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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bevölkerungsbiologie

Man vergegenwärtige sich, daß unter den Mitteln, mit denen die Natur
ihre Auslese treibt, eine großartige Verschwendung aller Lebenskeime an der
Spitze steht. Nur indem überall in der organischen Welt, wo noch der Wille
der Natur ungehemmt und unverdcckt zur Entfaltung gelangt, die Tendenz
wie die Fähigkeit zur Vermehrung mit urwüchsigen Ungestüm sich auswirken,
wird ein Spielraum von genügender Weite für den Existenzkampf geschaffen.
Erst diese Lebensfülle gestattete es, ohne Rücksicht dem Untergange zu weihen,
was sich den Bedingungen des Daseins nicht gewappnet, nicht genügend
"angepaßt" erweist; und indem die Tüchtigkeit, die dank ihren überlegenen
geistigen oder körperlichen Anlogen das Feld behauptet, es nun auch vor¬
wiegend wieder mit ihrer Gattung bevölkern darf, bildet diese "natürliche
Zuchmahl". wie sie Darwin genannt hat, wohl den kräftigsten Hebel fort¬
zeugender universaler Aufwärtsentwicklung. In der Welt der Pflanzen wie in
der der Tiere war und ist sie das richtunggebende Gesetz; und ebenso hat sie
in der Geschichte der Menschheit zum Werden und Vergehen der Nationen wie
innerhalb eines jeden Volkes zur gesunden sozialen Gliederung den Grundriß
geliefert. Erst unserer zunehmenden Entfremdung von aller Natur war es
vorbehalten, andersartigen Gesetzmäßigkeiten ähnliche Macht über unseren
Schicksals gang einzuräumen.

War also die ursprüngliche Grundlage auch der menschlichen Höher¬
entwicklung eben jene verschwenderische Keimaussaat, aus deren Fülle, aller
störenden Zufallslaunen ungeachtet, diejenigen Individuen im allgemeinen die
besten Aussichten hatten, die Geschlechtsreife zu erleben und neuen Generationen
ihren erprobten Samen zu geben, die den jeweiligen Daseins- und Fort-
pflanzungsbedingungen am besten angepaßt waren, so weist heute bekanntlich
die Kulturmenschheit gerade umgekehrt eine ausgesprochene Beschränkung der
liaturgewollten Fruchtbarkeit auf und entzieht damit dem Walten der natur.
lichen Auslese von vornherein die nützliche Weite des Spielraumes. Und von
ganz besonderer Bedeutung ist es dabei, daß Fähigkeit und Wille zur Ver¬
mehrung gerade in denjenigen Bevölkerungsschichten den radikalsten Rückgang
offenbaren, die -- mit Ausnahmen selbstverständlich -- durch ihre überdurch¬
schnittliche Tüchtigkeit die oberen Stufen der sozialen Gliederung zu erklimmen
vermochten! Es muß bei der zunehmenden Schärfe des Daseinskampfes, der
die brauchbarste Rüstung verlangt, von schnellem Verhängnis für die Selbst¬
behauptung eines Herrenvolkes werden, wenn die Summe hochwertiger An¬
lagen in ihm von Generation zu Generation sich auf immer geringeren Nach¬
wuchs beschränkt und vor der Mittelmäßigkeit Schritt um Schritt zurückweicht.
Wollte man sich demgegenüber aber etwa darauf beziehen (wie manche es tun),
daß die vorläufig -- leider! -- noch überdurchschnittliche Kindersterblichkeit in
den unteren Volksklassen hierfür gewissermaßen mit naturgesetzlichem Instinkt
einen Ausgleich anzubieten scheint, so würde man sich dabei nachweislich auf
einen Irrtum stützen, da diese höhere Mortalität jenes Minus denn doch


Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bevölkerungsbiologie

Man vergegenwärtige sich, daß unter den Mitteln, mit denen die Natur
ihre Auslese treibt, eine großartige Verschwendung aller Lebenskeime an der
Spitze steht. Nur indem überall in der organischen Welt, wo noch der Wille
der Natur ungehemmt und unverdcckt zur Entfaltung gelangt, die Tendenz
wie die Fähigkeit zur Vermehrung mit urwüchsigen Ungestüm sich auswirken,
wird ein Spielraum von genügender Weite für den Existenzkampf geschaffen.
Erst diese Lebensfülle gestattete es, ohne Rücksicht dem Untergange zu weihen,
was sich den Bedingungen des Daseins nicht gewappnet, nicht genügend
„angepaßt" erweist; und indem die Tüchtigkeit, die dank ihren überlegenen
geistigen oder körperlichen Anlogen das Feld behauptet, es nun auch vor¬
wiegend wieder mit ihrer Gattung bevölkern darf, bildet diese „natürliche
Zuchmahl". wie sie Darwin genannt hat, wohl den kräftigsten Hebel fort¬
zeugender universaler Aufwärtsentwicklung. In der Welt der Pflanzen wie in
der der Tiere war und ist sie das richtunggebende Gesetz; und ebenso hat sie
in der Geschichte der Menschheit zum Werden und Vergehen der Nationen wie
innerhalb eines jeden Volkes zur gesunden sozialen Gliederung den Grundriß
geliefert. Erst unserer zunehmenden Entfremdung von aller Natur war es
vorbehalten, andersartigen Gesetzmäßigkeiten ähnliche Macht über unseren
Schicksals gang einzuräumen.

