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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Martin Luther, der deutsche Reformator

Goethes kräftiges, wenn auch einseitiges Wort: "Das einzige, was uns an der
Reformation interessiert, ist Luthers Charakter, und es ist auch das einzige,
was der Menge wirklich imponiert hat. Alles übrige ist nur ein verworrener
Quark" paßt heute besser als zum Reformationsjubiläum 1817.

Man wird mit Recht Luthers kerndeutsches Bewußtsein betonen. Zeit¬
lebens ist ja der Reformator stolz gewesen, dem deutschen Volke anzugehören,
dem Volke mit der ruhmreichen Vergangenheit, das Karl den Großen und die
Hohenstaufenfürsten hervorgebracht hat, dem Volke, das gleichwohl schon zu
seiner Zeit Italiener und Franzosen za lästern und verachten pflegten. Deutsche
Ungeschliffenheit war ihm lieber ulS die geschmeidige Unzuverlässigkeit der
"Walen", und bitter hat er es beklagt, daß deutsche Männer und Frauen sich
nicht schämten, "aller Nationen Affen" zu sein. Er hat seine Deutschen auf
gut deutsch ausgezankt wegen ihrer Uneinigkeit und Hadersucht, die er bereits
mit scharfem Blick als ein verhängnisvolles Nationallaster erkannte, und vor
allem wegen ihrer Trunksucht, die Bauern, Adel und Fürsten verdarb. Wie
hat er sie trotzdem geliebt I "Ich meine es von Herzen treulich mit euch und
dem ganzen deutschen Land; wollten doch, die mich verachten, das einsehen,
daß ich nicht das meine, sondern allein des ganzen Landes Glück und Heil
suche! Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen." Er hat,
wie Ulrich von Hütten, sein ritterlicher Kampfgenoß der zwanziger Jahre, den
Traum von einem machtvollen und großen, von römischer Bevormundung
freien deutschen Vaterlande geträumt. Voller Hoffnung, beinah zärtlich hat er
das "edle, junge Blut", Kaiser Karl den Fünften, willkommen geheißen und
es nie verwunden, daß dessen welscher Geist deutschen" Wesen fremd blieb;
und man darf gewiß urteilen, daß nicht bloß der Respekt vor der paulinischen
Weisung: "Jedermann sei Untertan der Obrigkeit", sondern auch starkes alt¬
deutsches Empfinden, dem die übliche territoriale Kirchturmspolitik zuwider war,
sein hartnäckiges Sichsträuben gegen evangelische Sonderbündelei und bewaff¬
neten Widerstand gegen kaiserliche Gewalt erklärt.

Mit Nachdruck wird hervorgehoben werden, was Luther für die deutsche
Kultur geleistet hat, vor allen Dingen dadurch, daß er durch seine markigen
und volkstümlichen Schriften und seine Bibelübersetzung die einheitliche neu¬
deutsche Sprache geschaffen und so der wunderlichen, zerfahrenen und zerfließenden
deutschen Seele einen kräftigen, biegsamen Leib mit ausdrucksvollen Antlitz
gegeben hat, und daß er, obschon naturgemäß hauptsächlich für Universität und
Lateinschulen interessiert, durch seine Katechismen der geistige Vater der deutschen
Volksschule geworden ist --, um von den gewaltigen Kulturwerten, die in
seiner religiösen Reform beschlossen liegen, zunächst noch zu schweigen.

Noch bedeutsamer aber, so muß und wird es heißen, ist Luther für das
deutsche Volk dadurch geworden, daß sich in seiner Person in echtester, eindrucks¬
vollster, überzeugendster Weise deutsche Art verkörpert. Seine Gestalt mutet
uns deutscher an, ist deutschem Empfinden anheimelnder als die Goethes, der


Martin Luther, der deutsche Reformator

Goethes kräftiges, wenn auch einseitiges Wort: „Das einzige, was uns an der
Reformation interessiert, ist Luthers Charakter, und es ist auch das einzige,
was der Menge wirklich imponiert hat. Alles übrige ist nur ein verworrener
Quark" paßt heute besser als zum Reformationsjubiläum 1817.

Man wird mit Recht Luthers kerndeutsches Bewußtsein betonen. Zeit¬
lebens ist ja der Reformator stolz gewesen, dem deutschen Volke anzugehören,
dem Volke mit der ruhmreichen Vergangenheit, das Karl den Großen und die
Hohenstaufenfürsten hervorgebracht hat, dem Volke, das gleichwohl schon zu
seiner Zeit Italiener und Franzosen za lästern und verachten pflegten. Deutsche
Ungeschliffenheit war ihm lieber ulS die geschmeidige Unzuverlässigkeit der
„Walen", und bitter hat er es beklagt, daß deutsche Männer und Frauen sich
nicht schämten, „aller Nationen Affen" zu sein. Er hat seine Deutschen auf
gut deutsch ausgezankt wegen ihrer Uneinigkeit und Hadersucht, die er bereits
mit scharfem Blick als ein verhängnisvolles Nationallaster erkannte, und vor
allem wegen ihrer Trunksucht, die Bauern, Adel und Fürsten verdarb. Wie
hat er sie trotzdem geliebt I „Ich meine es von Herzen treulich mit euch und
dem ganzen deutschen Land; wollten doch, die mich verachten, das einsehen,
daß ich nicht das meine, sondern allein des ganzen Landes Glück und Heil
suche! Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen." Er hat,
wie Ulrich von Hütten, sein ritterlicher Kampfgenoß der zwanziger Jahre, den
Traum von einem machtvollen und großen, von römischer Bevormundung
freien deutschen Vaterlande geträumt. Voller Hoffnung, beinah zärtlich hat er
das „edle, junge Blut", Kaiser Karl den Fünften, willkommen geheißen und
es nie verwunden, daß dessen welscher Geist deutschen« Wesen fremd blieb;
und man darf gewiß urteilen, daß nicht bloß der Respekt vor der paulinischen
Weisung: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit", sondern auch starkes alt¬
deutsches Empfinden, dem die übliche territoriale Kirchturmspolitik zuwider war,
sein hartnäckiges Sichsträuben gegen evangelische Sonderbündelei und bewaff¬
neten Widerstand gegen kaiserliche Gewalt erklärt.

