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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Gstsecxolitik

Während für England hauptsächlich die Zukunft das wichtigere Moment ist
wurde Rußland durch die Kriegsnöte zu schleunigen Maßnahmen veranlaßt,
seine überseeischen Verbindungen auszubauen.

Der Krieg mußte die Dringlichkeit der Errichtung von Schiffahrtsbrücken,
auf denen ein regelmäßiger Verkehr zwischen Rußland und seinen Mitverschworenen
sich vollziehen könnte, um so greller hervortreten lassen, je länger eine Ent¬
scheidung im blutigen Ringen wider Erwarten der feindlichen Koalition aus¬
blieb und je schwerer die furchtbaren Niederlagen des Zarentums dessen eigene
Kräfte erschöpften. Der frevelhafte Wahnwitz, mit dem Rußland in das
Abenteuer des Weltkrieges sich gestürzt hat, wurde offenbar, als im ersten
Kriegswinter die Zufuhr von Kriegsmaterial über See nach Rußland bedenklich
ins Stocken geriet. Wie war es? Die Verkehrsstraßen über die Ostseehäfen,
soweit diese überhaupt noch eisfrei waren, gesperrt; der Dardanellenweg durch
den Eintritt der Türkei in den Krieg geschlossen; der Transitverkehr über
Schweden und Norwegen infolge der Verwahrung dieser Staaten gegen eine
willkürliche Außerachtlassung ihrer neutralen Pflichten auf ein bescheidenes Maß
herabgesetzt; der nordrussische Hafen Archangelsk am Weißen Meer, von den
Eisverhältnissen ganz abgesehen, schwer erreichbar und sür einen größeren An¬
drang von Schiffsgütern durchaus unzulänglich; der Hafen Wladiwostok im
fernen Osten zu entlegen und durch die Eisblockode monatelang gleichfalls fast
unbenützbar; der Katharinenhafen (Jekaterinski Port) an der Murmanküste
infolge der Einwirkungen des Golfstromes zwar überwiegend eisfrei, aber in
rückständigster Verfassung und vor allem ohne Verbindung mit dem russischen
Eisenbahnnetz. In solcher Notlage mußte Rußland alles dransetzen, zum eis¬
freien Wasser vorzustoßen, wobei es die Wahl hatte, entweder über schwedischen
und norwegischen Boden den Verbindungsweg herzustellen oder den Murman-
hafen durch einen Schienenstrang näher an sich heranzurücken. Die russischen
Bemühungen, von England angelegentlich unterstützt, erstreckten sich auf beide
Möglichkeiten, ließen aber daneben auch Verkehrsfragen zweiten Ranges wie
den Ausbau der Bahn nach Archangelsk zu einer zweigleisigen und die An¬
legung einer Automobilstraße von Petersburg zum Weißen Meer nicht außer acht.

Die für die russisch, englischen Verkehrszwecke geeignetste Durchquerung der
skandinavischen Halbinsel läuft unter Benutzung der Ofotenbahn auf den stets
eisfreien norwegischen Hafen Narwik am Atlantischen Ozean hinaus, bringt
freilich auch manche Umständlichkeit mit sich, denn die Bahnverbindung wurde
in Haparanda (an der Mündung des Torneaelf in den Bodenlöcher Meer¬
busen) unterbrochen, so daß der Anschluß an die finnländische Bahn erst aus
dem jenseitigen Ufer erreicht werden konnte. Unseres Wissens ist der Grenz¬
fluß 30 Kilometer aufwärts bei Karungi inzwischen überbrückt worden. Trotzdem
hätte die russische Regierung den Notweg gern für sich mit Beschlag belegt,
natürlich unter der stillschweigenden Voraussetzung, diese Strecke auch für die
Einfuhr von Kriegsmaterial aller Art zu benutzen, erfuhr aber bei einer bezug-


Großbritanniens Gstsecxolitik

Während für England hauptsächlich die Zukunft das wichtigere Moment ist
wurde Rußland durch die Kriegsnöte zu schleunigen Maßnahmen veranlaßt,
seine überseeischen Verbindungen auszubauen.

Der Krieg mußte die Dringlichkeit der Errichtung von Schiffahrtsbrücken,
auf denen ein regelmäßiger Verkehr zwischen Rußland und seinen Mitverschworenen
sich vollziehen könnte, um so greller hervortreten lassen, je länger eine Ent¬
scheidung im blutigen Ringen wider Erwarten der feindlichen Koalition aus¬
blieb und je schwerer die furchtbaren Niederlagen des Zarentums dessen eigene
Kräfte erschöpften. Der frevelhafte Wahnwitz, mit dem Rußland in das
Abenteuer des Weltkrieges sich gestürzt hat, wurde offenbar, als im ersten
Kriegswinter die Zufuhr von Kriegsmaterial über See nach Rußland bedenklich
ins Stocken geriet. Wie war es? Die Verkehrsstraßen über die Ostseehäfen,
soweit diese überhaupt noch eisfrei waren, gesperrt; der Dardanellenweg durch
den Eintritt der Türkei in den Krieg geschlossen; der Transitverkehr über
Schweden und Norwegen infolge der Verwahrung dieser Staaten gegen eine
willkürliche Außerachtlassung ihrer neutralen Pflichten auf ein bescheidenes Maß
herabgesetzt; der nordrussische Hafen Archangelsk am Weißen Meer, von den
Eisverhältnissen ganz abgesehen, schwer erreichbar und sür einen größeren An¬
drang von Schiffsgütern durchaus unzulänglich; der Hafen Wladiwostok im
fernen Osten zu entlegen und durch die Eisblockode monatelang gleichfalls fast
unbenützbar; der Katharinenhafen (Jekaterinski Port) an der Murmanküste
infolge der Einwirkungen des Golfstromes zwar überwiegend eisfrei, aber in
rückständigster Verfassung und vor allem ohne Verbindung mit dem russischen
Eisenbahnnetz. In solcher Notlage mußte Rußland alles dransetzen, zum eis¬
freien Wasser vorzustoßen, wobei es die Wahl hatte, entweder über schwedischen
und norwegischen Boden den Verbindungsweg herzustellen oder den Murman-
hafen durch einen Schienenstrang näher an sich heranzurücken. Die russischen
Bemühungen, von England angelegentlich unterstützt, erstreckten sich auf beide
Möglichkeiten, ließen aber daneben auch Verkehrsfragen zweiten Ranges wie
den Ausbau der Bahn nach Archangelsk zu einer zweigleisigen und die An¬
legung einer Automobilstraße von Petersburg zum Weißen Meer nicht außer acht.

