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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bcvöll'erungsbiologie

keineswegs aufwiegt. Eher schon könnte man. nach gewissen statistischen An¬
zeichen, jener pessimistischen Prognose Folgerichtigkeit zugestehen, die für später
eine automatische Wiederherstellung des gestörten Zahlenverhältnisses zwischen
überlegener und gewöhnlicher Begabung davon erwarten zu dürfen meint, daß
die gewohnheitsmäßige Nachahmung der in den höheren Lebenskreisen ge¬
pflogenen Sitten oder Unsitten durch die mittleren und unteren Klassen auch
jenem modernen Malthusianismus mit der Zeit bei ihnen immer mehr Eingang
verschaffen wird. Doch was hieße, wollte man sich mit solcher Aussicht zu¬
friedengeben, dies ebenfalls anderes, als den Teufel durch Beelzebub aus^
treiben zu lassen?!

Handelt es sich nun aber überhaupt bei jener auffälligen generativen Ver¬
armung der sozial-erfolgreichen Eltern um wirklich neumalthusianische Tendenzen
um gewollte Beschränkung? Schon Spencer hat in Übereinstimmung mit manchen
Naturwissenschaftlern und Soziologen die Ansicht vertreten, daß höhere Aus¬
bildung und dauernde gesteigerte Tätigkeit des Gehirns anscheinend mit biolo¬
gischer Triebkraft zu einer Herabsetzung der Zeugungsfähigkeit führe; und diese
Autoren sehen in solcher Wechselwirkung der Funktionen eine Erklärung dafür,
daß der Stamm geistig hervorragender Männer auffälligerweise schon in der
dritten Generation zu erlöschen neigt. Lorenz weist z. B. in seinem "Lehrbuch
der gesamten wissenschaftlichen Genealogie" darauf hin, daß von all den
führenden Geistern, die um 1800 herum in Weimar versammelt waren, hundert
Jahre später schon kein einziger männlicher Nachkomme mehr vorhanden gewesen
ist. Aber so sehr diese Erscheinung gewiß zu denken geben muß, so berührt
sie doch mehr das Problem des Genies als das der nur höheren Tüchtigkeit.
Das Genie stellt unzweifelhaft einen durchaus abnormen Menschentypus dar;
und es kann uns nicht so sehr verwundern, daß in seiner Erzeugung die Quell-
kraft der Natur sich leichter erschöpft: eine breitere Aussaat der sogenannten
Talente hingegen bleibt durchaus im Rahmen der normalen Entwicklungsmöglich¬
keiten. Wenn aber trotzdem unverkennbar auch diese Schicht der Tüchtigen,
der Besitzer kostbarster innerer Erbwerte, soweit sie zugleich die in Kunst und
Wissenschaft, im Beamtentum oder in Handel und Industrie sozial Erfolgreichen
find, eine erheblich unter dem Durchschnitt der Gesamtheit liegende und immer
weiter absinkende Fruchtbarkeit bekundet, dann liegt es angesichts verwandter
und zur Genüge erforschter Erscheinungen doch nahe, hier weniger in einen?
Willen der Natur als vielmehr in eigenmächtigen Tendenzen der Menschen die
treibenden Kräfte zu suchen.

Ohne daß wir den nachteiligen Einfluß dauernder angestrengtester Gehirn-
tätigkeit aus die physische Funktionstüchtigkeit und so auch auf unser Zeugungs¬
vermögen völlig übersehen könnten und ohne daß wir uns andrerseits hier etwa
in einseitige und unfruchtbare moralische Betrachtungen über den Neumalthu-
ficmismus verlieren möchten, dürfen wir seine ausschlaggebende Bedeutung für
die Gestaltung dieser Verhältnisse, die z. B. auch durch neuere soziologische


Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bcvöll'erungsbiologie

keineswegs aufwiegt. Eher schon könnte man. nach gewissen statistischen An¬
zeichen, jener pessimistischen Prognose Folgerichtigkeit zugestehen, die für später
eine automatische Wiederherstellung des gestörten Zahlenverhältnisses zwischen
überlegener und gewöhnlicher Begabung davon erwarten zu dürfen meint, daß
die gewohnheitsmäßige Nachahmung der in den höheren Lebenskreisen ge¬
pflogenen Sitten oder Unsitten durch die mittleren und unteren Klassen auch
jenem modernen Malthusianismus mit der Zeit bei ihnen immer mehr Eingang
verschaffen wird. Doch was hieße, wollte man sich mit solcher Aussicht zu¬
friedengeben, dies ebenfalls anderes, als den Teufel durch Beelzebub aus^
treiben zu lassen?!

