Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.Problemen der Aesthetik, hatte er sich immer mehr praktischen Fragen des Lebens Problemen der Aesthetik, hatte er sich immer mehr praktischen Fragen des Lebens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332706"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1355" prev="#ID_1354" next="#ID_1356"> Problemen der Aesthetik, hatte er sich immer mehr praktischen Fragen des Lebens<lb/> zugewandt. So kam er von der reine» psychologischen Forschung zu den Aufgaben<lb/> der angewandten Psychologie, der Pädagogik. Die deutschen Lehrer wissen, was sie<lb/> Menmann zu danken haben. Eine Fülle von Anregungen hat er ihnen gebracht,<lb/> seine große zweibändige „Experimentelle Pädagogik" ist drei Lehrervereinen gewidmet.<lb/> Als der Faden friedlicher Entwicklung im August des Jahres 1914 abriß, war er<lb/> auf dem Posten. Ergriffen von dem ungeheuren Geschehen, nicht zuletzt von der<lb/> Verständnislosigkeit, der gerade wir Deutsche begegnen, sprach er zu einem großen<lb/> Kreise über „Zeitfragen deutscher Nationälerziehung". Diese Vorlesungen sind es,<lb/> die Georg Anschütz nun dem deutschen Volke als wertvolles Vermächtnis eines<lb/> feinsinnigen, kritischen Forschers und warmherzigen Patrioten übergibt. In ihnen<lb/> wollte Menmann zeigen, daß nur auf nationaler Grundlage, nur auf der Voraus-<lb/> setzung des Nationalgefühls und des Nationalbewußtseins überhaupt von einer<lb/> echte» und wahren Volkserziehung die Rede sein kann. Ein systematisches Ver¬<lb/> mischen und Ausgleichen völkischer Eigenkultnren und eine Entwicklung der Völker<lb/> im internationalen, kosmopolitischen und allgemeinmenschlichen Geist hält er für<lb/> verderblich im Interesse der Gesamtkultur, Das einzelne Volk ist eine reale sittliche<lb/> Gemeinschaft, die „Menschheit" als sittliche Gemeinschaft existiert vorläufig überhaupt<lb/> nicht, weil sie keine bestimmte Form angenommen hat. Aber die Nationalerziehung<lb/> muß auf einen wissenschaftlich erforschten Nationaltypus gegründet sein. Wie man<lb/> zu einer Nationalcharakteristik gelangen kann, setzt Menmann in fesselnder Weise<lb/> auseinander. Im ganzen liegt hier ein wissenschaftlich wenig bebautes Feld vor<lb/> uns und viele wichtige Tatsachen können noch zutage gefördert werden, wenn auch<lb/> die Methoden, über die wir verfügen, keine volle wissenschaftliche Exaktheit ver¬<lb/> bürgen. Die Charakteristik, die Meumann für das Deutschtum versucht, ist fein<lb/> und in den wesentlichen Züge» sicher zutreffend. Bezüglich der Erziehung, ins¬<lb/> besondere der politische» Erziehung unseres Volkes, beklagt Meumann mit viele»<lb/> von uns den Mangel einer allgemeinen und gleichmäßigen Anteilnahme am poli¬<lb/> tischen Leben, was die Entwicklung eines ungesunden, abhängigen Berufspolitiker-<lb/> tums, das die Fachleute und Sachverständigen aller Art aus dem politischen Lebe»<lb/> verdrängt, zur Folge hat. Eine Besserung dieser Zustände erhofft Menmann von<lb/> politischer Belehrung durch Vereine, besonders aber durch die Universitätserwei¬<lb/> terung, die eine Einwirkung der Fachgelehrten auf weitere Kreise der Bevölkerung,<lb/> wie sie in Amerika und England in weitem Umfange betrieben wird, bezweckt.<lb/> Nicht zuletzt ist die politische Erziehung von der Presse in Angriff zu nehme».<lb/> Die systematische Hebung des Journalistenstandes erscheint demnach als wesentliche<lb/> Vorbedingung der politischen Volkserziehung. Meumann fordert seine freie Organi¬<lb/> sation, die über den Parteien stehen muß, mit einem selbstgeluählten Aufsichtsrat<lb/> und Ehrenrat, ähnlich wie ihn die Rechtsanwälte geschaffen haben, der imstande<lb/> wäre, einen starken moralische» Zwang ans die Mitglieder der Organisation aus¬<lb/> zuüben. Ferner fordert Menmann em Parlament von Fachgelehrten und Sach¬<lb/> verständigen, die einem bürgerlichen Berufe angehören, das als vorarbeitende und<lb/> vorbereitende Instanz für alle wichtigen Schritte der Gesetzgebung zu wirken hat.<lb/> Durch politische Bildung des Volkes muß erreicht werden, daß die öffentliche<lb/> Meinung eine viel wertvollere Macht im politischen Leben wird, als sie jetzt ist.<lb/> Im übrigen ist das Volk mehr zur Selbsthilfe zu erziehen: wir verlassen uns viel</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0427]
Problemen der Aesthetik, hatte er sich immer mehr praktischen Fragen des Lebens
zugewandt. So kam er von der reine» psychologischen Forschung zu den Aufgaben
der angewandten Psychologie, der Pädagogik. Die deutschen Lehrer wissen, was sie
Menmann zu danken haben. Eine Fülle von Anregungen hat er ihnen gebracht,
seine große zweibändige „Experimentelle Pädagogik" ist drei Lehrervereinen gewidmet.
