Ungarn in das Verhältnis reiner Personalunion zu
Osterreich setzen wollen. Ein eigenes ungarisches Heer mit ungarischer Kommando-
sprache wäre dann nicht länger abzulehnen. Den Ungarn fiele von selbst in den
Schoß, was sie so lange erstrebt.

Damit träten an die Stelle der immer noch durch starke einheitliche Bande
umschlungenen Doppelmonarchie drei ziemlich selbständige Staaten mit eigenen
Heeren.

Aber sowohl auf deutsch-österreichischer wie auf ungarischer Seite hätte
kurzsichtige Interessenpolitik äußere augenblickliche Vorteile errungen auf Kosten
dauernder schwerer Nachteile.

Die anderen Nationalitäten können doch nicht die glänzenden Erfolge der
Polen erblicken, ohne für sich gleiches zu erstreben. Schon haben sich auf rumä¬
nischer Seite Stimmen erhoben, die die bisherige verfehlte Politik Rumäniens
verdammen und das Heil Rumäniens nicht nur im engsten Anschlusse an die
Mittelmächte, sondern geradezu in der Übertragung der rumänischen Krone aus
den Kaiser von Osterreich sehen. Damit wäre auf umgekehrtem Wege das erreicht,
was Rumänien durch den Krieg erstrebte: die Vereinigung der Rumänen deS
Königreichs und derjenigen Österreich-Ungarns nach den Forderungen des Natio¬
nalitätsprinzips unter einem staatlichen Szepter. Daß damit an dieser Ecke der
ungarische Staatsverband gesprengt würde, ist selbstverständlich. Übrigens hat
noch niemand die Frage beantwortet, was bei der Verbindung Galiziens mit
Polen aus der Bukowina werden soll. Daß der nicht von Bulgarien beanspruchte
Teil Serbiens, vielleicht auch Montenegro und Nord-Albanien mit dem öster¬
reichischen Kaiserstaate vereinigt werden, stand schon früher ziemlich fest.") Damit
droht aber die südslawische Frage. Der serbo-kroatische Stamm erhebt, indem er
beansprucht auch die Slowenen sich anzugliedern, dieselben Forderungen wie die
Polen. Das richtet sich in gleicher Weise gegen die Deutsch Österreicher wie gegen
die Ungarn. Und selbstverständlich haben auch schon die Tschechen ihre Ansprüche
angemeldet. Für das böhmische Staatsrecht der Wenzelskrone verlangen sie
gleiches Recht mit den Polen, die ungarischen Slowaken müssen natürlich in den
Tschechenstaat hinein. Auch hier werden Deutsch-Österreicher und Ungarn in
gleicher Weise bedroht.

Die Herrschaft der Dynastie soll allerdings weit über alle Grenzen des bis¬
herigen Osterreich ausgedehnt werden. Aber gleichzeitig verliert die Doppel¬
monarchie an innerem Zusammenhange, und die Nationalitäten treiben das Staats¬
wesen nach entgegengesetzten Richtungen auseinander.

Während aber sonst olle Nationalitäten mit Ausnahme der italienischen auf
Kosten des Staates gewinnen oder gewinnen wollen, kommt eine einzige ins



*) Vgl, meinen Aufsatz „Österreichische Kriegsziele" in Ur. 22 der „Grenzboten"
»on 1917.
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[0248] Oesterreich und Polen setzen. Der Anschluß Polens an die Donaumonarchie würde also von Anfang an viel lockerer sein als etwa der Ungarns. Nur die Loslösung Galiziens stände fest. Ein selbständiges polnisches Heer mit eigener polnischer Kommandosprache ist in den Anfängen schon jetzt vorhanden. Das könnte man nicht wieder be¬ seitigen. Und das alles müßte auf Ungarn zurückwirken. Es wäre Wasser auf die Mühle derjenigen, die Ungarn in das Verhältnis reiner Personalunion zu Osterreich setzen wollen. Ein eigenes ungarisches Heer mit ungarischer Kommando- sprache wäre dann nicht länger abzulehnen. Den Ungarn fiele von selbst in den Schoß, was sie so lange erstrebt. Damit träten an die Stelle der immer noch durch starke einheitliche Bande umschlungenen Doppelmonarchie drei ziemlich selbständige Staaten mit eigenen Heeren. Aber sowohl auf deutsch-österreichischer wie auf ungarischer Seite hätte kurzsichtige Interessenpolitik äußere augenblickliche Vorteile errungen auf Kosten dauernder schwerer Nachteile. Die anderen Nationalitäten können doch nicht die glänzenden Erfolge der Polen erblicken, ohne für sich gleiches zu erstreben. Schon haben sich auf rumä¬ nischer Seite Stimmen erhoben, die die bisherige verfehlte Politik Rumäniens verdammen und das Heil Rumäniens nicht nur im engsten Anschlusse an die Mittelmächte, sondern geradezu in der Übertragung der rumänischen Krone aus den Kaiser von Osterreich sehen. Damit wäre auf umgekehrtem Wege das erreicht, was Rumänien durch den Krieg erstrebte: die Vereinigung der Rumänen deS Königreichs und derjenigen Österreich-Ungarns nach den Forderungen des Natio¬ nalitätsprinzips unter einem staatlichen Szepter. Daß damit an dieser Ecke der ungarische Staatsverband gesprengt würde, ist selbstverständlich. Übrigens hat noch niemand die Frage beantwortet, was bei der Verbindung Galiziens mit Polen aus der Bukowina werden soll. Daß der nicht von Bulgarien beanspruchte Teil Serbiens, vielleicht auch Montenegro und Nord-Albanien mit dem öster¬ reichischen Kaiserstaate vereinigt werden, stand schon früher ziemlich fest.") Damit droht aber die südslawische Frage. Der serbo-kroatische Stamm erhebt, indem er beansprucht auch die Slowenen sich anzugliedern, dieselben Forderungen wie die Polen. Das richtet sich in gleicher Weise gegen die Deutsch Österreicher wie gegen die Ungarn. Und selbstverständlich haben auch schon die Tschechen ihre Ansprüche angemeldet. Für das böhmische Staatsrecht der Wenzelskrone verlangen sie gleiches Recht mit den Polen, die ungarischen Slowaken müssen natürlich in den Tschechenstaat hinein. Auch hier werden Deutsch-Österreicher und Ungarn in gleicher Weise bedroht. Die Herrschaft der Dynastie soll allerdings weit über alle Grenzen des bis¬ herigen Osterreich ausgedehnt werden. Aber gleichzeitig verliert die Doppel¬ monarchie an innerem Zusammenhange, und die Nationalitäten treiben das Staats¬ wesen nach entgegengesetzten Richtungen auseinander. Während aber sonst olle Nationalitäten mit Ausnahme der italienischen auf Kosten des Staates gewinnen oder gewinnen wollen, kommt eine einzige ins *) Vgl, meinen Aufsatz „Österreichische Kriegsziele" in Ur. 22 der „Grenzboten" »on 1917.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/248>, abgerufen am 01.09.2024.