Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Missingsch
von Professor Dr, Alfred Götze

le bekannte Mischsprache, die dem Hochdeutschen zustrebt, aber in
Aussprache und Wortwahl, Formenlehre und Syntax mehr oder
minder stark eine niederdeutsche Grundlage durchscheinen läßt, ist
im protestantischen Niederdeutschland entstanden zu einer Zeit, da
die Pressen des Landes zumeist Übersetzungen aus dem Hoch¬
deutschen zu drucken bekamen, da sich um die in Wittenberg gebildeten Geist¬
lichen ein hochdeutsch empfindender Kreis von Gelehrten und Gebildeten Scharte
und die norddeutschen Fürstenhöfe zur hochdeutschen Kanzleisprache überzugehen
begannen. Die hochdeutsche Literatursprache hieß im niederdeutschen Munde
nach ihrer ostmitteldeutschen Heimat in^Sensen und ist unter diesem Namen
schon seit 1450 nachzuweisen. Die Herkunftsbczeichnung wurde, wie es den
Adjektiven auf -isch gerade in Nord- und Mitteldeutschland früh und allgemein
ergangen ist, zum Tadel im Munde von Niederdeutschen, die, wie der Ham¬
burger Pfarrer David Wolder nach der Vorrede zu seiner plattdeutschen Bibel
(1596) "de rechte purreyne Sassische sprake mit der Misnischen edder Oldt-
frenkischen unde Ukerwendischen sprake unvermenget" erhalten wollten. Jhw
und seinen Gesinnungsgenossen, unter denen Johann Lauremberg aus Rostock, der
Verfasser der "Veer older berömeden Scherzgedichte" (1652) literarisch der be¬
deutendste ist, mußte vollends die mißlungene Mischsprache ein Greuel sein, die sich
als Meißnisch gab und wertvoller sein wollte, als das reine Niedersächsisch. Verglich
ein so gestimmter Niederdeutscher den hochdeutschen Bestandteil des Gemenges
mit dem anspruchsvollen, eingeführten Kupfer, den niederdeutschen mit dem be¬
scheidenen, heimischen Zink, so erschien ihm die Mischung als Messing, my3ersah
wurde zu Missingsch. Schon früh im vierzehnten Jahrhundert ist dieses Wort
in wechselnden Formen als Stoffadjektiv zu Messing nachzuweisen, eine seltsame
Bildung, aus dem adjektivisch gebrauchten Gen. Sing. ^issinZnes erwachsen-
An das Metall denkt heute der niederdeutsche, der nichts mehr vom "Mei߬
nischen" weiß, bei Missingsch ohne weiteres, mit dieser Deutung führt K. F- ^'
Scheller 1826 das Wort in seiner "Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen
Sprache" S. XIV und 386 ein. Missingsch ist zur Bezeichnung der Sprache