War also die ursprüngliche Grundlage auch der menschlichen Höher¬
entwicklung eben jene verschwenderische Keimaussaat, aus deren Fülle, aller
störenden Zufallslaunen ungeachtet, diejenigen Individuen im allgemeinen die
besten Aussichten hatten, die Geschlechtsreife zu erleben und neuen Generationen
ihren erprobten Samen zu geben, die den jeweiligen Daseins- und Fort-
pflanzungsbedingungen am besten angepaßt waren, so weist heute bekanntlich
die Kulturmenschheit gerade umgekehrt eine ausgesprochene Beschränkung der
liaturgewollten Fruchtbarkeit auf und entzieht damit dem Walten der natur.
lichen Auslese von vornherein die nützliche Weite des Spielraumes. Und von
ganz besonderer Bedeutung ist es dabei, daß Fähigkeit und Wille zur Ver¬
mehrung gerade in denjenigen Bevölkerungsschichten den radikalsten Rückgang
offenbaren, die — mit Ausnahmen selbstverständlich — durch ihre überdurch¬
schnittliche Tüchtigkeit die oberen Stufen der sozialen Gliederung zu erklimmen
vermochten! Es muß bei der zunehmenden Schärfe des Daseinskampfes, der
die brauchbarste Rüstung verlangt, von schnellem Verhängnis für die Selbst¬
behauptung eines Herrenvolkes werden, wenn die Summe hochwertiger An¬
lagen in ihm von Generation zu Generation sich auf immer geringeren Nach¬
wuchs beschränkt und vor der Mittelmäßigkeit Schritt um Schritt zurückweicht.
Wollte man sich demgegenüber aber etwa darauf beziehen (wie manche es tun),
daß die vorläufig — leider! — noch überdurchschnittliche Kindersterblichkeit in
den unteren Volksklassen hierfür gewissermaßen mit naturgesetzlichem Instinkt
einen Ausgleich anzubieten scheint, so würde man sich dabei nachweislich auf
einen Irrtum stützen, da diese höhere Mortalität jenes Minus denn doch


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[0098] Der Aufstieg der Begabten im Lichte der Bevölkerungsbiologie Man vergegenwärtige sich, daß unter den Mitteln, mit denen die Natur ihre Auslese treibt, eine großartige Verschwendung aller Lebenskeime an der Spitze steht. Nur indem überall in der organischen Welt, wo noch der Wille der Natur ungehemmt und unverdcckt zur Entfaltung gelangt, die Tendenz wie die Fähigkeit zur Vermehrung mit urwüchsigen Ungestüm sich auswirken, wird ein Spielraum von genügender Weite für den Existenzkampf geschaffen. Erst diese Lebensfülle gestattete es, ohne Rücksicht dem Untergange zu weihen, was sich den Bedingungen des Daseins nicht gewappnet, nicht genügend „angepaßt" erweist; und indem die Tüchtigkeit, die dank ihren überlegenen geistigen oder körperlichen Anlogen das Feld behauptet, es nun auch vor¬ wiegend wieder mit ihrer Gattung bevölkern darf, bildet diese „natürliche Zuchmahl". wie sie Darwin genannt hat, wohl den kräftigsten Hebel fort¬ zeugender universaler Aufwärtsentwicklung. In der Welt der Pflanzen wie in der der Tiere war und ist sie das richtunggebende Gesetz; und ebenso hat sie in der Geschichte der Menschheit zum Werden und Vergehen der Nationen wie innerhalb eines jeden Volkes zur gesunden sozialen Gliederung den Grundriß geliefert. Erst unserer zunehmenden Entfremdung von aller Natur war es vorbehalten, andersartigen Gesetzmäßigkeiten ähnliche Macht über unseren Schicksals gang einzuräumen. War also die ursprüngliche Grundlage auch der menschlichen Höher¬ entwicklung eben jene verschwenderische Keimaussaat, aus deren Fülle, aller störenden Zufallslaunen ungeachtet, diejenigen Individuen im allgemeinen die besten Aussichten hatten, die Geschlechtsreife zu erleben und neuen Generationen ihren erprobten Samen zu geben, die den jeweiligen Daseins- und Fort- pflanzungsbedingungen am besten angepaßt waren, so weist heute bekanntlich die Kulturmenschheit gerade umgekehrt eine ausgesprochene Beschränkung der liaturgewollten Fruchtbarkeit auf und entzieht damit dem Walten der natur. lichen Auslese von vornherein die nützliche Weite des Spielraumes. Und von ganz besonderer Bedeutung ist es dabei, daß Fähigkeit und Wille zur Ver¬ mehrung gerade in denjenigen Bevölkerungsschichten den radikalsten Rückgang offenbaren, die — mit Ausnahmen selbstverständlich — durch ihre überdurch¬ schnittliche Tüchtigkeit die oberen Stufen der sozialen Gliederung zu erklimmen vermochten! Es muß bei der zunehmenden Schärfe des Daseinskampfes, der die brauchbarste Rüstung verlangt, von schnellem Verhängnis für die Selbst¬ behauptung eines Herrenvolkes werden, wenn die Summe hochwertiger An¬ lagen in ihm von Generation zu Generation sich auf immer geringeren Nach¬ wuchs beschränkt und vor der Mittelmäßigkeit Schritt um Schritt zurückweicht. Wollte man sich demgegenüber aber etwa darauf beziehen (wie manche es tun), daß die vorläufig — leider! — noch überdurchschnittliche Kindersterblichkeit in den unteren Volksklassen hierfür gewissermaßen mit naturgesetzlichem Instinkt einen Ausgleich anzubieten scheint, so würde man sich dabei nachweislich auf einen Irrtum stützen, da diese höhere Mortalität jenes Minus denn doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/98>, abgerufen am 11.01.2025.