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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die Regierungskrise

Staatslenker des Deutschen Reiches das volle Vertrauen des Volkes, dessen er
nun einmal nicht entraten kann, und das ihm wenigstens heute, in der unsäg¬
lichen Bedrängnis des Weltkrieges nicht von selbst in den Schoß fällt, aus
seinen Weg zu geben!

Denn das kann doch keine Frage sein: was dem Reichskanzler Michaelis
bei allen seinen Vorzügen und bei seinem guten Willen abgegangen ist und
noch abgeht, das ist die Fähigkeit, sich das Vertrauen der Volksvertretung zu
erwerben und zu erhalten. Er ist, so scheint es doch, nicht der große und
selbstsichere Staatsmann, der unbeirrbar durch äußere Einflüsse, durch das ver¬
wirrende Parteigetriebe geradeaus seinen Weg geht, er ist auch nicht das Genie,
das in jeder noch so schwierigen Lage intuitio das Rechte findet, er ist auch
nicht entfernt der Meister des Wortes, der jeden Anstoß zu meiden und nötigen¬
falls Öl auf die brausenden, hochgehenden Wogen zu gießen weiß. Was ihn
charakterisiert, ist das Streben, es möglichst allen Parteien recht zu machen
und sie alle zu gewinnen. Er hat es sich unsägliche Mühe kosten lassen, zwischen
Szylla und Karubdis, der Reichstagsmehrheit und Minderheit, hindurchzusteuern.
Das hätte vielleicht zu einer Zeit gelingen können, wo noch die Erörterung
der Kriegsziele verboten und der Burgfriede in Geltung war. Es hat doch
seinen guten Grund gehabt, daß Herr von Bethmann Hollweg so lange Zeit
hindurch die Erörterung der Kriegsziele nicht freigeben wollte. Wäre es in
der Tat nicht richtiger gewesen, mit der Freigabe noch so lange zurückzuhalten,
bis die Regierung selbst in der Lage war, ihre eigenen Kriegsziele bekannt zu
geben? Hat uns die Freigabe denn irgendetwas anderes eingetragen, als die
Entfesselung eines ungeheuren, hoffnungslosen, widerwärtigen Meinungsstreites,
der schlechterdings gar nichts genützt, nur geschadet hat und der jedem leitenden
Staatsmann das Leben ganz unsäglich schwer, eigentlich unmöglich machen
muß? Herr Dr. Michaelis hat die Sysiphuscirbeit unternommen, sich zwischen
dem hin- und herwogenden Meinungsgetriebe durchzuwinden. Das konnte nur
mittels der geflissentlicher Vermeidung einer klaren und entschiedenen Stellung¬
nahme geschehen, die aber von allen Taktiken doch wohl die allergefährlichste,
ja die allerverkehrteste war. Sein Unglück fing an, als er die Friedensresolution
vom 19. Juli nur unter der Klausel "wie ich sie auffasse" passieren ließ. Das
Wort war ja gewiß nicht als eine hinterhältige ressrvatio mentalis gemeint,
sollte den Kanzler vielmehr nur davor sichern, daß die immerhin nicht ganz
eindeutige Resolution zu einer unliebsamen Fessel werden könne; aber es ist
doch zu einem geflügelten Wort geworden, dessen skrupellose Anwendung einen
Schatten auf den Kanzler fallen läßt.

Um die Friedensresolution, die im Grunde genommen durch das Nicht-
eingehen unserer Feinde auf sie hinfällig geworden ist, ist nun schon ein volles
Vierteljahr mit einer Erbitterung gekämpft worden, die unbegreiflich, ja absurd
ist, Der Kanzler schien einen Augenblick von ihr abrücken zu wollen, was
jene Krise vom August herbeiführte; er hat sich ihr dann wieder in der Amt-


Die Regierungskrise

Staatslenker des Deutschen Reiches das volle Vertrauen des Volkes, dessen er
nun einmal nicht entraten kann, und das ihm wenigstens heute, in der unsäg¬
lichen Bedrängnis des Weltkrieges nicht von selbst in den Schoß fällt, aus
seinen Weg zu geben!

Denn das kann doch keine Frage sein: was dem Reichskanzler Michaelis
bei allen seinen Vorzügen und bei seinem guten Willen abgegangen ist und
noch abgeht, das ist die Fähigkeit, sich das Vertrauen der Volksvertretung zu
erwerben und zu erhalten. Er ist, so scheint es doch, nicht der große und
selbstsichere Staatsmann, der unbeirrbar durch äußere Einflüsse, durch das ver¬
wirrende Parteigetriebe geradeaus seinen Weg geht, er ist auch nicht das Genie,
das in jeder noch so schwierigen Lage intuitio das Rechte findet, er ist auch
nicht entfernt der Meister des Wortes, der jeden Anstoß zu meiden und nötigen¬
falls Öl auf die brausenden, hochgehenden Wogen zu gießen weiß. Was ihn
charakterisiert, ist das Streben, es möglichst allen Parteien recht zu machen
und sie alle zu gewinnen. Er hat es sich unsägliche Mühe kosten lassen, zwischen
Szylla und Karubdis, der Reichstagsmehrheit und Minderheit, hindurchzusteuern.
Das hätte vielleicht zu einer Zeit gelingen können, wo noch die Erörterung
der Kriegsziele verboten und der Burgfriede in Geltung war. Es hat doch
seinen guten Grund gehabt, daß Herr von Bethmann Hollweg so lange Zeit
hindurch die Erörterung der Kriegsziele nicht freigeben wollte. Wäre es in
der Tat nicht richtiger gewesen, mit der Freigabe noch so lange zurückzuhalten,
bis die Regierung selbst in der Lage war, ihre eigenen Kriegsziele bekannt zu
geben? Hat uns die Freigabe denn irgendetwas anderes eingetragen, als die
Entfesselung eines ungeheuren, hoffnungslosen, widerwärtigen Meinungsstreites,
der schlechterdings gar nichts genützt, nur geschadet hat und der jedem leitenden
Staatsmann das Leben ganz unsäglich schwer, eigentlich unmöglich machen
muß? Herr Dr. Michaelis hat die Sysiphuscirbeit unternommen, sich zwischen
dem hin- und herwogenden Meinungsgetriebe durchzuwinden. Das konnte nur
mittels der geflissentlicher Vermeidung einer klaren und entschiedenen Stellung¬
nahme geschehen, die aber von allen Taktiken doch wohl die allergefährlichste,
ja die allerverkehrteste war. Sein Unglück fing an, als er die Friedensresolution
vom 19. Juli nur unter der Klausel „wie ich sie auffasse" passieren ließ. Das
Wort war ja gewiß nicht als eine hinterhältige ressrvatio mentalis gemeint,
sollte den Kanzler vielmehr nur davor sichern, daß die immerhin nicht ganz
eindeutige Resolution zu einer unliebsamen Fessel werden könne; aber es ist
doch zu einem geflügelten Wort geworden, dessen skrupellose Anwendung einen
Schatten auf den Kanzler fallen läßt.

