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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die neue Prüfungsordnung

aber man hat wenigstens einen Ausweg eröffnet. Statt des einen Neben¬
faches nämlich, das die Prüfungsordnung verlangt, kann der Kandidat auch
ein "Zusatzfach" wählen. Die meisten aber dienen zur Vertiefung des ge¬
wählten Hauptfaches, so daß durch dieses Mittel die Bildung des Kandidaten
geradezu vereinheitlicht wird. An der Spitze steht die philosophische Propädeuti!
und die Pädagogik; es folgen angewandte Mathematik. Mineralogie und Geo¬
logie, klassische Archäologie, Geschichte der Kunst des Mittelalters und der Neu¬
zeit, vergleichende Sprachwissenschaft -- alles, wie man sieht, Fächer, die auf
den höheren Schulen überhaupt nicht gelehrt werden, mithin lediglich zur Ver¬
tiefung der wissenschaftlichen Bildung des Prüflings dienen. Er wird so in
den Stand gesetzt, dies Fach zu betreiben, ohne sich doch von seinem Haupt¬
fach zu entfernen. Auch die nun folgenden Sprachfächer, die nur an einzelnen
Lehranstalten Platz finden, werden der Vertiefung anderer Fächer dienen:
Polnisch, Dänisch. Russisch, Spanisch. Italienisch und Türkisch. Daß auch die
drei technischen Fächer -- Gesang, Turnen und Zeichnen -- hier Platz ge¬
funden haben, entspricht dem Wert, der ihnen auf Grund der modernen Theorien
beigemessen wird.

Daneben besteht die Möglichkeit fort, daß der Kandidat ein "Nebenfach"
wählt. Hier liegt eine Inkonsequenz oder mindestens ein Rückfall in frühere
Anschauungen vor: es ist ungemein schwer, z. B. die Kenntnisse im Lateinischen
als Nebenfach gegen die Kenntnisse im Lateinischen als Hauptfach abzugrenzen.
So sehr sich auch die Prüfungsordnung Mühe gibt, dies zu erreichen -- das
Resultat wird stets sein, daß der eine Prüfende mehr, der andere weniger im
Nebenfach verlangt; es ist aber kein angenehmes Gefühl für den Kandidaten,
von der Willkür des Prüfenden abzuhängen. Der Erfolg war früher, als nur
ein Hauptfach angemeldet zu werden brauchte, daß zwei versucht wurden.
Jetzt, wo zwei verlangt werden, ist das Nebenfach natürlich noch gefährlicher,
denn es ist bei den immerhin nicht leichten Anforderungen, die überhaupt ge¬
stellt werden, nicht gut angängig, drei Fächer anzumelden. Wird aber das
angestrebte Nebenfach als solches gemeldet, so bleibt es eben bei der Elastizität
der Grenzen und der Willkür des Prüfenden. Darum sollten die Zusatzfächer
bevorzugt werden, und das wird bei allen einsichtigen Studierenden der Fall
sein. Der Grund, weshalb die Prüfungsordnung an dem einen Nebenfach
festhielt, war die Anschauung, daß ein Kandidat besser verwendbar wäre, wenn
er in drei Fächern unterrichten könne. Aber auch der Kommentar nimmt ohne
weiteres an, daß der Kandidat nach der gründlichen Wetterbildung durch die
beiden Vorbereitungsjahre jedenfalls mindestens in der Lage sein wird, den
Unterricht im Deutschen auf der Unterstufe zu erteilen -- weshalb also dann
noch ein Nebenfach?

Dem Grundsatze, daß hinter der gründlichen wissenschaftlichen Bildung
alles andere zurückstehen müsse, ist dasselbe Opfer gebracht worden, das im
medizinischen Examen längst üblich ist. Nach Erfüllung der Mindestforderung


Die neue Prüfungsordnung

aber man hat wenigstens einen Ausweg eröffnet. Statt des einen Neben¬
faches nämlich, das die Prüfungsordnung verlangt, kann der Kandidat auch
ein „Zusatzfach" wählen. Die meisten aber dienen zur Vertiefung des ge¬
wählten Hauptfaches, so daß durch dieses Mittel die Bildung des Kandidaten
geradezu vereinheitlicht wird. An der Spitze steht die philosophische Propädeuti!
und die Pädagogik; es folgen angewandte Mathematik. Mineralogie und Geo¬
logie, klassische Archäologie, Geschichte der Kunst des Mittelalters und der Neu¬
zeit, vergleichende Sprachwissenschaft — alles, wie man sieht, Fächer, die auf
den höheren Schulen überhaupt nicht gelehrt werden, mithin lediglich zur Ver¬
tiefung der wissenschaftlichen Bildung des Prüflings dienen. Er wird so in
den Stand gesetzt, dies Fach zu betreiben, ohne sich doch von seinem Haupt¬
fach zu entfernen. Auch die nun folgenden Sprachfächer, die nur an einzelnen
Lehranstalten Platz finden, werden der Vertiefung anderer Fächer dienen:
Polnisch, Dänisch. Russisch, Spanisch. Italienisch und Türkisch. Daß auch die
drei technischen Fächer — Gesang, Turnen und Zeichnen — hier Platz ge¬
funden haben, entspricht dem Wert, der ihnen auf Grund der modernen Theorien
beigemessen wird.

