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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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waltungsbeamten geworden, deren Tätigkeit als Lehrer und Gelehrte durch
einen Wust von Bureauarbeit überwuchert wird. Es werden von ihnen, zumal
w den großen Städten, so verschiedenartige Leistungen verlangt, wie sie nur
schwer miteinander zu vereinigen sind. Der heutige Direktor ist nicht mehr
der "Schulmonarch" früherer Zeiten, sondern eher der diplomatische Vermittler
Wischer sich entgegenwirkenden Elementen, zwischen Behörde. Lehrerkollegium.
Schülern und Elternhaus. Bei städtischen Anstalten kommt dazu noch die un¬
sichere Stellung zu der staatlichen Aufsichtsbehörde und der kommunalen Ver¬
waltung, die besonders dadurch verwickelt wird, daß die Städte auf Grund
ihrer finanziellen Unterstützung größeren Einfluß auch auf die inneren An¬
gelegenheiten der Schule anstreben. So wird die Arbeits- und Denkkraft der
Schuldirektoren in weitgehendem Maße von der Hauptaufgabe, der Leitung des
Unterrichts und der Erziehung, abgezogen und auf die Dauer ein Typus des
Direktors entwickelt, der nicht als ein erfreulicher Fortschritt gegen früher an¬
zusehen ist. Ähnliches gilt von den Provinzialschulräten. die fast ganz zu
Verwaltungs- und Aufsichtsbeamten geworden find und auch bei außergewöhn¬
licher Schaffenskraft kaum noch Zeit zu fruchtbarer wissenschaftlicher Beschäfti¬
gung finden.

^^Angesichts der geschilderten Verhältnisse erhebt sich nun die doppelte Frage.
°b eine Erweiterung der Interessen und der Wirksamkeit des Oberlehrerstandes
heutzutage überhaupt möglich und ob sie für die eigentliche Erziehungs- und
Unterrichtsaufgabe des Lehrers wünschenswert ist.

Was den zweiten Punkt betrifft, so kann sicher die Erziehung der Jugend
e>n Menschenleben in der würdigsten Weise ausfüllen, und es find wohl nicht
°le schlechtesten Lehrerpersönlichkeiten, die ganz in ihrem Berufe aufgehen und
der Heranbildung des zukünftigen Geschlechtes ihre Lebensaufgabe wie ihr
Lebensglück finden. Auch bat solche Beschränkung auf einen engeren Wirkungs¬
kreis ihre Verteidiger gehabt. Am schroffsten hat diesen Standpunkt Paul de
Lagarde vertreten: "Niemand, der andere unterweisen soll, kann anders leben
°is in der Einsamkeit. Er muß schon soviel sprechen und sein Wesen preis¬
ten, daß er völlig verlumpt, wenn er außerhalb der Schule etwas anderes
tut als arbeiten und schweigen." Gewiß mag für manche ein zurückgezogenes,
verinnerlichtes Leben naturgemäß, ja notwendig sein; aber es ist darum nicht
sür alle das Richtige. Eine Ausweitung des Gedanken- und Schaffenskreises
und die daraus entstehende Menschenkenntnis wird nicht nur für die ganze
Persönlichkeit des Erziehers fruchtbringend sein, sondern auch den Blick für die
Erfordernisse des Jugendlebens schärfen. Es ist einmal so, daß Wissen, wo es
^ Berührung mit der praktischen Welt meidet, eine Einengung der Person-
lHkeit zur Folge hat. ja egoistisch macht; niemals kann es die freie Bewegung
^"d das Handeln in der Welt ersetzen. Der Ansicht de Lagardes möchten wir
^shlllb die Forderung Fichtes gegenüberstellen, der vom Gelehrten, wozu er
ausdrücklich auch die Lehrer der "niederen gelehrten Schulen" rechnet, eine stete
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-nzbotenIII 1917 ^

waltungsbeamten geworden, deren Tätigkeit als Lehrer und Gelehrte durch
einen Wust von Bureauarbeit überwuchert wird. Es werden von ihnen, zumal
w den großen Städten, so verschiedenartige Leistungen verlangt, wie sie nur
schwer miteinander zu vereinigen sind. Der heutige Direktor ist nicht mehr
der „Schulmonarch" früherer Zeiten, sondern eher der diplomatische Vermittler
Wischer sich entgegenwirkenden Elementen, zwischen Behörde. Lehrerkollegium.
Schülern und Elternhaus. Bei städtischen Anstalten kommt dazu noch die un¬
sichere Stellung zu der staatlichen Aufsichtsbehörde und der kommunalen Ver¬
waltung, die besonders dadurch verwickelt wird, daß die Städte auf Grund
ihrer finanziellen Unterstützung größeren Einfluß auch auf die inneren An¬
gelegenheiten der Schule anstreben. So wird die Arbeits- und Denkkraft der
Schuldirektoren in weitgehendem Maße von der Hauptaufgabe, der Leitung des
Unterrichts und der Erziehung, abgezogen und auf die Dauer ein Typus des
Direktors entwickelt, der nicht als ein erfreulicher Fortschritt gegen früher an¬
zusehen ist. Ähnliches gilt von den Provinzialschulräten. die fast ganz zu
Verwaltungs- und Aufsichtsbeamten geworden find und auch bei außergewöhn¬
licher Schaffenskraft kaum noch Zeit zu fruchtbarer wissenschaftlicher Beschäfti¬
gung finden.

^^Angesichts der geschilderten Verhältnisse erhebt sich nun die doppelte Frage.
°b eine Erweiterung der Interessen und der Wirksamkeit des Oberlehrerstandes
heutzutage überhaupt möglich und ob sie für die eigentliche Erziehungs- und
Unterrichtsaufgabe des Lehrers wünschenswert ist.

Was den zweiten Punkt betrifft, so kann sicher die Erziehung der Jugend
e>n Menschenleben in der würdigsten Weise ausfüllen, und es find wohl nicht
°le schlechtesten Lehrerpersönlichkeiten, die ganz in ihrem Berufe aufgehen und
der Heranbildung des zukünftigen Geschlechtes ihre Lebensaufgabe wie ihr
Lebensglück finden. Auch bat solche Beschränkung auf einen engeren Wirkungs¬
kreis ihre Verteidiger gehabt. Am schroffsten hat diesen Standpunkt Paul de
Lagarde vertreten: „Niemand, der andere unterweisen soll, kann anders leben
°is in der Einsamkeit. Er muß schon soviel sprechen und sein Wesen preis¬
ten, daß er völlig verlumpt, wenn er außerhalb der Schule etwas anderes
tut als arbeiten und schweigen." Gewiß mag für manche ein zurückgezogenes,
verinnerlichtes Leben naturgemäß, ja notwendig sein; aber es ist darum nicht
sür alle das Richtige. Eine Ausweitung des Gedanken- und Schaffenskreises
und die daraus entstehende Menschenkenntnis wird nicht nur für die ganze
Persönlichkeit des Erziehers fruchtbringend sein, sondern auch den Blick für die
Erfordernisse des Jugendlebens schärfen. Es ist einmal so, daß Wissen, wo es
^ Berührung mit der praktischen Welt meidet, eine Einengung der Person-
lHkeit zur Folge hat. ja egoistisch macht; niemals kann es die freie Bewegung
^"d das Handeln in der Welt ersetzen. Der Ansicht de Lagardes möchten wir
^shlllb die Forderung Fichtes gegenüberstellen, der vom Gelehrten, wozu er
ausdrücklich auch die Lehrer der „niederen gelehrten Schulen" rechnet, eine stete
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/285>, abgerufen am 04.07.2024.