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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Das mitteleuropäische Xriegsziel

Denn ihre Begrüßung war nicht allzu freundlich, als er sein neues Amt antrat.
Das ist es aber, was wir brauchen, wenn wir ein Mitteleuropa gründen
wollen: europäisches politisches Fühlen müssen wir haben. Im mitteleuropäischen
Verbände mit Österreich-Ungarn werden wir manche politische Schwierigkeiten
haben, die wir für uns allein vielleicht nicht hätten. Wir müssen die Interessen
anderer Völkerschaften in einem Maße neben den unseren gelten lassen, das
wir für uns allein nicht nötig hätten. Wir werden sogar hier und da ein
kleines Opfer bringen müssen. Die innere Festigkeit, die Mitteleuropa durch
den dauernden Bund Deutschlands und Österreich-Ungarns gewinnen wird, die
Ruhe, die durch diese politische Ordnung in das Staatensystem Europas kommen
kann, sind solcher Opfer wert. Ob die Politik eines Staates nur von seinen
eigenen unmittelbarsten Interessen diktiert sein darf und soll oder nicht, ist eine
Frage, die nicht allgemein beantwortet werden kann. Wir sind zurzeit in dieser
Lage nicht! Wir brauchen für unsere politischen Aufgaben Blick für die Inter¬
essen und gemeinsamen Kulturbedürfnifse aller mitteleuropäischen Völker, d. h.
wir brauchen etwas politischen Idealismus. So gut, wie wir in Belgien unklug
wären, wenn wir nur unser militärisch-wirtschaftliches und nicht auch das
Interesse der Flamen im Auge haben wollten, so gut wäre es töricht, wenn
wir unsere Begeisterung für Mitteleuropa nur nach dem augenblicklichen mate¬
riellen Vorteil, den uns ein Wirtschaftsbündnis mit Österreich-Ungarn bringen
könnte, abmessen wollten. Allerdings soll der mitteleuropäische Bund zwischen
in:s und der Donaumonarchie vor allem auch auf gesunde wirtschaftliche Grund¬
lagen gestellt werden. Aber das wäre verkehrt, wenn man die Frage, ob er
überhaupt geschlossen werden soll, lediglich von wirtschaftlichen Erwägungen
abhängig machen wollte. Ich fürchte freilich, daß noch weite Kreise bei uns
die Sache so ansehen: was haben wir für Vorteil, wenn wir uns an Österreich-
Ungarn binden? Die Dinge liegen aber vielmehr so: wir müßten den Bund
schließen, auch wenn wir wirtschaftlichen Nachteil davon hätten. Denn wir
brauchen ihn, weil wir nicht zulassen können, daß das österreichisch-ungarische
Slawentum -- das wir doch einmal, auch bei martialischsten politischen An¬
schauungen, nicht vertilgen können -- sich zu einer uns feindlichen Macht aus¬
machst, und weil uns deswegen gar nichts anderes übrig bleibt, als es -- gern
oder nicht! -- zum Bundesgenossen zu gewinnen. Wir brauchen den mittel¬
europäischen Bund weiter, um zu Völkern wie Magyaren und Türken, die welt¬
politisch unsere Schicksalsgenossen geworden sind, die Wege offen zu halten.
Und wir brauchen ihn. um zwölf Millionen Volksgenossen, die in der Donau¬
monarchie wohnen, für unsere nationale Kraft nicht verloren gehen zu lassen.
Soll es noch so weit kommen, daß der Österreicher sich nicht mehr als Deutscher
fühlt, sondern als Nationalität für sich? Wir haben es ja an der Schweiz
erlebt, wie es gehen kann; wir überwinden nur höchst mühsam im Elsaß die
Folgen einer ähnlichen Sonderentwicklnng. Und wenn die deutsche Wirtschaft
im Zollbund mit Österreich-Ungarn dauernd Opfer brächte: allein die zwölf


