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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Großbritanniens Gstseepolitik

baltischen Küste eine Verfügungsgewalt auszuüben, von der sie, wie vielfach
berichtet wird, in weitgehendem Maße Gebrauch macht. .Eigennützige Ver¬
schlagenheit paart sich hierbei mit wohlberechneter Hilfsbereitschaft. Auf Geheiß
des militärischen Dirigenten des Vielverbandes müssen die russischen Streitkräfte
trotz aller Kampfesunlust an unserer Ostfront in verzweifeltem Widerstande be¬
harren, wahrend der wirtschaftliche Ausbeuter die russische Staatswirtschaft mit
eisernen Griffen umklammert hält. Sollten schließlich alle Gewaltmittel, Ver¬
sprechungen und Drohungen versagen und die staatlichen Scheingrößen in Ru߬
land zum Eingeständnis ihrer Ohnmacht genötigt sein, nun so muß die für
Nußland tragische Auseinandersetzung über die Abfindung seines Bundesgenossen
und Helfers in der Not erfolgen, dessen Guthaben gegenüber den moskowitischen
Ländern im Laufe des Krieges so riesengroß angewachsen ist, daß Nußland,
um es zu begleichen, zu schweren materiellen Opfern und unter Umständen auch
zu politischen Zugeständnissen sich wird verstehen müssen.

Die spekulativen Politiker an der Themse haben bei Gewährung ihrer
Unterstützungen an den notleidenden Spießgesellen im Osten diese späteren
Gegenleistungen desselben natürlich nie aus den Augen verloren, sind vielmehr
darauf bedacht gewesen, angemessene Sicherheiten schon jetzt sich geben zu lassen.
Allerdings werden bei Zusicherungen, die in die auswärtigen politischen Be¬
ziehungen Rußlands zu dritten Mächten herübergreifen könnten, auch letztere
ein ernstes Wort mitzureden haben. So könnte die Abtretung der in un¬
mittelbarer Nähe der schwedischen Küste belegenen russischen Alandsinseln an die
Engländer von den skandinavischen Staaten nicht stillschweigend hingenommen
werden. Und erst recht müßte Deutschland gegen alle englischen Versuche, im
Ostseegebiet mit der Einwilligung Rußlands befestigte Niederlassungen zu be¬
gründen, unter Aufgebot aller Machtmittel sich auflehnen. Wie das zu ge¬
schehen hätte, kann hier nicht erörtert werden. Es muß genügen, immer wieder
daran zu erinnern, daß mit einer Festsetzung der britischen Seemacht in der
Ostsee unabsehbare Gefahren für die deutschen Nachbargebiete verknüpft wären-

Vorausgesetzt aber, daß der "Verständigungsfrieden" mit Nußland es uns
ermöglicht, die schlimmsten Anschläge der englischen Ostseepolitik abzuwenden,
auch dann würden bedrohliche Punkte zum mindesten für die Entwicklung
unseres Ostseehandels verbleiben. Die Ostsee bildet durch ihre politisch¬
geographische Gestaltung die Fortsetzung der Nordsee nach Osten hin und dient
ebenso wie letztere dem freien Handelsverkehr im Anschluß an die großen Ver-
kehrsstraßen des Atlantischen Ozeans. Es wird niemandem in den Sinn
kommen, nach diesem Kriege die Ostsee zu einem geschlossenen Binnenmeer mit
dem Vorbehalt seiner wirtschaftlichen Ausnutzung nur durch bestimmte an"
grenzende Länder zu erklären. Die englische Seeschiffahrt wird daher nach wie
vor die Ostsee nach Belieben befahren dürfen und ihre Verkehrsbeziehungen
dorthin nach Bedürfnis reger gestalten können, ohne den Widerspruch anderer
Staaten wegen des Wettbewerbes im Seehandel herauszufordern. Diese Gleich-


Großbritanniens Gstseepolitik

baltischen Küste eine Verfügungsgewalt auszuüben, von der sie, wie vielfach
berichtet wird, in weitgehendem Maße Gebrauch macht. .Eigennützige Ver¬
schlagenheit paart sich hierbei mit wohlberechneter Hilfsbereitschaft. Auf Geheiß
des militärischen Dirigenten des Vielverbandes müssen die russischen Streitkräfte
trotz aller Kampfesunlust an unserer Ostfront in verzweifeltem Widerstande be¬
harren, wahrend der wirtschaftliche Ausbeuter die russische Staatswirtschaft mit
eisernen Griffen umklammert hält. Sollten schließlich alle Gewaltmittel, Ver¬
sprechungen und Drohungen versagen und die staatlichen Scheingrößen in Ru߬
land zum Eingeständnis ihrer Ohnmacht genötigt sein, nun so muß die für
Nußland tragische Auseinandersetzung über die Abfindung seines Bundesgenossen
und Helfers in der Not erfolgen, dessen Guthaben gegenüber den moskowitischen
Ländern im Laufe des Krieges so riesengroß angewachsen ist, daß Nußland,
um es zu begleichen, zu schweren materiellen Opfern und unter Umständen auch
zu politischen Zugeständnissen sich wird verstehen müssen.

