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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Neue Bücher

K. Wcrbelis: "Russisch-Litauen" (Stuttgart; Verlag von I. Schrader).

Litauen rückt in unseren Gesichtskreis. Feldgraue, Kriegsberichterstatter,
Broschürenschreiber, auch halbamtliche Publikationen wissen uns von dort so manches
Interessante zu berichten. Tiefer eindringende, wissenschaftlich geschulte Forscher
versuchen, das schwierige litauische Problem in seinem ganzen Umfange zu erfassen
und uns zu einem wirklichen Urteil zu befähigen. Von den Werken dieser Kategorie
verdient das vorliegende besonders wcirm empfohlen zu werden.

Der Verfasser, allem Anschein nach Nationallitauer, ist mit Land und Leuten,
mit Vergangenheit und Gegenwart seiner Heimat aufs genaueste vertraut und
beherrscht, was nur wenige Litaueuforscher von sich sagen können, die fünf
Quellensprachen seiner "statistisch-ethnographischen Betrachtungen", das Litauische,
Russische, Polnische, Deutsche und Französische. Er ist vermutlich Historiker und
Statistiker von Fach; wenn nicht, ist er doch der Methoden dieser Wissenschaften
Meister; ihm gelingt deshalb der überzeugende Nachweis, daß den Polen weder
aus der Vergangenheit ein Rechtstitel noch in der Gegenwart auf Grund ihrer
Zahl, ihres Besitzstandes und des oft behaupteten kulturellen Einflusses ein An¬
spruch auf die ehedem litauischen Lande zur Seite steht.

Wie seine Landsleute, so fürchtet auch Werbelis, daß trotzdem das historische
Litauen und damit das Wohngebiet der Litauer den Polen, je nach der Ent¬
scheidung des Kriegsgottes, von den Russen oder von den Deutschen zu liebevoller
"Berücksichtigung der Volkseigenart", d. h. zur Polonisierung ausgeantwortet
werden wird. Was für die Großrussen ausgeschlossen ist, die das Westgebiet
stets möglichst polenrein gehalten haben und es nach dem Kriege mit griechisch-
orthodoxen Muschiks zu besiedeln gedenken; was auch für uns Deutsche unwahr¬
scheinlich ist, da es für unser Reich und Volk zum Verhängnis werden würde.

Um die -- hoffentlich nur eingebildete -- Gefahr zu bannen, wendet sich
der Verfasser in deutscher Sprache an uns Deutsche; er will falsche Urteile richtig
stellen, tendenziös fälschende Darstellungen von polnischer Seite widerlegen und
uns die nötigen Kenntnisse als Grundlage den Litauern günstiger Entschlüsse an
die Hand geben. Zu diesem Zweck stellt er mit wissenschaftlicher Gründlichkeit
und mit der Objektivität, die des Forschers Pflicht ist, Litauen und litauisches
Wesen so dar, wie es sich im Wechsel der Verhältnisse entwickelt hat, wie es un¬
geschminkt wirklich ist, und wie es sich auf Grund vorsichtiger und scharfsinniger
Kritik des reichen Tatsachen- und Zahlenmaterials dem wissenschaftlich arbeitenden
Gelehrten darstellt. Vor allem ist er bemüht, die Grenzen des von Litauern be¬
wohnten Gebietes festzustellen, die Zahlenverhältnisse der Völkermischung innerhalb
dieser Grenzen und die des wiederauflebenden Litauertums außerhalb derselben,




Neue Bücher

K. Wcrbelis: „Russisch-Litauen" (Stuttgart; Verlag von I. Schrader).

Litauen rückt in unseren Gesichtskreis. Feldgraue, Kriegsberichterstatter,
Broschürenschreiber, auch halbamtliche Publikationen wissen uns von dort so manches
Interessante zu berichten. Tiefer eindringende, wissenschaftlich geschulte Forscher
versuchen, das schwierige litauische Problem in seinem ganzen Umfange zu erfassen
und uns zu einem wirklichen Urteil zu befähigen. Von den Werken dieser Kategorie
verdient das vorliegende besonders wcirm empfohlen zu werden.

Der Verfasser, allem Anschein nach Nationallitauer, ist mit Land und Leuten,
mit Vergangenheit und Gegenwart seiner Heimat aufs genaueste vertraut und
beherrscht, was nur wenige Litaueuforscher von sich sagen können, die fünf
Quellensprachen seiner „statistisch-ethnographischen Betrachtungen", das Litauische,
Russische, Polnische, Deutsche und Französische. Er ist vermutlich Historiker und
Statistiker von Fach; wenn nicht, ist er doch der Methoden dieser Wissenschaften
Meister; ihm gelingt deshalb der überzeugende Nachweis, daß den Polen weder
aus der Vergangenheit ein Rechtstitel noch in der Gegenwart auf Grund ihrer
Zahl, ihres Besitzstandes und des oft behaupteten kulturellen Einflusses ein An¬
spruch auf die ehedem litauischen Lande zur Seite steht.

Wie seine Landsleute, so fürchtet auch Werbelis, daß trotzdem das historische
Litauen und damit das Wohngebiet der Litauer den Polen, je nach der Ent¬
scheidung des Kriegsgottes, von den Russen oder von den Deutschen zu liebevoller
„Berücksichtigung der Volkseigenart", d. h. zur Polonisierung ausgeantwortet
werden wird. Was für die Großrussen ausgeschlossen ist, die das Westgebiet
stets möglichst polenrein gehalten haben und es nach dem Kriege mit griechisch-
orthodoxen Muschiks zu besiedeln gedenken; was auch für uns Deutsche unwahr¬
scheinlich ist, da es für unser Reich und Volk zum Verhängnis werden würde.

Um die — hoffentlich nur eingebildete — Gefahr zu bannen, wendet sich
der Verfasser in deutscher Sprache an uns Deutsche; er will falsche Urteile richtig
stellen, tendenziös fälschende Darstellungen von polnischer Seite widerlegen und
uns die nötigen Kenntnisse als Grundlage den Litauern günstiger Entschlüsse an
die Hand geben. Zu diesem Zweck stellt er mit wissenschaftlicher Gründlichkeit
und mit der Objektivität, die des Forschers Pflicht ist, Litauen und litauisches
Wesen so dar, wie es sich im Wechsel der Verhältnisse entwickelt hat, wie es un¬
geschminkt wirklich ist, und wie es sich auf Grund vorsichtiger und scharfsinniger
Kritik des reichen Tatsachen- und Zahlenmaterials dem wissenschaftlich arbeitenden
Gelehrten darstellt. Vor allem ist er bemüht, die Grenzen des von Litauern be¬
wohnten Gebietes festzustellen, die Zahlenverhältnisse der Völkermischung innerhalb
dieser Grenzen und die des wiederauflebenden Litauertums außerhalb derselben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/266>, abgerufen am 04.07.2024.