Das mitteleuropäische Xriegsziel

Denn ihre Begrüßung war nicht allzu freundlich, als er sein neues Amt antrat.
Das ist es aber, was wir brauchen, wenn wir ein Mitteleuropa gründen
wollen: europäisches politisches Fühlen müssen wir haben. Im mitteleuropäischen
Verbände mit Österreich-Ungarn werden wir manche politische Schwierigkeiten
haben, die wir für uns allein vielleicht nicht hätten. Wir müssen die Interessen
anderer Völkerschaften in einem Maße neben den unseren gelten lassen, das
wir für uns allein nicht nötig hätten. Wir werden sogar hier und da ein
kleines Opfer bringen müssen. Die innere Festigkeit, die Mitteleuropa durch
den dauernden Bund Deutschlands und Österreich-Ungarns gewinnen wird, die
Ruhe, die durch diese politische Ordnung in das Staatensystem Europas kommen
kann, sind solcher Opfer wert. Ob die Politik eines Staates nur von seinen
eigenen unmittelbarsten Interessen diktiert sein darf und soll oder nicht, ist eine
Frage, die nicht allgemein beantwortet werden kann. Wir sind zurzeit in dieser
Lage nicht! Wir brauchen für unsere politischen Aufgaben Blick für die Inter¬
essen und gemeinsamen Kulturbedürfnifse aller mitteleuropäischen Völker, d. h.
wir brauchen etwas politischen Idealismus. So gut, wie wir in Belgien unklug
wären, wenn wir nur unser militärisch-wirtschaftliches und nicht auch das
Interesse der Flamen im Auge haben wollten, so gut wäre es töricht, wenn
wir unsere Begeisterung für Mitteleuropa nur nach dem augenblicklichen mate¬
riellen Vorteil, den uns ein Wirtschaftsbündnis mit Österreich-Ungarn bringen
könnte, abmessen wollten. Allerdings soll der mitteleuropäische Bund zwischen
in:s und der Donaumonarchie vor allem auch auf gesunde wirtschaftliche Grund¬
lagen gestellt werden. Aber das wäre verkehrt, wenn man die Frage, ob er
überhaupt geschlossen werden soll, lediglich von wirtschaftlichen Erwägungen
abhängig machen wollte. Ich fürchte freilich, daß noch weite Kreise bei uns
die Sache so ansehen: was haben wir für Vorteil, wenn wir uns an Österreich-
Ungarn binden? Die Dinge liegen aber vielmehr so: wir müßten den Bund
schließen, auch wenn wir wirtschaftlichen Nachteil davon hätten. Denn wir
brauchen ihn, weil wir nicht zulassen können, daß das österreichisch-ungarische
Slawentum — das wir doch einmal, auch bei martialischsten politischen An¬
schauungen, nicht vertilgen können — sich zu einer uns feindlichen Macht aus¬
machst, und weil uns deswegen gar nichts anderes übrig bleibt, als es — gern
oder nicht! — zum Bundesgenossen zu gewinnen. Wir brauchen den mittel¬
europäischen Bund weiter, um zu Völkern wie Magyaren und Türken, die welt¬
politisch unsere Schicksalsgenossen geworden sind, die Wege offen zu halten.
Und wir brauchen ihn. um zwölf Millionen Volksgenossen, die in der Donau¬
monarchie wohnen, für unsere nationale Kraft nicht verloren gehen zu lassen.
Soll es noch so weit kommen, daß der Österreicher sich nicht mehr als Deutscher
fühlt, sondern als Nationalität für sich? Wir haben es ja an der Schweiz
erlebt, wie es gehen kann; wir überwinden nur höchst mühsam im Elsaß die
Folgen einer ähnlichen Sonderentwicklnng. Und wenn die deutsche Wirtschaft
im Zollbund mit Österreich-Ungarn dauernd Opfer brächte: allein die zwölf


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[0120] Das mitteleuropäische Xriegsziel Denn ihre Begrüßung war nicht allzu freundlich, als er sein neues Amt antrat. Das ist es aber, was wir brauchen, wenn wir ein Mitteleuropa gründen wollen: europäisches politisches Fühlen müssen wir haben. Im mitteleuropäischen Verbände mit Österreich-Ungarn werden wir manche politische Schwierigkeiten haben, die wir für uns allein vielleicht nicht hätten. Wir müssen die Interessen anderer Völkerschaften in einem Maße neben den unseren gelten lassen, das wir für uns allein nicht nötig hätten. Wir werden sogar hier und da ein kleines Opfer bringen müssen. Die innere Festigkeit, die Mitteleuropa durch den dauernden Bund Deutschlands und Österreich-Ungarns gewinnen wird, die Ruhe, die durch diese politische Ordnung in das Staatensystem Europas kommen kann, sind solcher Opfer wert. Ob die Politik eines Staates nur von seinen eigenen unmittelbarsten Interessen diktiert sein darf und soll oder nicht, ist eine Frage, die nicht allgemein beantwortet werden kann. Wir sind zurzeit in dieser Lage nicht! Wir brauchen für unsere politischen Aufgaben Blick für die Inter¬ essen und gemeinsamen Kulturbedürfnifse aller mitteleuropäischen Völker, d. h. wir brauchen etwas politischen Idealismus. So gut, wie wir in Belgien unklug wären, wenn wir nur unser militärisch-wirtschaftliches und nicht auch das Interesse der Flamen im Auge haben wollten, so gut wäre es töricht, wenn wir unsere Begeisterung für Mitteleuropa nur nach dem augenblicklichen mate¬ riellen Vorteil, den uns ein Wirtschaftsbündnis mit Österreich-Ungarn bringen könnte, abmessen wollten. Allerdings soll der mitteleuropäische Bund zwischen in:s und der Donaumonarchie vor allem auch auf gesunde wirtschaftliche Grund¬ lagen gestellt werden. Aber das wäre verkehrt, wenn man die Frage, ob er überhaupt geschlossen werden soll, lediglich von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig machen wollte. Ich fürchte freilich, daß noch weite Kreise bei uns die Sache so ansehen: was haben wir für Vorteil, wenn wir uns an Österreich- Ungarn binden? Die Dinge liegen aber vielmehr so: wir müßten den Bund schließen, auch wenn wir wirtschaftlichen Nachteil davon hätten. Denn wir brauchen ihn, weil wir nicht zulassen können, daß das österreichisch-ungarische Slawentum — das wir doch einmal, auch bei martialischsten politischen An¬ schauungen, nicht vertilgen können — sich zu einer uns feindlichen Macht aus¬ machst, und weil uns deswegen gar nichts anderes übrig bleibt, als es — gern oder nicht! — zum Bundesgenossen zu gewinnen. Wir brauchen den mittel¬ europäischen Bund weiter, um zu Völkern wie Magyaren und Türken, die welt¬ politisch unsere Schicksalsgenossen geworden sind, die Wege offen zu halten. Und wir brauchen ihn. um zwölf Millionen Volksgenossen, die in der Donau¬ monarchie wohnen, für unsere nationale Kraft nicht verloren gehen zu lassen. Soll es noch so weit kommen, daß der Österreicher sich nicht mehr als Deutscher fühlt, sondern als Nationalität für sich? Wir haben es ja an der Schweiz erlebt, wie es gehen kann; wir überwinden nur höchst mühsam im Elsaß die Folgen einer ähnlichen Sonderentwicklnng. Und wenn die deutsche Wirtschaft im Zollbund mit Österreich-Ungarn dauernd Opfer brächte: allein die zwölf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/120>, abgerufen am 01.09.2024.