Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.Der Wesensart eines Menschen entspricht im allgemeinen eine ganz bestimmte Wenn nun auch mit Hilfe dieses Verfahrens dem einen Beruf Suchenden Grenzbowi IV 1017 12
Der Wesensart eines Menschen entspricht im allgemeinen eine ganz bestimmte Wenn nun auch mit Hilfe dieses Verfahrens dem einen Beruf Suchenden Grenzbowi IV 1017 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332904"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_637"> Der Wesensart eines Menschen entspricht im allgemeinen eine ganz bestimmte<lb/> Berufstätigkeit. Es wird diejenige sein, bei deren Ausübung er ein geringstes<lb/> Maß innerer Widerstände zu überwinden haben wird, mit anderen Worten: bei<lb/> der er Tätigkeiten zu verrichten haben wird, die in der Richtung seiner psychischen<lb/> Veranlagung und körperlichen Beschaffenheit liegen. Wohl können eine starke<lb/> Willenskraft, zu der sich geistige Beweglichkeit und ein hohes Maß Selbstzucht<lb/> gesellen, vorhandene Widerstände in der körperlichen und seelischen Verfassung<lb/> eines Individuums schließlich überwinden und mäßige Veranlagungen zu höherer<lb/> Befähigung entwickeln — bei Menschen, deren Tätigkeitsdrang sich in primitiver<lb/> Weise zu erfüllen trachtet, ist indessen mit den hierzu erforderlichen Anstrengungen<lb/> nur in sehr seltenen Fällen zu rechnen. Im allgemeinen hängt die Berufswahl<lb/> von gewissen Zufälligkeiten, oberflächlichen Beobachtungen, wenn nicht gar von<lb/> Beweggründen ab, die jenseits der Veranlagungen und Befähigungen des einen<lb/> Beruf Suchenden liegen. Enttäuschungen im Berufsleben, Schwierigkeiten, Wider-<lb/> Wille gegen die Berufsarbeit führen dazu, daß ein großer Teil der werk¬<lb/> tätigen Menschen in ihrer Erwerbstätigkeit nichts mehr zu erkennen vermögen,<lb/> als das Erbe des Fluches, der das erste Menschenpaar in das Land der Arbeit<lb/> begleitete. Andererseits aber lehrt der Augenschein, daß es arbeitende Menschen<lb/> gibt, die, mit nur geringen Glücksgütern gesegnet, ein hohes Glück in der Erfüllung<lb/> ihrer Berufsarbeit finden. Diese beiden sich einander gegenüberstehenden Tatsachen<lb/> zu ergründen, scheint der Anwendung des Wissensschatzes der experimentellen<lb/> Psychologie auf das Wirtschaftsleben, vor allem der Psychologie der Berufseignung<lb/> vorbehalten zu sein. Die aus ihnen folgende Nutzanwendung ist die „psychologische<lb/> Berufsberatung", über deren Wesen, Ziele und Erfolge eine Flugschrift der Zentral-<lb/> stelle für Volkswohlfahrt („Psychologische Berufsberatung" von Otto Lipmcmn,<lb/> erschienen in Heymcmn's Verlag, Berlin 1917, Preis 40 Pf.) ausgiebigen Auf¬<lb/> schluß erteilt. Jeder Beruf stellt an den in ihm Tätigen eine Reihe ganz beson¬<lb/> derer Ansprüche, die die Eigenheit des Berufes kennzeichnen. Mittels Zeitstudien<lb/> und anderer Forschungsmethoden ist es möglich, diese Bedingungen genau erfassen<lb/> SU können und einen Plan aufzustellen, der für eine befriedigende Betätigung in<lb/> den verschiedenen Berufen zu erfüllen ist. Daß ein Mensch ohne musikalisches<lb/> Gehör und ohne Stimme niemals Sänger werden kann, wußte man schon lange.<lb/> Daß aber der Beruf des Telephonisten beispielsweise durch folgende Ansprüche<lb/> gekennzeichnet ist: leise Geräusche und undeutlich Gesprochenes deutlich, rasch und<lb/> richtig aufzunehmen, dieses kurze Zeit darauf richtig zu reproduzieren, Arm¬<lb/> bewegungen in vorgeschriebener Größe richtig zu bemessen und sicher auszuführen,<lb/> auf verschiedene Eindrücke hin rasch verschiedene und zwar jedesmal die vorge¬<lb/> schriebenen Bewegungen richtig folgen zu lassen und gleichzeitig mehrere Gegen¬<lb/> stände desselben Sinnesgebietes längere Zeit hindurch richtig zu beobachten, konnte<lb/> erst durch eingehende, wissenschaftliche Prüfung festgestellt werden. Um nun die<lb/> Eignung zu den verschiedensten Berufstätigkeiten auf einheitlicher Grundlage prüfen<lb/> und erfassen zu können, stellte Lipmcmn einen Fragebogen auf, der nicht weniger<lb/> als IWFragen nach Fähigkeit und Veranlagung enthält, und aus deren Beantwortung<lb/> 'nit ja und nein ein Bild für die Berufseignung des Befragten gewonnen werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_638" next="#ID_639"> Wenn nun auch mit Hilfe dieses Verfahrens dem einen Beruf Suchenden<lb/> uicht irgendein Beruf als der für ihn einzig in Frage kommende genannt werden</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbowi IV 1017 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189]