Um die Friedensresolution, die im Grunde genommen durch das Nicht-
eingehen unserer Feinde auf sie hinfällig geworden ist, ist nun schon ein volles
Vierteljahr mit einer Erbitterung gekämpft worden, die unbegreiflich, ja absurd
ist, Der Kanzler schien einen Augenblick von ihr abrücken zu wollen, was
jene Krise vom August herbeiführte; er hat sich ihr dann wieder in der Amt-


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[0112] Die Regierungskrise Staatslenker des Deutschen Reiches das volle Vertrauen des Volkes, dessen er nun einmal nicht entraten kann, und das ihm wenigstens heute, in der unsäg¬ lichen Bedrängnis des Weltkrieges nicht von selbst in den Schoß fällt, aus seinen Weg zu geben! Denn das kann doch keine Frage sein: was dem Reichskanzler Michaelis bei allen seinen Vorzügen und bei seinem guten Willen abgegangen ist und noch abgeht, das ist die Fähigkeit, sich das Vertrauen der Volksvertretung zu erwerben und zu erhalten. Er ist, so scheint es doch, nicht der große und selbstsichere Staatsmann, der unbeirrbar durch äußere Einflüsse, durch das ver¬ wirrende Parteigetriebe geradeaus seinen Weg geht, er ist auch nicht das Genie, das in jeder noch so schwierigen Lage intuitio das Rechte findet, er ist auch nicht entfernt der Meister des Wortes, der jeden Anstoß zu meiden und nötigen¬ falls Öl auf die brausenden, hochgehenden Wogen zu gießen weiß. Was ihn charakterisiert, ist das Streben, es möglichst allen Parteien recht zu machen und sie alle zu gewinnen. Er hat es sich unsägliche Mühe kosten lassen, zwischen Szylla und Karubdis, der Reichstagsmehrheit und Minderheit, hindurchzusteuern. Das hätte vielleicht zu einer Zeit gelingen können, wo noch die Erörterung der Kriegsziele verboten und der Burgfriede in Geltung war. Es hat doch seinen guten Grund gehabt, daß Herr von Bethmann Hollweg so lange Zeit hindurch die Erörterung der Kriegsziele nicht freigeben wollte. Wäre es in der Tat nicht richtiger gewesen, mit der Freigabe noch so lange zurückzuhalten, bis die Regierung selbst in der Lage war, ihre eigenen Kriegsziele bekannt zu geben? Hat uns die Freigabe denn irgendetwas anderes eingetragen, als die Entfesselung eines ungeheuren, hoffnungslosen, widerwärtigen Meinungsstreites, der schlechterdings gar nichts genützt, nur geschadet hat und der jedem leitenden Staatsmann das Leben ganz unsäglich schwer, eigentlich unmöglich machen muß? Herr Dr. Michaelis hat die Sysiphuscirbeit unternommen, sich zwischen dem hin- und herwogenden Meinungsgetriebe durchzuwinden. Das konnte nur mittels der geflissentlicher Vermeidung einer klaren und entschiedenen Stellung¬ nahme geschehen, die aber von allen Taktiken doch wohl die allergefährlichste, ja die allerverkehrteste war. Sein Unglück fing an, als er die Friedensresolution vom 19. Juli nur unter der Klausel „wie ich sie auffasse" passieren ließ. Das Wort war ja gewiß nicht als eine hinterhältige ressrvatio mentalis gemeint, sollte den Kanzler vielmehr nur davor sichern, daß die immerhin nicht ganz eindeutige Resolution zu einer unliebsamen Fessel werden könne; aber es ist doch zu einem geflügelten Wort geworden, dessen skrupellose Anwendung einen Schatten auf den Kanzler fallen läßt. Um die Friedensresolution, die im Grunde genommen durch das Nicht- eingehen unserer Feinde auf sie hinfällig geworden ist, ist nun schon ein volles Vierteljahr mit einer Erbitterung gekämpft worden, die unbegreiflich, ja absurd ist, Der Kanzler schien einen Augenblick von ihr abrücken zu wollen, was jene Krise vom August herbeiführte; er hat sich ihr dann wieder in der Amt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/112>, abgerufen am 01.09.2024.