Handelt es sich nun aber überhaupt bei jener auffälligen generativen Ver¬
armung der sozial-erfolgreichen Eltern um wirklich neumalthusianische Tendenzen
um gewollte Beschränkung? Schon Spencer hat in Übereinstimmung mit manchen
Naturwissenschaftlern und Soziologen die Ansicht vertreten, daß höhere Aus¬
bildung und dauernde gesteigerte Tätigkeit des Gehirns anscheinend mit biolo¬
gischer Triebkraft zu einer Herabsetzung der Zeugungsfähigkeit führe; und diese
Autoren sehen in solcher Wechselwirkung der Funktionen eine Erklärung dafür,
daß der Stamm geistig hervorragender Männer auffälligerweise schon in der
dritten Generation zu erlöschen neigt. Lorenz weist z. B. in seinem „Lehrbuch
der gesamten wissenschaftlichen Genealogie" darauf hin, daß von all den
führenden Geistern, die um 1800 herum in Weimar versammelt waren, hundert
Jahre später schon kein einziger männlicher Nachkomme mehr vorhanden gewesen
ist. Aber so sehr diese Erscheinung gewiß zu denken geben muß, so berührt
sie doch mehr das Problem des Genies als das der nur höheren Tüchtigkeit.
Das Genie stellt unzweifelhaft einen durchaus abnormen Menschentypus dar;
und es kann uns nicht so sehr verwundern, daß in seiner Erzeugung die Quell-
kraft der Natur sich leichter erschöpft: eine breitere Aussaat der sogenannten
Talente hingegen bleibt durchaus im Rahmen der normalen Entwicklungsmöglich¬
keiten. Wenn aber trotzdem unverkennbar auch diese Schicht der Tüchtigen,
der Besitzer kostbarster innerer Erbwerte, soweit sie zugleich die in Kunst und
Wissenschaft, im Beamtentum oder in Handel und Industrie sozial Erfolgreichen
find, eine erheblich unter dem Durchschnitt der Gesamtheit liegende und immer
weiter absinkende Fruchtbarkeit bekundet, dann liegt es angesichts verwandter
und zur Genüge erforschter Erscheinungen doch nahe, hier weniger in einen?
Willen der Natur als vielmehr in eigenmächtigen Tendenzen der Menschen die
treibenden Kräfte zu suchen.

Ohne daß wir den nachteiligen Einfluß dauernder angestrengtester Gehirn-
tätigkeit aus die physische Funktionstüchtigkeit und so auch auf unser Zeugungs¬
vermögen völlig übersehen könnten und ohne daß wir uns andrerseits hier etwa
in einseitige und unfruchtbare moralische Betrachtungen über den Neumalthu-
ficmismus verlieren möchten, dürfen wir seine ausschlaggebende Bedeutung für
die Gestaltung dieser Verhältnisse, die z. B. auch durch neuere soziologische


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[0099] Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bcvöll'erungsbiologie keineswegs aufwiegt. Eher schon könnte man. nach gewissen statistischen An¬ zeichen, jener pessimistischen Prognose Folgerichtigkeit zugestehen, die für später eine automatische Wiederherstellung des gestörten Zahlenverhältnisses zwischen überlegener und gewöhnlicher Begabung davon erwarten zu dürfen meint, daß die gewohnheitsmäßige Nachahmung der in den höheren Lebenskreisen ge¬ pflogenen Sitten oder Unsitten durch die mittleren und unteren Klassen auch jenem modernen Malthusianismus mit der Zeit bei ihnen immer mehr Eingang verschaffen wird. Doch was hieße, wollte man sich mit solcher Aussicht zu¬ friedengeben, dies ebenfalls anderes, als den Teufel durch Beelzebub aus^ treiben zu lassen?! Handelt es sich nun aber überhaupt bei jener auffälligen generativen Ver¬ armung der sozial-erfolgreichen Eltern um wirklich neumalthusianische Tendenzen um gewollte Beschränkung? Schon Spencer hat in Übereinstimmung mit manchen Naturwissenschaftlern und Soziologen die Ansicht vertreten, daß höhere Aus¬ bildung und dauernde gesteigerte Tätigkeit des Gehirns anscheinend mit biolo¬ gischer Triebkraft zu einer Herabsetzung der Zeugungsfähigkeit führe; und diese Autoren sehen in solcher Wechselwirkung der Funktionen eine Erklärung dafür, daß der Stamm geistig hervorragender Männer auffälligerweise schon in der dritten Generation zu erlöschen neigt. Lorenz weist z. B. in seinem „Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie" darauf hin, daß von all den führenden Geistern, die um 1800 herum in Weimar versammelt waren, hundert Jahre später schon kein einziger männlicher Nachkomme mehr vorhanden gewesen ist. Aber so sehr diese Erscheinung gewiß zu denken geben muß, so berührt sie doch mehr das Problem des Genies als das der nur höheren Tüchtigkeit. Das Genie stellt unzweifelhaft einen durchaus abnormen Menschentypus dar; und es kann uns nicht so sehr verwundern, daß in seiner Erzeugung die Quell- kraft der Natur sich leichter erschöpft: eine breitere Aussaat der sogenannten Talente hingegen bleibt durchaus im Rahmen der normalen Entwicklungsmöglich¬ keiten. Wenn aber trotzdem unverkennbar auch diese Schicht der Tüchtigen, der Besitzer kostbarster innerer Erbwerte, soweit sie zugleich die in Kunst und Wissenschaft, im Beamtentum oder in Handel und Industrie sozial Erfolgreichen find, eine erheblich unter dem Durchschnitt der Gesamtheit liegende und immer weiter absinkende Fruchtbarkeit bekundet, dann liegt es angesichts verwandter und zur Genüge erforschter Erscheinungen doch nahe, hier weniger in einen? Willen der Natur als vielmehr in eigenmächtigen Tendenzen der Menschen die treibenden Kräfte zu suchen. Ohne daß wir den nachteiligen Einfluß dauernder angestrengtester Gehirn- tätigkeit aus die physische Funktionstüchtigkeit und so auch auf unser Zeugungs¬ vermögen völlig übersehen könnten und ohne daß wir uns andrerseits hier etwa in einseitige und unfruchtbare moralische Betrachtungen über den Neumalthu- ficmismus verlieren möchten, dürfen wir seine ausschlaggebende Bedeutung für die Gestaltung dieser Verhältnisse, die z. B. auch durch neuere soziologische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/99>, abgerufen am 11.01.2025.