Die für die russisch, englischen Verkehrszwecke geeignetste Durchquerung der
skandinavischen Halbinsel läuft unter Benutzung der Ofotenbahn auf den stets
eisfreien norwegischen Hafen Narwik am Atlantischen Ozean hinaus, bringt
freilich auch manche Umständlichkeit mit sich, denn die Bahnverbindung wurde
in Haparanda (an der Mündung des Torneaelf in den Bodenlöcher Meer¬
busen) unterbrochen, so daß der Anschluß an die finnländische Bahn erst aus
dem jenseitigen Ufer erreicht werden konnte. Unseres Wissens ist der Grenz¬
fluß 30 Kilometer aufwärts bei Karungi inzwischen überbrückt worden. Trotzdem
hätte die russische Regierung den Notweg gern für sich mit Beschlag belegt,
natürlich unter der stillschweigenden Voraussetzung, diese Strecke auch für die
Einfuhr von Kriegsmaterial aller Art zu benutzen, erfuhr aber bei einer bezug-


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[0336] Großbritanniens Gstsecxolitik Während für England hauptsächlich die Zukunft das wichtigere Moment ist wurde Rußland durch die Kriegsnöte zu schleunigen Maßnahmen veranlaßt, seine überseeischen Verbindungen auszubauen. Der Krieg mußte die Dringlichkeit der Errichtung von Schiffahrtsbrücken, auf denen ein regelmäßiger Verkehr zwischen Rußland und seinen Mitverschworenen sich vollziehen könnte, um so greller hervortreten lassen, je länger eine Ent¬ scheidung im blutigen Ringen wider Erwarten der feindlichen Koalition aus¬ blieb und je schwerer die furchtbaren Niederlagen des Zarentums dessen eigene Kräfte erschöpften. Der frevelhafte Wahnwitz, mit dem Rußland in das Abenteuer des Weltkrieges sich gestürzt hat, wurde offenbar, als im ersten Kriegswinter die Zufuhr von Kriegsmaterial über See nach Rußland bedenklich ins Stocken geriet. Wie war es? Die Verkehrsstraßen über die Ostseehäfen, soweit diese überhaupt noch eisfrei waren, gesperrt; der Dardanellenweg durch den Eintritt der Türkei in den Krieg geschlossen; der Transitverkehr über Schweden und Norwegen infolge der Verwahrung dieser Staaten gegen eine willkürliche Außerachtlassung ihrer neutralen Pflichten auf ein bescheidenes Maß herabgesetzt; der nordrussische Hafen Archangelsk am Weißen Meer, von den Eisverhältnissen ganz abgesehen, schwer erreichbar und sür einen größeren An¬ drang von Schiffsgütern durchaus unzulänglich; der Hafen Wladiwostok im fernen Osten zu entlegen und durch die Eisblockode monatelang gleichfalls fast unbenützbar; der Katharinenhafen (Jekaterinski Port) an der Murmanküste infolge der Einwirkungen des Golfstromes zwar überwiegend eisfrei, aber in rückständigster Verfassung und vor allem ohne Verbindung mit dem russischen Eisenbahnnetz. In solcher Notlage mußte Rußland alles dransetzen, zum eis¬ freien Wasser vorzustoßen, wobei es die Wahl hatte, entweder über schwedischen und norwegischen Boden den Verbindungsweg herzustellen oder den Murman- hafen durch einen Schienenstrang näher an sich heranzurücken. Die russischen Bemühungen, von England angelegentlich unterstützt, erstreckten sich auf beide Möglichkeiten, ließen aber daneben auch Verkehrsfragen zweiten Ranges wie den Ausbau der Bahn nach Archangelsk zu einer zweigleisigen und die An¬ legung einer Automobilstraße von Petersburg zum Weißen Meer nicht außer acht. Die für die russisch, englischen Verkehrszwecke geeignetste Durchquerung der skandinavischen Halbinsel läuft unter Benutzung der Ofotenbahn auf den stets eisfreien norwegischen Hafen Narwik am Atlantischen Ozean hinaus, bringt freilich auch manche Umständlichkeit mit sich, denn die Bahnverbindung wurde in Haparanda (an der Mündung des Torneaelf in den Bodenlöcher Meer¬ busen) unterbrochen, so daß der Anschluß an die finnländische Bahn erst aus dem jenseitigen Ufer erreicht werden konnte. Unseres Wissens ist der Grenz¬ fluß 30 Kilometer aufwärts bei Karungi inzwischen überbrückt worden. Trotzdem hätte die russische Regierung den Notweg gern für sich mit Beschlag belegt, natürlich unter der stillschweigenden Voraussetzung, diese Strecke auch für die Einfuhr von Kriegsmaterial aller Art zu benutzen, erfuhr aber bei einer bezug-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/336>, abgerufen am 04.07.2024.