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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Griechenland

nicht weniger gefährdet, namentlich liegt der zur Fastinsel abgeschnürte Peloponnes
im Bereich der englischen Seegewalt. In weit bedrohlicherer Weise treten die
Buchten des Saronischen Golfs, des Golfs von Volo und des von Saloniki,
an den Hauptverkehrs- und Lebensstrang des griechischen Staates heran, der.
an eine fortlaufende Reihe einzelner Becken gebunden, ganz Oftgriechenland
durchzieht und die wichtigsten Stützpunkte staatlicher Macht. Athen und Saloniki,
verbindet. Außer der gesamten Inselwelt und allen Küstenlandschaften liegt
also Ostgriechenland, der Kernteil des Staates, im Bereiche britischer Schiffs¬
kanonen. Lediglich die Binnenlandschaften sind der unmittelbaren Beherrschung
von der See aus entrückt. Allerdings birgt die Auflösung des Landes in die
der griechischen Halbinsel vorgelagerten Jnselguirlandeu zugleich auch die Möglich¬
keit einer zukünftigen wirkungsvollen Küstenverteidigung aller empfindlichen
Stellen des räumlichen Staatsorganismus in sich; durch weittragende Geschütze
läßt sich eine Sperrung der Golfe von Korinth. Ägina und Saloniki und eine
völlige Sicherung der Hauptverkehrsader Griechenlands erzielen. Doch gehört ein
militärisch so erstarktcs Griechenland noch völlig der Zukunft an. Heute bedeutet
die für das griechische Handelsleben wertvolle Küstengestaltung ohne genügende
Küstenverteidigung im Kriegsfalle eine unheimliche Gefahr.

In der für die politische Gestaltung des Landes äußerst ungünstigen Aus¬
bildung einer einzigen Hauptverkehrslinie, die sich nur im Peloponnes verzweigt,
drückt sich die große Veikehrsungunst der übrigen Teile, namentlich des ganzen
Nordwestens aus. die das heutige Entwicklungsstadium des Staates noch nicht zu
überwinden vermocht hat. Auf einer Karte, auf der um Athen die Linien gleicher
Reisedauer eingezeichnet sind, ergibt sich, daß große Teile des kleinen Landes erst
nach einer Reise von 20 bis 25 Stunden erreicht werden können. Dabei sind
der Berechnung die Zeiten, die die schnellsten verfügbaren Beförderungsmittel
beanspruchen, namentlich die des Schiffsverkehrs, wo ein solcher möglich, zu¬
grunde gelegt. Ungleich ungünstiger müssen sich dagegen die Verhältnisse bei
der Mobilisierung gegen einen von der See aus angreifenden Feind gestalten.
Da die Benützung des Seeweges dann kaum möglich sein wird, werden die
Truppen aus dem großen Nordwestteil des Landes mehrere Wochen brauchen,
bis sie Athen und überhaupt den schon im ersten Augenblick gefährdeten oft-
griechischen Kernteil des Staates erreichen. Ein militärischer Widerstand
Griechenlands gegen die Forderungen Englands und seiner Verbündeten ver¬
spricht daher auch aus diesem Grunde keinen Erfolg. So bilden die maritime
Endlage, die Oberflächenverhältnisse und die von beiden abhängigen Verkehrs-
Verhältnisse des Landes eine erste Ursachenreihe für die politische Stellung des
Griechenstaates.

Diese Abhängigkeit, von der sich bisher nur die randlichen Zonen un¬
mittelbar betroffen zeigten, ergreift aber tatsächlich das ganze Land, weil es
sich wirtschaftlich längst nicht selbst genügt und der Strom des Wirtschafts¬
lebens nur in den geschilderten Verkehrsbahnen zu pulsieren vermag: Griechen-


