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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die Regierungskrise
Dr. Friedrich Thinae von

is Herr Dr. Michaelis Mitte Juli dieses Jahres durch den Kaiser
an das Steuer des Neichsschiffes gestellt wurde, hat er eigentlich
in der ganzen Presse rechts wie links und selbst bei den An¬
hängern des alten Kanzlers eine gute Aufnahme gefunden. Von
seiner Tätigkeit als preußischer Staatskommissar für Volks¬
ernährung ging ihm der Ruf stahlharter Entschlossenheit voraus, und aus seiner
ersten Reichstagsrede, in der der neue Kanzler ausdrücklich betonte, daß er sich
die Führung nicht aus der Hand nehmen lassen werde, schien hervorzugehen,
daß er diese Eigenschaft auch in sein neues Amt hinübernehmen wolle und
werde. Führung: das war es in der Tat, was weite Kreise nachgerade bei
seinem Vorgänger vermissen wollten; das war es, was das ganze Volk er¬
sehnte, was im letzten Grunde auch der Reichstag erhoffte. Ganz allgemein
war der Wunsch, daß der neue Kanzler das "übermenschlich große Amt", wie
es Friedrich Naumann nannte, gut führen möge, als ein großer Mann, als
ein Verwalter nationaler Kraft. Ja. von vielen Seiten wurden dem Nach¬
folger Bethmann Hollwegs im voraus die größten Vorschußlorbeeren erteilt.
"Dürfen wir hoffen", so fragte im Augustheft der "Deutschen Revue" eine
Persönlichkeit, der von der Schriftleitung eine genaue Bekanntschaft mit
or. Michaelis nachgerühmt wurde, "daß sich, wie in den größten Krisen un-
serer Geschichte, neben Blücher wieder ein Stein, neben Moltke ein Staatsmann
von der Entschlossenheit Bismarcks stellen wird?" -- eine Frage, die gleich mit
Entschiedenheit bejaht wurde. Mit vollem Recht hat der Herausgeber dieser
Zeitschrift in Ur. 34 vom 22. August gegen solche voreiligen Überschwenglich¬
keiten energischen Einspruch erhoben: das erschwere nur dem neuen Manne sein
Amt, trage Hoffnungen ins Volk von einer grenzenlosen Überspanntheit, so daß
später sogar die größten Taten schal erscheinen müßten, und verderbe den
Geschmack an dem, was Herr Michaelis wirklich sei.


Grenzboten IV 1917 7


Die Regierungskrise
Dr. Friedrich Thinae von

is Herr Dr. Michaelis Mitte Juli dieses Jahres durch den Kaiser
an das Steuer des Neichsschiffes gestellt wurde, hat er eigentlich
in der ganzen Presse rechts wie links und selbst bei den An¬
hängern des alten Kanzlers eine gute Aufnahme gefunden. Von
seiner Tätigkeit als preußischer Staatskommissar für Volks¬
ernährung ging ihm der Ruf stahlharter Entschlossenheit voraus, und aus seiner
ersten Reichstagsrede, in der der neue Kanzler ausdrücklich betonte, daß er sich
die Führung nicht aus der Hand nehmen lassen werde, schien hervorzugehen,
daß er diese Eigenschaft auch in sein neues Amt hinübernehmen wolle und
werde. Führung: das war es in der Tat, was weite Kreise nachgerade bei
seinem Vorgänger vermissen wollten; das war es, was das ganze Volk er¬
sehnte, was im letzten Grunde auch der Reichstag erhoffte. Ganz allgemein
war der Wunsch, daß der neue Kanzler das „übermenschlich große Amt", wie
es Friedrich Naumann nannte, gut führen möge, als ein großer Mann, als
ein Verwalter nationaler Kraft. Ja. von vielen Seiten wurden dem Nach¬
folger Bethmann Hollwegs im voraus die größten Vorschußlorbeeren erteilt.
„Dürfen wir hoffen", so fragte im Augustheft der „Deutschen Revue" eine
Persönlichkeit, der von der Schriftleitung eine genaue Bekanntschaft mit
or. Michaelis nachgerühmt wurde, „daß sich, wie in den größten Krisen un-
serer Geschichte, neben Blücher wieder ein Stein, neben Moltke ein Staatsmann
von der Entschlossenheit Bismarcks stellen wird?" — eine Frage, die gleich mit
Entschiedenheit bejaht wurde. Mit vollem Recht hat der Herausgeber dieser
Zeitschrift in Ur. 34 vom 22. August gegen solche voreiligen Überschwenglich¬
keiten energischen Einspruch erhoben: das erschwere nur dem neuen Manne sein
Amt, trage Hoffnungen ins Volk von einer grenzenlosen Überspanntheit, so daß
später sogar die größten Taten schal erscheinen müßten, und verderbe den
Geschmack an dem, was Herr Michaelis wirklich sei.


Grenzboten IV 1917 7
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[0109] [Abbildung] Die Regierungskrise Dr. Friedrich Thinae von is Herr Dr. Michaelis Mitte Juli dieses Jahres durch den Kaiser an das Steuer des Neichsschiffes gestellt wurde, hat er eigentlich in der ganzen Presse rechts wie links und selbst bei den An¬ hängern des alten Kanzlers eine gute Aufnahme gefunden. Von seiner Tätigkeit als preußischer Staatskommissar für Volks¬ ernährung ging ihm der Ruf stahlharter Entschlossenheit voraus, und aus seiner ersten Reichstagsrede, in der der neue Kanzler ausdrücklich betonte, daß er sich die Führung nicht aus der Hand nehmen lassen werde, schien hervorzugehen, daß er diese Eigenschaft auch in sein neues Amt hinübernehmen wolle und werde. Führung: das war es in der Tat, was weite Kreise nachgerade bei seinem Vorgänger vermissen wollten; das war es, was das ganze Volk er¬ sehnte, was im letzten Grunde auch der Reichstag erhoffte. Ganz allgemein war der Wunsch, daß der neue Kanzler das „übermenschlich große Amt", wie es Friedrich Naumann nannte, gut führen möge, als ein großer Mann, als ein Verwalter nationaler Kraft. Ja. von vielen Seiten wurden dem Nach¬ folger Bethmann Hollwegs im voraus die größten Vorschußlorbeeren erteilt. „Dürfen wir hoffen", so fragte im Augustheft der „Deutschen Revue" eine Persönlichkeit, der von der Schriftleitung eine genaue Bekanntschaft mit or. Michaelis nachgerühmt wurde, „daß sich, wie in den größten Krisen un- serer Geschichte, neben Blücher wieder ein Stein, neben Moltke ein Staatsmann von der Entschlossenheit Bismarcks stellen wird?" — eine Frage, die gleich mit Entschiedenheit bejaht wurde. Mit vollem Recht hat der Herausgeber dieser Zeitschrift in Ur. 34 vom 22. August gegen solche voreiligen Überschwenglich¬ keiten energischen Einspruch erhoben: das erschwere nur dem neuen Manne sein Amt, trage Hoffnungen ins Volk von einer grenzenlosen Überspanntheit, so daß später sogar die größten Taten schal erscheinen müßten, und verderbe den Geschmack an dem, was Herr Michaelis wirklich sei. Grenzboten IV 1917 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/109>, abgerufen am 09.11.2024.