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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Reichsqcwalt und Landesverfassung im Reichslande

So sehr die Ansichten über die zweckmäßigste Organisation Elsaß-Lothringens
auseinandergehen, an dem Unbefriedigenden des gegenwärtigenden Zustandes
besteht kaum ein Zweifel.

Als 1871 die Sonderstellung des Landes geschaffen wurde, bestand nicht
b'e Absicht, den Gegensatz zu den anderen Reichsgliedern dauernd aufrecht zu
ehalten. Die einen hofften auf eine Entwicklung des Reiches im unitarischen
Sinne, auf allmähliche Aufsaugung der Einzelstaaten durch die mächtig sich
ausbreitende Reichsgewalt, so daß im Reichslande das Vorbild für die künftige
Gestaltung des Ganzen gefunden werden könne; andere, die an dem födera¬
listischen Charakter des Reiches festhielten, rechneten darauf, daß Elsaß-Lothringen
"ut zunehmender Selbstverwaltung und Autonomie, Berechtigungen, die man
dem Lande auf die Dauer nicht versagen könne, aus bloßer Neichsunterworfenheit
^"n Bundesstaate erwachsen werde; auch Anhänger der Annexionsidee, die zur
^"ert der Reichsgründung diese Lösung für nicht erreichbar erkannt hatten, weil
^use Zwiespalt und Eifersucht unter den deutschen Staaten zu befürchten wäre,
und nur deshalb der Schaffung von Reichsland zugestimmt hatten, mögen er¬
wartet haben, daß die Zukunft die Verwirklichung des zurückgestellten Planes
bringen werde.

Ob Umbildung des Reiches zum Einheitsstaat für das deutsche Volkstum
em Gewinn sein würde, bleibe dahingestellt. Sicher ist, daß nach dem Verlaufe
unserer politischen Entwicklung in absehbarer Zeit an diesen Ausgang nicht zu
denken ist. Sonach bleiben, um der Sonderstellung des Reichslandes ein Ende
on bereiten, nur die beiden anderen Wege übrig.

Elsaß-Lothringen hat unter der Herrschaft des Reiches starke Wandlungen
^ Organisation durchgemacht, aber in seinem Wesen ist es geblieben, was es
^1 geworden war: Reichsland, ein Gebiet, das zum Reiche gehört, aber
"lebt einen Staat im Reiche bildet. Trotz mancher Annäherung an staatliche
Gestaltung, besonders seit der Verfassung vom 31. Mai 1911, hat sich ein
kaat Elsaß. Lothringen nicht zu bilden vermocht.

Die Reichsgesetzgebung ist in ihrem Bemühen, die Ansprüche der Elsaß-
Lothringer auf staatliche Besserstellung zu befriedigen, bis hart an die Grenze
dessen gegangen, was unter Aufrechterhaltung der Reichslandseigenschaft gerade
U°es möglich war. Ja es sind, wenn auch unter Vorbehalt des Widerrufs,
fechte gewährt worden, die in das Gesamtbild nicht mehr passen, die Rechts-
^ge verwirrt haben und schwere politische Bedenken erwecken. Aber zufrieden¬
gestellt wurden die Elsaß-Lothringer durch all das nicht. Dieses Ziel ist auch
°uf dem Boden einer Reichslandsverfassung nicht erreichbar. Denn mit^ der
^echtsverschiedenheit gegenüber allen anderen deutschen Gebieten wird immer
das Verlangen der Änderung verbunden bleiben.

Gewiß stehen die Wünsche der Elsaß-Lothringer nicht in erster Linie.
T^s Wohl des Reiches entscheidet. Ob die Bevölkerung des Reichslandes nach
b-rew. seitherigen Verhalten es verdient hat, in dem gegebenen Abhängigkeits-


Reichsqcwalt und Landesverfassung im Reichslande

So sehr die Ansichten über die zweckmäßigste Organisation Elsaß-Lothringens
auseinandergehen, an dem Unbefriedigenden des gegenwärtigenden Zustandes
besteht kaum ein Zweifel.

Als 1871 die Sonderstellung des Landes geschaffen wurde, bestand nicht
b'e Absicht, den Gegensatz zu den anderen Reichsgliedern dauernd aufrecht zu
ehalten. Die einen hofften auf eine Entwicklung des Reiches im unitarischen
Sinne, auf allmähliche Aufsaugung der Einzelstaaten durch die mächtig sich
ausbreitende Reichsgewalt, so daß im Reichslande das Vorbild für die künftige
Gestaltung des Ganzen gefunden werden könne; andere, die an dem födera¬
listischen Charakter des Reiches festhielten, rechneten darauf, daß Elsaß-Lothringen
"ut zunehmender Selbstverwaltung und Autonomie, Berechtigungen, die man
dem Lande auf die Dauer nicht versagen könne, aus bloßer Neichsunterworfenheit
^«n Bundesstaate erwachsen werde; auch Anhänger der Annexionsidee, die zur
^»ert der Reichsgründung diese Lösung für nicht erreichbar erkannt hatten, weil
^use Zwiespalt und Eifersucht unter den deutschen Staaten zu befürchten wäre,
und nur deshalb der Schaffung von Reichsland zugestimmt hatten, mögen er¬
wartet haben, daß die Zukunft die Verwirklichung des zurückgestellten Planes
bringen werde.

Ob Umbildung des Reiches zum Einheitsstaat für das deutsche Volkstum
em Gewinn sein würde, bleibe dahingestellt. Sicher ist, daß nach dem Verlaufe
unserer politischen Entwicklung in absehbarer Zeit an diesen Ausgang nicht zu
denken ist. Sonach bleiben, um der Sonderstellung des Reichslandes ein Ende
on bereiten, nur die beiden anderen Wege übrig.