Der Wesensart eines Menschen entspricht im allgemeinen eine ganz bestimmte
Berufstätigkeit. Es wird diejenige sein, bei deren Ausübung er ein geringstes
Maß innerer Widerstände zu überwinden haben wird, mit anderen Worten: bei
der er Tätigkeiten zu verrichten haben wird, die in der Richtung seiner psychischen
Veranlagung und körperlichen Beschaffenheit liegen. Wohl können eine starke
Willenskraft, zu der sich geistige Beweglichkeit und ein hohes Maß Selbstzucht
gesellen, vorhandene Widerstände in der körperlichen und seelischen Verfassung
eines Individuums schließlich überwinden und mäßige Veranlagungen zu höherer
Befähigung entwickeln — bei Menschen, deren Tätigkeitsdrang sich in primitiver
Weise zu erfüllen trachtet, ist indessen mit den hierzu erforderlichen Anstrengungen
nur in sehr seltenen Fällen zu rechnen. Im allgemeinen hängt die Berufswahl
von gewissen Zufälligkeiten, oberflächlichen Beobachtungen, wenn nicht gar von
Beweggründen ab, die jenseits der Veranlagungen und Befähigungen des einen
Beruf Suchenden liegen. Enttäuschungen im Berufsleben, Schwierigkeiten, Wider-
Wille gegen die Berufsarbeit führen dazu, daß ein großer Teil der werk¬
tätigen Menschen in ihrer Erwerbstätigkeit nichts mehr zu erkennen vermögen,
als das Erbe des Fluches, der das erste Menschenpaar in das Land der Arbeit
begleitete. Andererseits aber lehrt der Augenschein, daß es arbeitende Menschen
gibt, die, mit nur geringen Glücksgütern gesegnet, ein hohes Glück in der Erfüllung
ihrer Berufsarbeit finden. Diese beiden sich einander gegenüberstehenden Tatsachen
zu ergründen, scheint der Anwendung des Wissensschatzes der experimentellen
Psychologie auf das Wirtschaftsleben, vor allem der Psychologie der Berufseignung
vorbehalten zu sein. Die aus ihnen folgende Nutzanwendung ist die „psychologische
Berufsberatung", über deren Wesen, Ziele und Erfolge eine Flugschrift der Zentral-
stelle für Volkswohlfahrt („Psychologische Berufsberatung" von Otto Lipmcmn,
erschienen in Heymcmn's Verlag, Berlin 1917, Preis 40 Pf.) ausgiebigen Auf¬
schluß erteilt. Jeder Beruf stellt an den in ihm Tätigen eine Reihe ganz beson¬
derer Ansprüche, die die Eigenheit des Berufes kennzeichnen. Mittels Zeitstudien
und anderer Forschungsmethoden ist es möglich, diese Bedingungen genau erfassen
SU können und einen Plan aufzustellen, der für eine befriedigende Betätigung in
den verschiedenen Berufen zu erfüllen ist. Daß ein Mensch ohne musikalisches
Gehör und ohne Stimme niemals Sänger werden kann, wußte man schon lange.
Daß aber der Beruf des Telephonisten beispielsweise durch folgende Ansprüche
gekennzeichnet ist: leise Geräusche und undeutlich Gesprochenes deutlich, rasch und
richtig aufzunehmen, dieses kurze Zeit darauf richtig zu reproduzieren, Arm¬
bewegungen in vorgeschriebener Größe richtig zu bemessen und sicher auszuführen,
auf verschiedene Eindrücke hin rasch verschiedene und zwar jedesmal die vorge¬
schriebenen Bewegungen richtig folgen zu lassen und gleichzeitig mehrere Gegen¬
stände desselben Sinnesgebietes längere Zeit hindurch richtig zu beobachten, konnte
erst durch eingehende, wissenschaftliche Prüfung festgestellt werden. Um nun die
Eignung zu den verschiedensten Berufstätigkeiten auf einheitlicher Grundlage prüfen
und erfassen zu können, stellte Lipmcmn einen Fragebogen auf, der nicht weniger
als IWFragen nach Fähigkeit und Veranlagung enthält, und aus deren Beantwortung
'nit ja und nein ein Bild für die Berufseignung des Befragten gewonnen werden kann.
Wenn nun auch mit Hilfe dieses Verfahrens dem einen Beruf Suchenden
uicht irgendein Beruf als der für ihn einzig in Frage kommende genannt werden
Grenzbowi IV 1017 12
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