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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Martin Luther, der deutsche Reformator

Geistes gegen die Sinnlichkeit miterleben. Luthers Kampf dagegen, der den
des Afrikaners an Intensität noch überbietet, spielt sich im Gebiet des rein
Geistigen ab: er ringt um den gnädigen Gott. Nachdem der nächtliche Sturm
dieses verzweifelten Kampfes ausgetobt, entfaltet sich im Morgentau die Blüte
seiner Mystik. Die Christusliebe des jugendlichen Luthers atmet den Duft
deutscher Romantik. Das "Christus für uns" Pauli, das die Dogmatiker in
kalten, scharfen Begriffen ausgemünzt hatten, wird für ihn jubelnde Erfahrung.
Vor allem wird ihm das "Christus in uns" des alten Apostels seliges Leben.
Das Gleichnis der bräutlichen Verbindung drängt sich ihm auf wie einst dem
HI. Bernhard, aber er hat es nie auf unzarte Weise ausgemalt. Am stärksten
kontrastiert zu den Zügen des selbstbewußten Recken seine Lust an demütiger
Selbstverleugnung, seine glühende Leidenssehnsucht. Hussens Scheiterhaufen hat
ihn gelockt, nicht geschreckt. Sein Auge hing an dem rosenumrankten Kreuz
Christi. "Wenn du eine Lilie, eine Rose Christi bist, so wisse, daß dein
Wandel unter Dornen sein muß." Er dürstet nach Kampf und seufzt gleich¬
zeitig nach beschaulicher Stille, und an letzterem ist nicht nur seine fromme
Innerlichkeit, sondern wohl auch echt deutsche Schüchternheit beteiligt. Ein
eigenartiges, wohl nur dem Deutschen voll verständliches Charakterbild, der
Mann mit dem Hammer und der Mann mit der Laute, der Recke, der in der
Schrift an den deutschen Adel die drohenden Mauern der Romanisten nieder¬
reißt, und der Gärtner, der gleichzeitig in dem Büchlein von der Freiheit eines
Christenmenschen die Blumen der Mystik pflegt.

Später hat Luthers Gemütsleben den überzarten Hauch der Romantik und
des Jünglingsalters abgestreift, ist derber und hausbackener geworden. Mehr
und mehr freundete sich seine scheue, strenge Seele an mit den irdischen Schöpfer¬
gaben des himmlischen Vaters. Seine große Freude an der Natur, zumal den
Blumen und Vögeln, die an die Kreaturenliebe des si. Franz erinnern kann,
nur daß sie von aller Überspanntheit frei ist, sowie seine Vorliebe für die
Musik, die ihm so manche Stunde erheiterte, ist bekannt. Nicht minder steht
vor aller Augen Luther, der Hauspatriarch, dessen Verhältnis zur getreuen
Käthe ein zwar etwas barock-humoristisches, aber unwandelbar herzliches ist,
der Familienvater, der mit seinen Kindern wieder zum Kinde wird, mit ihnen
spielt, scherzt und singt, sie schon in der Wiege aufs sinnigste beobachtet und
tieferschüttert, aber in Gott gefaßt am Sterbebette seines Lieblings, des dreizehn¬
jährigen Magdalenens. steht. Daß sein Gemütsleben nicht zur bloßen Gemüt¬
lichkeit, zum philiströsen Behagen verflacht, dafür sorgt der schwere Ernst seiner
Arbeit und der in alter Fülle fließende Strom tiefreligiösen Erlebens.

