Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Großbritanniens Gstscexolitik

Wachtposten an den andern und im Ägäischen Meer hat England durch Be¬
setzung der griechischen Inseln, an deren restlose Räumung wohl nur ein Tor
glaubt, seine Stellung derart befestigt, daß es dem russischen Bundesbrüder die
Besitzergreifung von Konstantinopel getrost in Aussicht stellen kann, ohne be¬
fürchten zu müssen, daß seine Machtinteressen im Mittelmeerbecken dadurch
Abbruch erleiden könnten.

Wie die Engen zwischen dem Ägäischen und dem Schwarzen Meer
-- Bosporus und Dardanellen -- den Torweg bilden, um dem russischen
Koloß von Süden her auf den Leib zu rücken, so stellt im Norden die schmale
Meeresstraße zwischen Nord- und Ostsee, Sund genannt, die Eingangspforte
Zu den baltischen Gewässern dar, die für Westrußland den Lebensatem bedeuten.
Professor Penck hat die Durchfahrt vergleichsweise als "die nordischen Dardanellen"
bezeichnet*), durch die in der Hand eines seemächtigen Besitzers die Ostsee sich
verriegeln ließe, wie die Nordsee, nach dem Worte Reventlows, vom Beherrscher
der Verbindungen mit dem Atlantik versiegelt ist. Die dänischen Pförtner des'
Sundes werden freilich ebensowenig wie die türkischen Wachen am Bosporus
die Schlüssel zu den Meerestoren freiwillig der englischen Seegewalt ausliefern,
denn sie wissen, daß ihre Unabhängigkeit damit verloren ginge, und sie können
darauf vertrauen, daß Versuche zu ihrer gewalttätiger Überrumpelung die
Kernmächte Mitteleuropas zu ihrem Schutze herausfordern würden. Bei einem
für die Entente günstigen Ausgang des Krieges würden, nach den offenherzigen
Andeutungen englischer Marineautoritäten, Meeresfragen wie die Unterstellung
der nordischen Dardanellen unter eine internationale, d. h. von England be¬
mutterte Kontrolle, die Neutralisierung des Kaiser-Wilhelm-Kanals u. a. in.
nach den Machtinteressen der gegnerischen Koalition Mitteleuropas neu geordnet
werden; angesichts der gegenwärtigen Kriegslage heißt es, die Bilanz so auf-
machen, daß auf der Gewinnseite in jedem Falle ein Plus verbleibt. Bieten
die Ostsee und deren Zufahrtstraßen trotz der mehrerwähnten heißen Bemühungen
unserer Feinde keinen brauchbaren Aktionsboden, so muß deren Umgehung ins
Auge gefaßt werden. Das würde geschehen durch die Anlegung von Handel¬
straßen über Skandinavien und Finnland ins innere Rußland hinein und von
dort in mannigfachen Verzweigungen nach dem fernen Osten und nach Indien.
Die Mitwirkung Schwedens und Norwegens ist hierzu unerläßlich. Jede solche
"Umgehungslinie" müßte den Ostseehandel schwer beeinträchtigen und die deutsche
Küstenfront der Möglichkeit eines Flankenangriffs aussetzen.

Den englischen Absichten zur Veranlagung eines großzügigen Handels-
Verkehrs nach und über Schweden kommen auf schwedischer Seite die dort
weitverbreiteten handelspolitischen Zukunftswünsche bestens zu statten. Die
Selbstgenügsamkeit, der das schwedische Wirtschaftsleben während des neunzehnten



") "Die nordischen Dardanellen" von Samuli Sario (Sammlung volkstümlicher
Vorträge, "Meereskunde" Heft 130, Seite 3).
Großbritanniens Gstscexolitik

Wachtposten an den andern und im Ägäischen Meer hat England durch Be¬
setzung der griechischen Inseln, an deren restlose Räumung wohl nur ein Tor
glaubt, seine Stellung derart befestigt, daß es dem russischen Bundesbrüder die
Besitzergreifung von Konstantinopel getrost in Aussicht stellen kann, ohne be¬
fürchten zu müssen, daß seine Machtinteressen im Mittelmeerbecken dadurch
Abbruch erleiden könnten.