Als der Faden friedlicher Entwicklung im August des Jahres 1914 abriß, war er
auf dem Posten. Ergriffen von dem ungeheuren Geschehen, nicht zuletzt von der
Verständnislosigkeit, der gerade wir Deutsche begegnen, sprach er zu einem großen
Kreise über „Zeitfragen deutscher Nationälerziehung". Diese Vorlesungen sind es,
die Georg Anschütz nun dem deutschen Volke als wertvolles Vermächtnis eines
feinsinnigen, kritischen Forschers und warmherzigen Patrioten übergibt. In ihnen
wollte Menmann zeigen, daß nur auf nationaler Grundlage, nur auf der Voraus-
setzung des Nationalgefühls und des Nationalbewußtseins überhaupt von einer
echte» und wahren Volkserziehung die Rede sein kann. Ein systematisches Ver¬
mischen und Ausgleichen völkischer Eigenkultnren und eine Entwicklung der Völker
im internationalen, kosmopolitischen und allgemeinmenschlichen Geist hält er für
verderblich im Interesse der Gesamtkultur, Das einzelne Volk ist eine reale sittliche
Gemeinschaft, die „Menschheit" als sittliche Gemeinschaft existiert vorläufig überhaupt
nicht, weil sie keine bestimmte Form angenommen hat. Aber die Nationalerziehung
muß auf einen wissenschaftlich erforschten Nationaltypus gegründet sein. Wie man
zu einer Nationalcharakteristik gelangen kann, setzt Menmann in fesselnder Weise
auseinander. Im ganzen liegt hier ein wissenschaftlich wenig bebautes Feld vor
uns und viele wichtige Tatsachen können noch zutage gefördert werden, wenn auch
die Methoden, über die wir verfügen, keine volle wissenschaftliche Exaktheit ver¬
bürgen. Die Charakteristik, die Meumann für das Deutschtum versucht, ist fein
und in den wesentlichen Züge» sicher zutreffend. Bezüglich der Erziehung, ins¬
besondere der politische» Erziehung unseres Volkes, beklagt Meumann mit viele»
von uns den Mangel einer allgemeinen und gleichmäßigen Anteilnahme am poli¬
tischen Leben, was die Entwicklung eines ungesunden, abhängigen Berufspolitiker-
tums, das die Fachleute und Sachverständigen aller Art aus dem politischen Lebe»
verdrängt, zur Folge hat. Eine Besserung dieser Zustände erhofft Menmann von
politischer Belehrung durch Vereine, besonders aber durch die Universitätserwei¬
terung, die eine Einwirkung der Fachgelehrten auf weitere Kreise der Bevölkerung,
wie sie in Amerika und England in weitem Umfange betrieben wird, bezweckt.
Nicht zuletzt ist die politische Erziehung von der Presse in Angriff zu nehme».
Die systematische Hebung des Journalistenstandes erscheint demnach als wesentliche
Vorbedingung der politischen Volkserziehung. Meumann fordert seine freie Organi¬
sation, die über den Parteien stehen muß, mit einem selbstgeluählten Aufsichtsrat
und Ehrenrat, ähnlich wie ihn die Rechtsanwälte geschaffen haben, der imstande
wäre, einen starken moralische» Zwang ans die Mitglieder der Organisation aus¬
zuüben. Ferner fordert Menmann em Parlament von Fachgelehrten und Sach¬
verständigen, die einem bürgerlichen Berufe angehören, das als vorarbeitende und
vorbereitende Instanz für alle wichtigen Schritte der Gesetzgebung zu wirken hat.
Durch politische Bildung des Volkes muß erreicht werden, daß die öffentliche
Meinung eine viel wertvollere Macht im politischen Leben wird, als sie jetzt ist.
Im übrigen ist das Volk mehr zur Selbsthilfe zu erziehen: wir verlassen uns viel
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