Elsaß-Lothringen hat unter der Herrschaft des Reiches starke Wandlungen
^ Organisation durchgemacht, aber in seinem Wesen ist es geblieben, was es
^1 geworden war: Reichsland, ein Gebiet, das zum Reiche gehört, aber
"lebt einen Staat im Reiche bildet. Trotz mancher Annäherung an staatliche
Gestaltung, besonders seit der Verfassung vom 31. Mai 1911, hat sich ein
kaat Elsaß. Lothringen nicht zu bilden vermocht.

Die Reichsgesetzgebung ist in ihrem Bemühen, die Ansprüche der Elsaß-
Lothringer auf staatliche Besserstellung zu befriedigen, bis hart an die Grenze
dessen gegangen, was unter Aufrechterhaltung der Reichslandseigenschaft gerade
U°es möglich war. Ja es sind, wenn auch unter Vorbehalt des Widerrufs,
fechte gewährt worden, die in das Gesamtbild nicht mehr passen, die Rechts-
^ge verwirrt haben und schwere politische Bedenken erwecken. Aber zufrieden¬
gestellt wurden die Elsaß-Lothringer durch all das nicht. Dieses Ziel ist auch
°uf dem Boden einer Reichslandsverfassung nicht erreichbar. Denn mit^ der
^echtsverschiedenheit gegenüber allen anderen deutschen Gebieten wird immer
das Verlangen der Änderung verbunden bleiben.

Gewiß stehen die Wünsche der Elsaß-Lothringer nicht in erster Linie.
T^s Wohl des Reiches entscheidet. Ob die Bevölkerung des Reichslandes nach
b-rew. seitherigen Verhalten es verdient hat, in dem gegebenen Abhängigkeits-


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[0377] Reichsqcwalt und Landesverfassung im Reichslande So sehr die Ansichten über die zweckmäßigste Organisation Elsaß-Lothringens auseinandergehen, an dem Unbefriedigenden des gegenwärtigenden Zustandes besteht kaum ein Zweifel. Als 1871 die Sonderstellung des Landes geschaffen wurde, bestand nicht b'e Absicht, den Gegensatz zu den anderen Reichsgliedern dauernd aufrecht zu ehalten. Die einen hofften auf eine Entwicklung des Reiches im unitarischen Sinne, auf allmähliche Aufsaugung der Einzelstaaten durch die mächtig sich ausbreitende Reichsgewalt, so daß im Reichslande das Vorbild für die künftige Gestaltung des Ganzen gefunden werden könne; andere, die an dem födera¬ listischen Charakter des Reiches festhielten, rechneten darauf, daß Elsaß-Lothringen "ut zunehmender Selbstverwaltung und Autonomie, Berechtigungen, die man dem Lande auf die Dauer nicht versagen könne, aus bloßer Neichsunterworfenheit ^«n Bundesstaate erwachsen werde; auch Anhänger der Annexionsidee, die zur ^»ert der Reichsgründung diese Lösung für nicht erreichbar erkannt hatten, weil ^use Zwiespalt und Eifersucht unter den deutschen Staaten zu befürchten wäre, und nur deshalb der Schaffung von Reichsland zugestimmt hatten, mögen er¬ wartet haben, daß die Zukunft die Verwirklichung des zurückgestellten Planes bringen werde. Ob Umbildung des Reiches zum Einheitsstaat für das deutsche Volkstum em Gewinn sein würde, bleibe dahingestellt. Sicher ist, daß nach dem Verlaufe unserer politischen Entwicklung in absehbarer Zeit an diesen Ausgang nicht zu denken ist. Sonach bleiben, um der Sonderstellung des Reichslandes ein Ende on bereiten, nur die beiden anderen Wege übrig. Elsaß-Lothringen hat unter der Herrschaft des Reiches starke Wandlungen ^ Organisation durchgemacht, aber in seinem Wesen ist es geblieben, was es ^1 geworden war: Reichsland, ein Gebiet, das zum Reiche gehört, aber "lebt einen Staat im Reiche bildet. Trotz mancher Annäherung an staatliche Gestaltung, besonders seit der Verfassung vom 31. Mai 1911, hat sich ein kaat Elsaß. Lothringen nicht zu bilden vermocht. Die Reichsgesetzgebung ist in ihrem Bemühen, die Ansprüche der Elsaß- Lothringer auf staatliche Besserstellung zu befriedigen, bis hart an die Grenze dessen gegangen, was unter Aufrechterhaltung der Reichslandseigenschaft gerade U°es möglich war. Ja es sind, wenn auch unter Vorbehalt des Widerrufs, fechte gewährt worden, die in das Gesamtbild nicht mehr passen, die Rechts- ^ge verwirrt haben und schwere politische Bedenken erwecken. Aber zufrieden¬ gestellt wurden die Elsaß-Lothringer durch all das nicht. Dieses Ziel ist auch °uf dem Boden einer Reichslandsverfassung nicht erreichbar. Denn mit^ der ^echtsverschiedenheit gegenüber allen anderen deutschen Gebieten wird immer das Verlangen der Änderung verbunden bleiben. Gewiß stehen die Wünsche der Elsaß-Lothringer nicht in erster Linie. T^s Wohl des Reiches entscheidet. Ob die Bevölkerung des Reichslandes nach b-rew. seitherigen Verhalten es verdient hat, in dem gegebenen Abhängigkeits-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/377>, abgerufen am 04.07.2024.