Mit Nachdruck wird hervorgehoben werden, was Luther für die deutsche
Kultur geleistet hat, vor allen Dingen dadurch, daß er durch seine markigen
und volkstümlichen Schriften und seine Bibelübersetzung die einheitliche neu¬
deutsche Sprache geschaffen und so der wunderlichen, zerfahrenen und zerfließenden
deutschen Seele einen kräftigen, biegsamen Leib mit ausdrucksvollen Antlitz
gegeben hat, und daß er, obschon naturgemäß hauptsächlich für Universität und
Lateinschulen interessiert, durch seine Katechismen der geistige Vater der deutschen
Volksschule geworden ist —, um von den gewaltigen Kulturwerten, die in
seiner religiösen Reform beschlossen liegen, zunächst noch zu schweigen.

Noch bedeutsamer aber, so muß und wird es heißen, ist Luther für das
deutsche Volk dadurch geworden, daß sich in seiner Person in echtester, eindrucks¬
vollster, überzeugendster Weise deutsche Art verkörpert. Seine Gestalt mutet
uns deutscher an, ist deutschem Empfinden anheimelnder als die Goethes, der


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[0148] Martin Luther, der deutsche Reformator Goethes kräftiges, wenn auch einseitiges Wort: „Das einzige, was uns an der Reformation interessiert, ist Luthers Charakter, und es ist auch das einzige, was der Menge wirklich imponiert hat. Alles übrige ist nur ein verworrener Quark" paßt heute besser als zum Reformationsjubiläum 1817. Man wird mit Recht Luthers kerndeutsches Bewußtsein betonen. Zeit¬ lebens ist ja der Reformator stolz gewesen, dem deutschen Volke anzugehören, dem Volke mit der ruhmreichen Vergangenheit, das Karl den Großen und die Hohenstaufenfürsten hervorgebracht hat, dem Volke, das gleichwohl schon zu seiner Zeit Italiener und Franzosen za lästern und verachten pflegten. Deutsche Ungeschliffenheit war ihm lieber ulS die geschmeidige Unzuverlässigkeit der „Walen", und bitter hat er es beklagt, daß deutsche Männer und Frauen sich nicht schämten, „aller Nationen Affen" zu sein. Er hat seine Deutschen auf gut deutsch ausgezankt wegen ihrer Uneinigkeit und Hadersucht, die er bereits mit scharfem Blick als ein verhängnisvolles Nationallaster erkannte, und vor allem wegen ihrer Trunksucht, die Bauern, Adel und Fürsten verdarb. Wie hat er sie trotzdem geliebt I „Ich meine es von Herzen treulich mit euch und dem ganzen deutschen Land; wollten doch, die mich verachten, das einsehen, daß ich nicht das meine, sondern allein des ganzen Landes Glück und Heil suche! Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen." Er hat, wie Ulrich von Hütten, sein ritterlicher Kampfgenoß der zwanziger Jahre, den Traum von einem machtvollen und großen, von römischer Bevormundung freien deutschen Vaterlande geträumt. Voller Hoffnung, beinah zärtlich hat er das „edle, junge Blut", Kaiser Karl den Fünften, willkommen geheißen und es nie verwunden, daß dessen welscher Geist deutschen« Wesen fremd blieb; und man darf gewiß urteilen, daß nicht bloß der Respekt vor der paulinischen Weisung: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit", sondern auch starkes alt¬ deutsches Empfinden, dem die übliche territoriale Kirchturmspolitik zuwider war, sein hartnäckiges Sichsträuben gegen evangelische Sonderbündelei und bewaff¬ neten Widerstand gegen kaiserliche Gewalt erklärt. Mit Nachdruck wird hervorgehoben werden, was Luther für die deutsche Kultur geleistet hat, vor allen Dingen dadurch, daß er durch seine markigen und volkstümlichen Schriften und seine Bibelübersetzung die einheitliche neu¬ deutsche Sprache geschaffen und so der wunderlichen, zerfahrenen und zerfließenden deutschen Seele einen kräftigen, biegsamen Leib mit ausdrucksvollen Antlitz gegeben hat, und daß er, obschon naturgemäß hauptsächlich für Universität und Lateinschulen interessiert, durch seine Katechismen der geistige Vater der deutschen Volksschule geworden ist —, um von den gewaltigen Kulturwerten, die in seiner religiösen Reform beschlossen liegen, zunächst noch zu schweigen. Noch bedeutsamer aber, so muß und wird es heißen, ist Luther für das deutsche Volk dadurch geworden, daß sich in seiner Person in echtester, eindrucks¬ vollster, überzeugendster Weise deutsche Art verkörpert. Seine Gestalt mutet uns deutscher an, ist deutschem Empfinden anheimelnder als die Goethes, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/148>, abgerufen am 01.09.2024.