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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Zur litauischen Frage

wird, wovon ich 1915 in meinem "Neupolen"*) eingehend gehandelt habe.
Die Polen wollen den Zugang zur Ostsee; der bei Libau ist für ihrer. Handel
zu weit entlegen; das Njemengebiet ist für Ein- und Ausfuhr auf Memel und
Königsberg, das Weichselgebiet, freilich zu einem weit geringeren Teil, als
man gemeinhin annimmt, auf Danzig angewiesen, das preußische Stadt ist und
bleiben muß, auch nur auf Grund des polnischen Eroberungsrechts während
dreier Jahrhunderte der Krone Polen gehört hat. Nebenbei gesagt, der
polnische Handel wird in Zukunft in stets steigendem Maße Land-, Fluß- und
Kanalwege nach dem Westen, nach Breslau, Dresden, Berlin usw., seinem
Hauptabsatzgebiete, benutzen; die Blütezeit des polnischen Holzhandels ist zudem
vorüber, da es im Weichselgebiet nur noch wenig, meist devastierten Wald
gibt. Der Export polnischen Weizens nach England über Danzig ist seit
langem im Rückgang; wird in Neupolen die Landwirtschaft erst intensiv betreiben,
dann wird sie ihren Überschuß gleichfalls nach Westen bei uns Deutschen ab¬
setzen, über Danzig etwa nach England nur noch wenig ausführen. Trotzdem
werden freilich die Polen auf der jagellonischen Staatsidee, dem Polen vom
Meer zum Meer, beharren, nur der angedeuteten, energisch durchgeführten
Aktion werden sie sich fügen und sich, in Zollgemeinschaft mit dem Deutschen
Reich, damit abfinden, daß ihr mäßiger Ostseehandel durch fremdes Volks- und
Staatsgebiet geht. Der vis major werden sie weichen. Ihre Ausbreitung
im Osten zu fördern, ist in keinem Falle nötig.

Für die Zukunft des historischen Litauen kommen theoretisch drei Möglich¬
keiten in Betracht. Es kann bei Rußland bleiben und wird dann durch Aus¬
siedlung der Ureinwohner hinter den Ural und durch Ansiedlung großrussischer
Bauern erbarmungslos großrussifiziert; es kann entweder ganz oder mindestens
Weißrußland mit Neupolen als dem imaginären Schutzwall gegen die Welt-
machtsgelüste des Moskals vereinigt werden und wird dann, sämtlichen Ver¬
tragsbestimmungen und Garantien zum Trotz, unweigerlich mit der polnischen
Schule und Amtssprache beglückt und wohl auch schließlich nach heftigem
Widerstande polonisiert; es kann endlich unter dem Schutze des Deutschen
Reiches seiner "Entwicklung aus Eigenem" leben und wird sich dann schnell
geistig und wirtschaftlich zu hoher Blüte entwickeln. Letzteres entspräche dem
Wunsche der Eingeborenen. Was eine nahe Zukunft in ihrem Schoße birgt,
wissen wir nicht. Aber wir bauen auf Ludendorff Zuschrift an die "Deutsche
Lodzer Zeitung", wonach als Ergebnis des Krieges "die Macht Mitteleuropas
gestärkt und die der Großrussen nach Osten, woher sie vor nicht langer Zeit
gekommen ist, zurückgeschoben werden wird." Wir bauen ferner darauf, daß
der leitende Staatsmann die Gefahr einer nach Osten erheblich vergrößerten
und mit den Großrussen grenzenden slawischen Großmacht Polen erkannt hat
und den Polen nach dem Grundsatz des 8uurn cuique nur das an Land



") Verlag I. F. Lehmann; München 1916. Preis 1.S0 M.
Zur litauischen Frage

wird, wovon ich 1915 in meinem „Neupolen"*) eingehend gehandelt habe.
Die Polen wollen den Zugang zur Ostsee; der bei Libau ist für ihrer. Handel
zu weit entlegen; das Njemengebiet ist für Ein- und Ausfuhr auf Memel und
Königsberg, das Weichselgebiet, freilich zu einem weit geringeren Teil, als
man gemeinhin annimmt, auf Danzig angewiesen, das preußische Stadt ist und
bleiben muß, auch nur auf Grund des polnischen Eroberungsrechts während
dreier Jahrhunderte der Krone Polen gehört hat. Nebenbei gesagt, der
polnische Handel wird in Zukunft in stets steigendem Maße Land-, Fluß- und
Kanalwege nach dem Westen, nach Breslau, Dresden, Berlin usw., seinem
Hauptabsatzgebiete, benutzen; die Blütezeit des polnischen Holzhandels ist zudem
vorüber, da es im Weichselgebiet nur noch wenig, meist devastierten Wald
gibt. Der Export polnischen Weizens nach England über Danzig ist seit
langem im Rückgang; wird in Neupolen die Landwirtschaft erst intensiv betreiben,
dann wird sie ihren Überschuß gleichfalls nach Westen bei uns Deutschen ab¬
setzen, über Danzig etwa nach England nur noch wenig ausführen. Trotzdem
werden freilich die Polen auf der jagellonischen Staatsidee, dem Polen vom
Meer zum Meer, beharren, nur der angedeuteten, energisch durchgeführten
Aktion werden sie sich fügen und sich, in Zollgemeinschaft mit dem Deutschen
Reich, damit abfinden, daß ihr mäßiger Ostseehandel durch fremdes Volks- und
Staatsgebiet geht. Der vis major werden sie weichen. Ihre Ausbreitung
im Osten zu fördern, ist in keinem Falle nötig.

Für die Zukunft des historischen Litauen kommen theoretisch drei Möglich¬
keiten in Betracht. Es kann bei Rußland bleiben und wird dann durch Aus¬
siedlung der Ureinwohner hinter den Ural und durch Ansiedlung großrussischer
Bauern erbarmungslos großrussifiziert; es kann entweder ganz oder mindestens
Weißrußland mit Neupolen als dem imaginären Schutzwall gegen die Welt-
machtsgelüste des Moskals vereinigt werden und wird dann, sämtlichen Ver¬
tragsbestimmungen und Garantien zum Trotz, unweigerlich mit der polnischen
Schule und Amtssprache beglückt und wohl auch schließlich nach heftigem
Widerstande polonisiert; es kann endlich unter dem Schutze des Deutschen
Reiches seiner „Entwicklung aus Eigenem" leben und wird sich dann schnell
geistig und wirtschaftlich zu hoher Blüte entwickeln. Letzteres entspräche dem
Wunsche der Eingeborenen. Was eine nahe Zukunft in ihrem Schoße birgt,
wissen wir nicht. Aber wir bauen auf Ludendorff Zuschrift an die „Deutsche
Lodzer Zeitung", wonach als Ergebnis des Krieges „die Macht Mitteleuropas
gestärkt und die der Großrussen nach Osten, woher sie vor nicht langer Zeit
gekommen ist, zurückgeschoben werden wird." Wir bauen ferner darauf, daß
der leitende Staatsmann die Gefahr einer nach Osten erheblich vergrößerten
und mit den Großrussen grenzenden slawischen Großmacht Polen erkannt hat
und den Polen nach dem Grundsatz des 8uurn cuique nur das an Land



") Verlag I. F. Lehmann; München 1916. Preis 1.S0 M.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/158>, abgerufen am 24.07.2024.