Missingsch
von Professor Dr, Alfred Götze

le bekannte Mischsprache, die dem Hochdeutschen zustrebt, aber in
Aussprache und Wortwahl, Formenlehre und Syntax mehr oder
minder stark eine niederdeutsche Grundlage durchscheinen läßt, ist
im protestantischen Niederdeutschland entstanden zu einer Zeit, da
die Pressen des Landes zumeist Übersetzungen aus dem Hoch¬
deutschen zu drucken bekamen, da sich um die in Wittenberg gebildeten Geist¬
lichen ein hochdeutsch empfindender Kreis von Gelehrten und Gebildeten Scharte
und die norddeutschen Fürstenhöfe zur hochdeutschen Kanzleisprache überzugehen
begannen. Die hochdeutsche Literatursprache hieß im niederdeutschen Munde
nach ihrer ostmitteldeutschen Heimat in^Sensen und ist unter diesem Namen
schon seit 1450 nachzuweisen. Die Herkunftsbczeichnung wurde, wie es den
Adjektiven auf -isch gerade in Nord- und Mitteldeutschland früh und allgemein
ergangen ist, zum Tadel im Munde von Niederdeutschen, die, wie der Ham¬
burger Pfarrer David Wolder nach der Vorrede zu seiner plattdeutschen Bibel
(1596) „de rechte purreyne Sassische sprake mit der Misnischen edder Oldt-
frenkischen unde Ukerwendischen sprake unvermenget" erhalten wollten. Jhw
und seinen Gesinnungsgenossen, unter denen Johann Lauremberg aus Rostock, der
Verfasser der „Veer older berömeden Scherzgedichte" (1652) literarisch der be¬
deutendste ist, mußte vollends die mißlungene Mischsprache ein Greuel sein, die sich
als Meißnisch gab und wertvoller sein wollte, als das reine Niedersächsisch. Verglich
ein so gestimmter Niederdeutscher den hochdeutschen Bestandteil des Gemenges
mit dem anspruchsvollen, eingeführten Kupfer, den niederdeutschen mit dem be¬
scheidenen, heimischen Zink, so erschien ihm die Mischung als Messing, my3ersah
wurde zu Missingsch. Schon früh im vierzehnten Jahrhundert ist dieses Wort
in wechselnden Formen als Stoffadjektiv zu Messing nachzuweisen, eine seltsame
Bildung, aus dem adjektivisch gebrauchten Gen. Sing. ^issinZnes erwachsen-
An das Metall denkt heute der niederdeutsche, der nichts mehr vom „Mei߬
nischen" weiß, bei Missingsch ohne weiteres, mit dieser Deutung führt K. F- ^'
Scheller 1826 das Wort in seiner „Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen
Sprache" S. XIV und 386 ein. Missingsch ist zur Bezeichnung der Sprache