Daneben besteht die Möglichkeit fort, daß der Kandidat ein „Nebenfach"
wählt. Hier liegt eine Inkonsequenz oder mindestens ein Rückfall in frühere
Anschauungen vor: es ist ungemein schwer, z. B. die Kenntnisse im Lateinischen
als Nebenfach gegen die Kenntnisse im Lateinischen als Hauptfach abzugrenzen.
So sehr sich auch die Prüfungsordnung Mühe gibt, dies zu erreichen — das
Resultat wird stets sein, daß der eine Prüfende mehr, der andere weniger im
Nebenfach verlangt; es ist aber kein angenehmes Gefühl für den Kandidaten,
von der Willkür des Prüfenden abzuhängen. Der Erfolg war früher, als nur
ein Hauptfach angemeldet zu werden brauchte, daß zwei versucht wurden.
Jetzt, wo zwei verlangt werden, ist das Nebenfach natürlich noch gefährlicher,
denn es ist bei den immerhin nicht leichten Anforderungen, die überhaupt ge¬
stellt werden, nicht gut angängig, drei Fächer anzumelden. Wird aber das
angestrebte Nebenfach als solches gemeldet, so bleibt es eben bei der Elastizität
der Grenzen und der Willkür des Prüfenden. Darum sollten die Zusatzfächer
bevorzugt werden, und das wird bei allen einsichtigen Studierenden der Fall
sein. Der Grund, weshalb die Prüfungsordnung an dem einen Nebenfach
festhielt, war die Anschauung, daß ein Kandidat besser verwendbar wäre, wenn
er in drei Fächern unterrichten könne. Aber auch der Kommentar nimmt ohne
weiteres an, daß der Kandidat nach der gründlichen Wetterbildung durch die
beiden Vorbereitungsjahre jedenfalls mindestens in der Lage sein wird, den
Unterricht im Deutschen auf der Unterstufe zu erteilen — weshalb also dann
noch ein Nebenfach?

Dem Grundsatze, daß hinter der gründlichen wissenschaftlichen Bildung
alles andere zurückstehen müsse, ist dasselbe Opfer gebracht worden, das im
medizinischen Examen längst üblich ist. Nach Erfüllung der Mindestforderung


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[0126] Die neue Prüfungsordnung aber man hat wenigstens einen Ausweg eröffnet. Statt des einen Neben¬ faches nämlich, das die Prüfungsordnung verlangt, kann der Kandidat auch ein „Zusatzfach" wählen. Die meisten aber dienen zur Vertiefung des ge¬ wählten Hauptfaches, so daß durch dieses Mittel die Bildung des Kandidaten geradezu vereinheitlicht wird. An der Spitze steht die philosophische Propädeuti! und die Pädagogik; es folgen angewandte Mathematik. Mineralogie und Geo¬ logie, klassische Archäologie, Geschichte der Kunst des Mittelalters und der Neu¬ zeit, vergleichende Sprachwissenschaft — alles, wie man sieht, Fächer, die auf den höheren Schulen überhaupt nicht gelehrt werden, mithin lediglich zur Ver¬ tiefung der wissenschaftlichen Bildung des Prüflings dienen. Er wird so in den Stand gesetzt, dies Fach zu betreiben, ohne sich doch von seinem Haupt¬ fach zu entfernen. Auch die nun folgenden Sprachfächer, die nur an einzelnen Lehranstalten Platz finden, werden der Vertiefung anderer Fächer dienen: Polnisch, Dänisch. Russisch, Spanisch. Italienisch und Türkisch. Daß auch die drei technischen Fächer — Gesang, Turnen und Zeichnen — hier Platz ge¬ funden haben, entspricht dem Wert, der ihnen auf Grund der modernen Theorien beigemessen wird. Daneben besteht die Möglichkeit fort, daß der Kandidat ein „Nebenfach" wählt. Hier liegt eine Inkonsequenz oder mindestens ein Rückfall in frühere Anschauungen vor: es ist ungemein schwer, z. B. die Kenntnisse im Lateinischen als Nebenfach gegen die Kenntnisse im Lateinischen als Hauptfach abzugrenzen. So sehr sich auch die Prüfungsordnung Mühe gibt, dies zu erreichen — das Resultat wird stets sein, daß der eine Prüfende mehr, der andere weniger im Nebenfach verlangt; es ist aber kein angenehmes Gefühl für den Kandidaten, von der Willkür des Prüfenden abzuhängen. Der Erfolg war früher, als nur ein Hauptfach angemeldet zu werden brauchte, daß zwei versucht wurden. Jetzt, wo zwei verlangt werden, ist das Nebenfach natürlich noch gefährlicher, denn es ist bei den immerhin nicht leichten Anforderungen, die überhaupt ge¬ stellt werden, nicht gut angängig, drei Fächer anzumelden. Wird aber das angestrebte Nebenfach als solches gemeldet, so bleibt es eben bei der Elastizität der Grenzen und der Willkür des Prüfenden. Darum sollten die Zusatzfächer bevorzugt werden, und das wird bei allen einsichtigen Studierenden der Fall sein. Der Grund, weshalb die Prüfungsordnung an dem einen Nebenfach festhielt, war die Anschauung, daß ein Kandidat besser verwendbar wäre, wenn er in drei Fächern unterrichten könne. Aber auch der Kommentar nimmt ohne weiteres an, daß der Kandidat nach der gründlichen Wetterbildung durch die beiden Vorbereitungsjahre jedenfalls mindestens in der Lage sein wird, den Unterricht im Deutschen auf der Unterstufe zu erteilen — weshalb also dann noch ein Nebenfach? Dem Grundsatze, daß hinter der gründlichen wissenschaftlichen Bildung alles andere zurückstehen müsse, ist dasselbe Opfer gebracht worden, das im medizinischen Examen längst üblich ist. Nach Erfüllung der Mindestforderung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/126>, abgerufen am 01.09.2024.