Kampfestrotz und gemütvolle Innerlichkeit sind urdeutsche Eigenschaften.
Sie finden in der Gestalt des Reformators eine wundervolle plastische Ver¬
körperung. Aber man kann noch mehr sagen. Luther ist uns auch die Personi¬
fikation des deutschen Ideals. Er ist das. was jeder echte Deutsches der sich
von unverfälschten Empfinden leiten läßt, sein möchte und sollte. Welches ist


Martin Luther, der deutsche Reformator

Geistes gegen die Sinnlichkeit miterleben. Luthers Kampf dagegen, der den
des Afrikaners an Intensität noch überbietet, spielt sich im Gebiet des rein
Geistigen ab: er ringt um den gnädigen Gott. Nachdem der nächtliche Sturm
dieses verzweifelten Kampfes ausgetobt, entfaltet sich im Morgentau die Blüte
seiner Mystik. Die Christusliebe des jugendlichen Luthers atmet den Duft
deutscher Romantik. Das „Christus für uns" Pauli, das die Dogmatiker in
kalten, scharfen Begriffen ausgemünzt hatten, wird für ihn jubelnde Erfahrung.
Vor allem wird ihm das „Christus in uns" des alten Apostels seliges Leben.
Das Gleichnis der bräutlichen Verbindung drängt sich ihm auf wie einst dem
HI. Bernhard, aber er hat es nie auf unzarte Weise ausgemalt. Am stärksten
kontrastiert zu den Zügen des selbstbewußten Recken seine Lust an demütiger
Selbstverleugnung, seine glühende Leidenssehnsucht. Hussens Scheiterhaufen hat
ihn gelockt, nicht geschreckt. Sein Auge hing an dem rosenumrankten Kreuz
Christi. „Wenn du eine Lilie, eine Rose Christi bist, so wisse, daß dein
Wandel unter Dornen sein muß." Er dürstet nach Kampf und seufzt gleich¬
zeitig nach beschaulicher Stille, und an letzterem ist nicht nur seine fromme
Innerlichkeit, sondern wohl auch echt deutsche Schüchternheit beteiligt. Ein
eigenartiges, wohl nur dem Deutschen voll verständliches Charakterbild, der
Mann mit dem Hammer und der Mann mit der Laute, der Recke, der in der
Schrift an den deutschen Adel die drohenden Mauern der Romanisten nieder¬
reißt, und der Gärtner, der gleichzeitig in dem Büchlein von der Freiheit eines
Christenmenschen die Blumen der Mystik pflegt.

Später hat Luthers Gemütsleben den überzarten Hauch der Romantik und
des Jünglingsalters abgestreift, ist derber und hausbackener geworden. Mehr
und mehr freundete sich seine scheue, strenge Seele an mit den irdischen Schöpfer¬
gaben des himmlischen Vaters. Seine große Freude an der Natur, zumal den
Blumen und Vögeln, die an die Kreaturenliebe des si. Franz erinnern kann,
nur daß sie von aller Überspanntheit frei ist, sowie seine Vorliebe für die
Musik, die ihm so manche Stunde erheiterte, ist bekannt. Nicht minder steht
vor aller Augen Luther, der Hauspatriarch, dessen Verhältnis zur getreuen
Käthe ein zwar etwas barock-humoristisches, aber unwandelbar herzliches ist,
der Familienvater, der mit seinen Kindern wieder zum Kinde wird, mit ihnen
spielt, scherzt und singt, sie schon in der Wiege aufs sinnigste beobachtet und
tieferschüttert, aber in Gott gefaßt am Sterbebette seines Lieblings, des dreizehn¬
jährigen Magdalenens. steht. Daß sein Gemütsleben nicht zur bloßen Gemüt¬
lichkeit, zum philiströsen Behagen verflacht, dafür sorgt der schwere Ernst seiner
Arbeit und der in alter Fülle fließende Strom tiefreligiösen Erlebens.