Wie die Engen zwischen dem Ägäischen und dem Schwarzen Meer
— Bosporus und Dardanellen — den Torweg bilden, um dem russischen
Koloß von Süden her auf den Leib zu rücken, so stellt im Norden die schmale
Meeresstraße zwischen Nord- und Ostsee, Sund genannt, die Eingangspforte
Zu den baltischen Gewässern dar, die für Westrußland den Lebensatem bedeuten.
Professor Penck hat die Durchfahrt vergleichsweise als „die nordischen Dardanellen"
bezeichnet*), durch die in der Hand eines seemächtigen Besitzers die Ostsee sich
verriegeln ließe, wie die Nordsee, nach dem Worte Reventlows, vom Beherrscher
der Verbindungen mit dem Atlantik versiegelt ist. Die dänischen Pförtner des'
Sundes werden freilich ebensowenig wie die türkischen Wachen am Bosporus
die Schlüssel zu den Meerestoren freiwillig der englischen Seegewalt ausliefern,
denn sie wissen, daß ihre Unabhängigkeit damit verloren ginge, und sie können
darauf vertrauen, daß Versuche zu ihrer gewalttätiger Überrumpelung die
Kernmächte Mitteleuropas zu ihrem Schutze herausfordern würden. Bei einem
für die Entente günstigen Ausgang des Krieges würden, nach den offenherzigen
Andeutungen englischer Marineautoritäten, Meeresfragen wie die Unterstellung
der nordischen Dardanellen unter eine internationale, d. h. von England be¬
mutterte Kontrolle, die Neutralisierung des Kaiser-Wilhelm-Kanals u. a. in.
nach den Machtinteressen der gegnerischen Koalition Mitteleuropas neu geordnet
werden; angesichts der gegenwärtigen Kriegslage heißt es, die Bilanz so auf-
machen, daß auf der Gewinnseite in jedem Falle ein Plus verbleibt. Bieten
die Ostsee und deren Zufahrtstraßen trotz der mehrerwähnten heißen Bemühungen
unserer Feinde keinen brauchbaren Aktionsboden, so muß deren Umgehung ins
Auge gefaßt werden. Das würde geschehen durch die Anlegung von Handel¬
straßen über Skandinavien und Finnland ins innere Rußland hinein und von
dort in mannigfachen Verzweigungen nach dem fernen Osten und nach Indien.
Die Mitwirkung Schwedens und Norwegens ist hierzu unerläßlich. Jede solche
„Umgehungslinie" müßte den Ostseehandel schwer beeinträchtigen und die deutsche
Küstenfront der Möglichkeit eines Flankenangriffs aussetzen.

Den englischen Absichten zur Veranlagung eines großzügigen Handels-
Verkehrs nach und über Schweden kommen auf schwedischer Seite die dort
weitverbreiteten handelspolitischen Zukunftswünsche bestens zu statten. Die
Selbstgenügsamkeit, der das schwedische Wirtschaftsleben während des neunzehnten