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332605"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341905_332278/figures/grenzboten_341905_332278_332605_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Missingsch<lb/><note type="byline"> von Professor Dr, Alfred Götze</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1026" next="#ID_1027"> le bekannte Mischsprache, die dem Hochdeutschen zustrebt, aber in<lb/>
Aussprache und Wortwahl, Formenlehre und Syntax mehr oder<lb/>
minder stark eine niederdeutsche Grundlage durchscheinen läßt, ist<lb/>
im protestantischen Niederdeutschland entstanden zu einer Zeit, da<lb/>
die Pressen des Landes zumeist Übersetzungen aus dem Hoch¬<lb/>
deutschen zu drucken bekamen, da sich um die in Wittenberg gebildeten Geist¬<lb/>
lichen ein hochdeutsch empfindender Kreis von Gelehrten und Gebildeten Scharte<lb/>
und die norddeutschen Fürstenhöfe zur hochdeutschen Kanzleisprache überzugehen<lb/>
begannen. Die hochdeutsche Literatursprache hieß im niederdeutschen Munde<lb/>
nach ihrer ostmitteldeutschen Heimat in^Sensen und ist unter diesem Namen<lb/>
schon seit 1450 nachzuweisen. Die Herkunftsbczeichnung wurde, wie es den<lb/>
Adjektiven auf -isch gerade in Nord- und Mitteldeutschland früh und allgemein<lb/>
ergangen ist, zum Tadel im Munde von Niederdeutschen, die, wie der Ham¬<lb/>
burger Pfarrer David Wolder nach der Vorrede zu seiner plattdeutschen Bibel<lb/>
(1596) &#x201E;de rechte purreyne Sassische sprake mit der Misnischen edder Oldt-<lb/>
frenkischen unde Ukerwendischen sprake unvermenget" erhalten wollten. Jhw<lb/>
und seinen Gesinnungsgenossen, unter denen Johann Lauremberg aus Rostock, der<lb/>
Verfasser der &#x201E;Veer older berömeden Scherzgedichte" (1652) literarisch der be¬<lb/>
deutendste ist, mußte vollends die mißlungene Mischsprache ein Greuel sein, die sich<lb/>
als Meißnisch gab und wertvoller sein wollte, als das reine Niedersächsisch. Verglich<lb/>
ein so gestimmter Niederdeutscher den hochdeutschen Bestandteil des Gemenges<lb/>
mit dem anspruchsvollen, eingeführten Kupfer, den niederdeutschen mit dem be¬<lb/>
scheidenen, heimischen Zink, so erschien ihm die Mischung als Messing, my3ersah<lb/>
wurde zu Missingsch. Schon früh im vierzehnten Jahrhundert ist dieses Wort<lb/>
in wechselnden Formen als Stoffadjektiv zu Messing nachzuweisen, eine seltsame<lb/>
Bildung, aus dem adjektivisch gebrauchten Gen. Sing. ^issinZnes erwachsen-<lb/>
An das Metall denkt heute der niederdeutsche, der nichts mehr vom &#x201E;Mei߬<lb/>
nischen" weiß, bei Missingsch ohne weiteres, mit dieser Deutung führt K. F- ^'<lb/>
Scheller 1826 das Wort in seiner &#x201E;Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen<lb/>
Sprache" S. XIV und 386 ein. Missingsch ist zur Bezeichnung der Sprache</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] [Abbildung] Missingsch von Professor Dr, Alfred Götze le bekannte Mischsprache, die dem Hochdeutschen zustrebt, aber in Aussprache und Wortwahl, Formenlehre und Syntax mehr oder minder stark eine niederdeutsche Grundlage durchscheinen läßt, ist im protestantischen Niederdeutschland entstanden zu einer Zeit, da die Pressen des Landes zumeist Übersetzungen aus dem Hoch¬ deutschen zu drucken bekamen, da sich um die in Wittenberg gebildeten Geist¬ lichen ein hochdeutsch empfindender Kreis von Gelehrten und Gebildeten Scharte und die norddeutschen Fürstenhöfe zur hochdeutschen Kanzleisprache überzugehen begannen. Die hochdeutsche Literatursprache hieß im niederdeutschen Munde nach ihrer ostmitteldeutschen Heimat in^Sensen und ist unter diesem Namen schon seit 1450 nachzuweisen. Die Herkunftsbczeichnung wurde, wie es den Adjektiven auf -isch gerade in Nord- und Mitteldeutschland früh und allgemein ergangen ist, zum Tadel im Munde von Niederdeutschen, die, wie der Ham¬ burger Pfarrer David Wolder nach der Vorrede zu seiner plattdeutschen Bibel (1596) „de rechte purreyne Sassische sprake mit der Misnischen edder Oldt- frenkischen unde Ukerwendischen sprake unvermenget" erhalten wollten. Jhw und seinen Gesinnungsgenossen, unter denen Johann Lauremberg aus Rostock, der Verfasser der „Veer older berömeden Scherzgedichte" (1652) literarisch der be¬ deutendste ist, mußte vollends die mißlungene Mischsprache ein Greuel sein, die sich als Meißnisch gab und wertvoller sein wollte, als das reine Niedersächsisch. Verglich ein so gestimmter Niederdeutscher den hochdeutschen Bestandteil des Gemenges mit dem anspruchsvollen, eingeführten Kupfer, den niederdeutschen mit dem be¬ scheidenen, heimischen Zink, so erschien ihm die Mischung als Messing, my3ersah wurde zu Missingsch. Schon früh im vierzehnten Jahrhundert ist dieses Wort in wechselnden Formen als Stoffadjektiv zu Messing nachzuweisen, eine seltsame Bildung, aus dem adjektivisch gebrauchten Gen. Sing. ^issinZnes erwachsen- An das Metall denkt heute der niederdeutsche, der nichts mehr vom „Mei߬ nischen" weiß, bei Missingsch ohne weiteres, mit dieser Deutung führt K. F- ^' Scheller 1826 das Wort in seiner „Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen Sprache" S. XIV und 386 ein. Missingsch ist zur Bezeichnung der Sprache

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/326>, abgerufen am 04.07.2024.