Die spekulativen Politiker an der Themse haben bei Gewährung ihrer
Unterstützungen an den notleidenden Spießgesellen im Osten diese späteren
Gegenleistungen desselben natürlich nie aus den Augen verloren, sind vielmehr
darauf bedacht gewesen, angemessene Sicherheiten schon jetzt sich geben zu lassen.
Allerdings werden bei Zusicherungen, die in die auswärtigen politischen Be¬
ziehungen Rußlands zu dritten Mächten herübergreifen könnten, auch letztere
ein ernstes Wort mitzureden haben. So könnte die Abtretung der in un¬
mittelbarer Nähe der schwedischen Küste belegenen russischen Alandsinseln an die
Engländer von den skandinavischen Staaten nicht stillschweigend hingenommen
werden. Und erst recht müßte Deutschland gegen alle englischen Versuche, im
Ostseegebiet mit der Einwilligung Rußlands befestigte Niederlassungen zu be¬
gründen, unter Aufgebot aller Machtmittel sich auflehnen. Wie das zu ge¬
schehen hätte, kann hier nicht erörtert werden. Es muß genügen, immer wieder
daran zu erinnern, daß mit einer Festsetzung der britischen Seemacht in der
Ostsee unabsehbare Gefahren für die deutschen Nachbargebiete verknüpft wären-

Vorausgesetzt aber, daß der „Verständigungsfrieden" mit Nußland es uns
ermöglicht, die schlimmsten Anschläge der englischen Ostseepolitik abzuwenden,
auch dann würden bedrohliche Punkte zum mindesten für die Entwicklung
unseres Ostseehandels verbleiben. Die Ostsee bildet durch ihre politisch¬
geographische Gestaltung die Fortsetzung der Nordsee nach Osten hin und dient
ebenso wie letztere dem freien Handelsverkehr im Anschluß an die großen Ver-
kehrsstraßen des Atlantischen Ozeans. Es wird niemandem in den Sinn
kommen, nach diesem Kriege die Ostsee zu einem geschlossenen Binnenmeer mit
dem Vorbehalt seiner wirtschaftlichen Ausnutzung nur durch bestimmte an«
grenzende Länder zu erklären. Die englische Seeschiffahrt wird daher nach wie
vor die Ostsee nach Belieben befahren dürfen und ihre Verkehrsbeziehungen
dorthin nach Bedürfnis reger gestalten können, ohne den Widerspruch anderer
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[0334] Großbritanniens Gstseepolitik baltischen Küste eine Verfügungsgewalt auszuüben, von der sie, wie vielfach berichtet wird, in weitgehendem Maße Gebrauch macht. .Eigennützige Ver¬ schlagenheit paart sich hierbei mit wohlberechneter Hilfsbereitschaft. Auf Geheiß des militärischen Dirigenten des Vielverbandes müssen die russischen Streitkräfte trotz aller Kampfesunlust an unserer Ostfront in verzweifeltem Widerstande be¬ harren, wahrend der wirtschaftliche Ausbeuter die russische Staatswirtschaft mit eisernen Griffen umklammert hält. Sollten schließlich alle Gewaltmittel, Ver¬ sprechungen und Drohungen versagen und die staatlichen Scheingrößen in Ru߬ land zum Eingeständnis ihrer Ohnmacht genötigt sein, nun so muß die für Nußland tragische Auseinandersetzung über die Abfindung seines Bundesgenossen und Helfers in der Not erfolgen, dessen Guthaben gegenüber den moskowitischen Ländern im Laufe des Krieges so riesengroß angewachsen ist, daß Nußland, um es zu begleichen, zu schweren materiellen Opfern und unter Umständen auch zu politischen Zugeständnissen sich wird verstehen müssen. Die spekulativen Politiker an der Themse haben bei Gewährung ihrer Unterstützungen an den notleidenden Spießgesellen im Osten diese späteren Gegenleistungen desselben natürlich nie aus den Augen verloren, sind vielmehr darauf bedacht gewesen, angemessene Sicherheiten schon jetzt sich geben zu lassen. Allerdings werden bei Zusicherungen, die in die auswärtigen politischen Be¬ ziehungen Rußlands zu dritten Mächten herübergreifen könnten, auch letztere ein ernstes Wort mitzureden haben. So könnte die Abtretung der in un¬ mittelbarer Nähe der schwedischen Küste belegenen russischen Alandsinseln an die Engländer von den skandinavischen Staaten nicht stillschweigend hingenommen werden. Und erst recht müßte Deutschland gegen alle englischen Versuche, im Ostseegebiet mit der Einwilligung Rußlands befestigte Niederlassungen zu be¬ gründen, unter Aufgebot aller Machtmittel sich auflehnen. Wie das zu ge¬ schehen hätte, kann hier nicht erörtert werden. Es muß genügen, immer wieder daran zu erinnern, daß mit einer Festsetzung der britischen Seemacht in der Ostsee unabsehbare Gefahren für die deutschen Nachbargebiete verknüpft wären- Vorausgesetzt aber, daß der „Verständigungsfrieden" mit Nußland es uns ermöglicht, die schlimmsten Anschläge der englischen Ostseepolitik abzuwenden, auch dann würden bedrohliche Punkte zum mindesten für die Entwicklung unseres Ostseehandels verbleiben. Die Ostsee bildet durch ihre politisch¬ geographische Gestaltung die Fortsetzung der Nordsee nach Osten hin und dient ebenso wie letztere dem freien Handelsverkehr im Anschluß an die großen Ver- kehrsstraßen des Atlantischen Ozeans. Es wird niemandem in den Sinn kommen, nach diesem Kriege die Ostsee zu einem geschlossenen Binnenmeer mit dem Vorbehalt seiner wirtschaftlichen Ausnutzung nur durch bestimmte an« grenzende Länder zu erklären. Die englische Seeschiffahrt wird daher nach wie vor die Ostsee nach Belieben befahren dürfen und ihre Verkehrsbeziehungen dorthin nach Bedürfnis reger gestalten können, ohne den Widerspruch anderer Staaten wegen des Wettbewerbes im Seehandel herauszufordern. Diese Gleich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/334>, abgerufen am 04.07.2024.