") „Die nordischen Dardanellen" von Samuli Sario (Sammlung volkstümlicher
Vorträge, „Meereskunde" Heft 130, Seite 3).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332618"/>
          <fw type="header" place="top"> Großbritanniens Gstscexolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1062" prev="#ID_1061"> Wachtposten an den andern und im Ägäischen Meer hat England durch Be¬<lb/>
setzung der griechischen Inseln, an deren restlose Räumung wohl nur ein Tor<lb/>
glaubt, seine Stellung derart befestigt, daß es dem russischen Bundesbrüder die<lb/>
Besitzergreifung von Konstantinopel getrost in Aussicht stellen kann, ohne be¬<lb/>
fürchten zu müssen, daß seine Machtinteressen im Mittelmeerbecken dadurch<lb/>
Abbruch erleiden könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063"> Wie die Engen zwischen dem Ägäischen und dem Schwarzen Meer<lb/>
&#x2014; Bosporus und Dardanellen &#x2014; den Torweg bilden, um dem russischen<lb/>
Koloß von Süden her auf den Leib zu rücken, so stellt im Norden die schmale<lb/>
Meeresstraße zwischen Nord- und Ostsee, Sund genannt, die Eingangspforte<lb/>
Zu den baltischen Gewässern dar, die für Westrußland den Lebensatem bedeuten.<lb/>
Professor Penck hat die Durchfahrt vergleichsweise als &#x201E;die nordischen Dardanellen"<lb/>
bezeichnet*), durch die in der Hand eines seemächtigen Besitzers die Ostsee sich<lb/>
verriegeln ließe, wie die Nordsee, nach dem Worte Reventlows, vom Beherrscher<lb/>
der Verbindungen mit dem Atlantik versiegelt ist. Die dänischen Pförtner des'<lb/>
Sundes werden freilich ebensowenig wie die türkischen Wachen am Bosporus<lb/>
die Schlüssel zu den Meerestoren freiwillig der englischen Seegewalt ausliefern,<lb/>
denn sie wissen, daß ihre Unabhängigkeit damit verloren ginge, und sie können<lb/>
darauf vertrauen, daß Versuche zu ihrer gewalttätiger Überrumpelung die<lb/>
Kernmächte Mitteleuropas zu ihrem Schutze herausfordern würden. Bei einem<lb/>
für die Entente günstigen Ausgang des Krieges würden, nach den offenherzigen<lb/>
Andeutungen englischer Marineautoritäten, Meeresfragen wie die Unterstellung<lb/>
der nordischen Dardanellen unter eine internationale, d. h. von England be¬<lb/>
mutterte Kontrolle, die Neutralisierung des Kaiser-Wilhelm-Kanals u. a. in.<lb/>
nach den Machtinteressen der gegnerischen Koalition Mitteleuropas neu geordnet<lb/>
werden; angesichts der gegenwärtigen Kriegslage heißt es, die Bilanz so auf-<lb/>
machen, daß auf der Gewinnseite in jedem Falle ein Plus verbleibt. Bieten<lb/>
die Ostsee und deren Zufahrtstraßen trotz der mehrerwähnten heißen Bemühungen<lb/>
unserer Feinde keinen brauchbaren Aktionsboden, so muß deren Umgehung ins<lb/>
Auge gefaßt werden.  Das würde geschehen durch die Anlegung von Handel¬<lb/>
straßen über Skandinavien und Finnland ins innere Rußland hinein und von<lb/>
dort in mannigfachen Verzweigungen nach dem fernen Osten und nach Indien.<lb/>
Die Mitwirkung Schwedens und Norwegens ist hierzu unerläßlich. Jede solche<lb/>
&#x201E;Umgehungslinie" müßte den Ostseehandel schwer beeinträchtigen und die deutsche<lb/>
Küstenfront der Möglichkeit eines Flankenangriffs aussetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1064" next="#ID_1065"> Den englischen Absichten zur Veranlagung eines großzügigen Handels-<lb/>
Verkehrs nach und über Schweden kommen auf schwedischer Seite die dort<lb/>
weitverbreiteten handelspolitischen Zukunftswünsche bestens zu statten. Die<lb/>
Selbstgenügsamkeit, der das schwedische Wirtschaftsleben während des neunzehnten</p><lb/>
          <note xml:id="FID_127" place="foot"> ") &#x201E;Die nordischen Dardanellen" von Samuli Sario (Sammlung volkstümlicher<lb/>
Vorträge, &#x201E;Meereskunde" Heft 130, Seite 3).</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0339] Großbritanniens Gstscexolitik Wachtposten an den andern und im Ägäischen Meer hat England durch Be¬ setzung der griechischen Inseln, an deren restlose Räumung wohl nur ein Tor glaubt, seine Stellung derart befestigt, daß es dem russischen Bundesbrüder die Besitzergreifung von Konstantinopel getrost in Aussicht stellen kann, ohne be¬ fürchten zu müssen, daß seine Machtinteressen im Mittelmeerbecken dadurch Abbruch erleiden könnten. Wie die Engen zwischen dem Ägäischen und dem Schwarzen Meer — Bosporus und Dardanellen — den Torweg bilden, um dem russischen Koloß von Süden her auf den Leib zu rücken, so stellt im Norden die schmale Meeresstraße zwischen Nord- und Ostsee, Sund genannt, die Eingangspforte Zu den baltischen Gewässern dar, die für Westrußland den Lebensatem bedeuten. Professor Penck hat die Durchfahrt vergleichsweise als „die nordischen Dardanellen" bezeichnet*), durch die in der Hand eines seemächtigen Besitzers die Ostsee sich verriegeln ließe, wie die Nordsee, nach dem Worte Reventlows, vom Beherrscher der Verbindungen mit dem Atlantik versiegelt ist. Die dänischen Pförtner des' Sundes werden freilich ebensowenig wie die türkischen Wachen am Bosporus die Schlüssel zu den Meerestoren freiwillig der englischen Seegewalt ausliefern, denn sie wissen, daß ihre Unabhängigkeit damit verloren ginge, und sie können darauf vertrauen, daß Versuche zu ihrer gewalttätiger Überrumpelung die Kernmächte Mitteleuropas zu ihrem Schutze herausfordern würden. Bei einem für die Entente günstigen Ausgang des Krieges würden, nach den offenherzigen Andeutungen englischer Marineautoritäten, Meeresfragen wie die Unterstellung der nordischen Dardanellen unter eine internationale, d. h. von England be¬ mutterte Kontrolle, die Neutralisierung des Kaiser-Wilhelm-Kanals u. a. in. nach den Machtinteressen der gegnerischen Koalition Mitteleuropas neu geordnet werden; angesichts der gegenwärtigen Kriegslage heißt es, die Bilanz so auf- machen, daß auf der Gewinnseite in jedem Falle ein Plus verbleibt. Bieten die Ostsee und deren Zufahrtstraßen trotz der mehrerwähnten heißen Bemühungen unserer Feinde keinen brauchbaren Aktionsboden, so muß deren Umgehung ins Auge gefaßt werden. Das würde geschehen durch die Anlegung von Handel¬ straßen über Skandinavien und Finnland ins innere Rußland hinein und von dort in mannigfachen Verzweigungen nach dem fernen Osten und nach Indien. Die Mitwirkung Schwedens und Norwegens ist hierzu unerläßlich. Jede solche „Umgehungslinie" müßte den Ostseehandel schwer beeinträchtigen und die deutsche Küstenfront der Möglichkeit eines Flankenangriffs aussetzen. Den englischen Absichten zur Veranlagung eines großzügigen Handels- Verkehrs nach und über Schweden kommen auf schwedischer Seite die dort weitverbreiteten handelspolitischen Zukunftswünsche bestens zu statten. Die Selbstgenügsamkeit, der das schwedische Wirtschaftsleben während des neunzehnten ") „Die nordischen Dardanellen" von Samuli Sario (Sammlung volkstümlicher Vorträge, „Meereskunde" Heft 130, Seite 3).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/339
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/339>, abgerufen am 02.10.2024.