Kampfestrotz und gemütvolle Innerlichkeit sind urdeutsche Eigenschaften.
Sie finden in der Gestalt des Reformators eine wundervolle plastische Ver¬
körperung. Aber man kann noch mehr sagen. Luther ist uns auch die Personi¬
fikation des deutschen Ideals. Er ist das. was jeder echte Deutsches der sich
von unverfälschten Empfinden leiten läßt, sein möchte und sollte. Welches ist


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[0150] Martin Luther, der deutsche Reformator Geistes gegen die Sinnlichkeit miterleben. Luthers Kampf dagegen, der den des Afrikaners an Intensität noch überbietet, spielt sich im Gebiet des rein Geistigen ab: er ringt um den gnädigen Gott. Nachdem der nächtliche Sturm dieses verzweifelten Kampfes ausgetobt, entfaltet sich im Morgentau die Blüte seiner Mystik. Die Christusliebe des jugendlichen Luthers atmet den Duft deutscher Romantik. Das „Christus für uns" Pauli, das die Dogmatiker in kalten, scharfen Begriffen ausgemünzt hatten, wird für ihn jubelnde Erfahrung. Vor allem wird ihm das „Christus in uns" des alten Apostels seliges Leben. Das Gleichnis der bräutlichen Verbindung drängt sich ihm auf wie einst dem HI. Bernhard, aber er hat es nie auf unzarte Weise ausgemalt. Am stärksten kontrastiert zu den Zügen des selbstbewußten Recken seine Lust an demütiger Selbstverleugnung, seine glühende Leidenssehnsucht. Hussens Scheiterhaufen hat ihn gelockt, nicht geschreckt. Sein Auge hing an dem rosenumrankten Kreuz Christi. „Wenn du eine Lilie, eine Rose Christi bist, so wisse, daß dein Wandel unter Dornen sein muß." Er dürstet nach Kampf und seufzt gleich¬ zeitig nach beschaulicher Stille, und an letzterem ist nicht nur seine fromme Innerlichkeit, sondern wohl auch echt deutsche Schüchternheit beteiligt. Ein eigenartiges, wohl nur dem Deutschen voll verständliches Charakterbild, der Mann mit dem Hammer und der Mann mit der Laute, der Recke, der in der Schrift an den deutschen Adel die drohenden Mauern der Romanisten nieder¬ reißt, und der Gärtner, der gleichzeitig in dem Büchlein von der Freiheit eines Christenmenschen die Blumen der Mystik pflegt. Später hat Luthers Gemütsleben den überzarten Hauch der Romantik und des Jünglingsalters abgestreift, ist derber und hausbackener geworden. Mehr und mehr freundete sich seine scheue, strenge Seele an mit den irdischen Schöpfer¬ gaben des himmlischen Vaters. Seine große Freude an der Natur, zumal den Blumen und Vögeln, die an die Kreaturenliebe des si. Franz erinnern kann, nur daß sie von aller Überspanntheit frei ist, sowie seine Vorliebe für die Musik, die ihm so manche Stunde erheiterte, ist bekannt. Nicht minder steht vor aller Augen Luther, der Hauspatriarch, dessen Verhältnis zur getreuen Käthe ein zwar etwas barock-humoristisches, aber unwandelbar herzliches ist, der Familienvater, der mit seinen Kindern wieder zum Kinde wird, mit ihnen spielt, scherzt und singt, sie schon in der Wiege aufs sinnigste beobachtet und tieferschüttert, aber in Gott gefaßt am Sterbebette seines Lieblings, des dreizehn¬ jährigen Magdalenens. steht. Daß sein Gemütsleben nicht zur bloßen Gemüt¬ lichkeit, zum philiströsen Behagen verflacht, dafür sorgt der schwere Ernst seiner Arbeit und der in alter Fülle fließende Strom tiefreligiösen Erlebens. Kampfestrotz und gemütvolle Innerlichkeit sind urdeutsche Eigenschaften. Sie finden in der Gestalt des Reformators eine wundervolle plastische Ver¬ körperung. Aber man kann noch mehr sagen. Luther ist uns auch die Personi¬ fikation des deutschen Ideals. Er ist das. was jeder echte Deutsches der sich von unverfälschten Empfinden leiten läßt, sein möchte und sollte. Welches ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/150>, abgerufen am 01.09.2024.