Griechenland

nicht weniger gefährdet, namentlich liegt der zur Fastinsel abgeschnürte Peloponnes
im Bereich der englischen Seegewalt. In weit bedrohlicherer Weise treten die
Buchten des Saronischen Golfs, des Golfs von Volo und des von Saloniki,
an den Hauptverkehrs- und Lebensstrang des griechischen Staates heran, der.
an eine fortlaufende Reihe einzelner Becken gebunden, ganz Oftgriechenland
durchzieht und die wichtigsten Stützpunkte staatlicher Macht. Athen und Saloniki,
verbindet. Außer der gesamten Inselwelt und allen Küstenlandschaften liegt
also Ostgriechenland, der Kernteil des Staates, im Bereiche britischer Schiffs¬
kanonen. Lediglich die Binnenlandschaften sind der unmittelbaren Beherrschung
von der See aus entrückt. Allerdings birgt die Auflösung des Landes in die
der griechischen Halbinsel vorgelagerten Jnselguirlandeu zugleich auch die Möglich¬
keit einer zukünftigen wirkungsvollen Küstenverteidigung aller empfindlichen
Stellen des räumlichen Staatsorganismus in sich; durch weittragende Geschütze
läßt sich eine Sperrung der Golfe von Korinth. Ägina und Saloniki und eine
völlige Sicherung der Hauptverkehrsader Griechenlands erzielen. Doch gehört ein
militärisch so erstarktcs Griechenland noch völlig der Zukunft an. Heute bedeutet
die für das griechische Handelsleben wertvolle Küstengestaltung ohne genügende
Küstenverteidigung im Kriegsfalle eine unheimliche Gefahr.

In der für die politische Gestaltung des Landes äußerst ungünstigen Aus¬
bildung einer einzigen Hauptverkehrslinie, die sich nur im Peloponnes verzweigt,
drückt sich die große Veikehrsungunst der übrigen Teile, namentlich des ganzen
Nordwestens aus. die das heutige Entwicklungsstadium des Staates noch nicht zu
überwinden vermocht hat. Auf einer Karte, auf der um Athen die Linien gleicher
Reisedauer eingezeichnet sind, ergibt sich, daß große Teile des kleinen Landes erst
nach einer Reise von 20 bis 25 Stunden erreicht werden können. Dabei sind
der Berechnung die Zeiten, die die schnellsten verfügbaren Beförderungsmittel
beanspruchen, namentlich die des Schiffsverkehrs, wo ein solcher möglich, zu¬
grunde gelegt. Ungleich ungünstiger müssen sich dagegen die Verhältnisse bei
der Mobilisierung gegen einen von der See aus angreifenden Feind gestalten.
Da die Benützung des Seeweges dann kaum möglich sein wird, werden die
Truppen aus dem großen Nordwestteil des Landes mehrere Wochen brauchen,
bis sie Athen und überhaupt den schon im ersten Augenblick gefährdeten oft-
griechischen Kernteil des Staates erreichen. Ein militärischer Widerstand
Griechenlands gegen die Forderungen Englands und seiner Verbündeten ver¬
spricht daher auch aus diesem Grunde keinen Erfolg. So bilden die maritime
Endlage, die Oberflächenverhältnisse und die von beiden abhängigen Verkehrs-
Verhältnisse des Landes eine erste Ursachenreihe für die politische Stellung des
Griechenstaates.

Diese Abhängigkeit, von der sich bisher nur die randlichen Zonen un¬
mittelbar betroffen zeigten, ergreift aber tatsächlich das ganze Land, weil es
sich wirtschaftlich längst nicht selbst genügt und der Strom des Wirtschafts¬
lebens nur in den geschilderten Verkehrsbahnen zu pulsieren vermag: Griechen-


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[0092] Griechenland nicht weniger gefährdet, namentlich liegt der zur Fastinsel abgeschnürte Peloponnes im Bereich der englischen Seegewalt. In weit bedrohlicherer Weise treten die Buchten des Saronischen Golfs, des Golfs von Volo und des von Saloniki, an den Hauptverkehrs- und Lebensstrang des griechischen Staates heran, der. an eine fortlaufende Reihe einzelner Becken gebunden, ganz Oftgriechenland durchzieht und die wichtigsten Stützpunkte staatlicher Macht. Athen und Saloniki, verbindet. Außer der gesamten Inselwelt und allen Küstenlandschaften liegt also Ostgriechenland, der Kernteil des Staates, im Bereiche britischer Schiffs¬ kanonen. Lediglich die Binnenlandschaften sind der unmittelbaren Beherrschung von der See aus entrückt. Allerdings birgt die Auflösung des Landes in die der griechischen Halbinsel vorgelagerten Jnselguirlandeu zugleich auch die Möglich¬ keit einer zukünftigen wirkungsvollen Küstenverteidigung aller empfindlichen Stellen des räumlichen Staatsorganismus in sich; durch weittragende Geschütze läßt sich eine Sperrung der Golfe von Korinth. Ägina und Saloniki und eine völlige Sicherung der Hauptverkehrsader Griechenlands erzielen. Doch gehört ein militärisch so erstarktcs Griechenland noch völlig der Zukunft an. Heute bedeutet die für das griechische Handelsleben wertvolle Küstengestaltung ohne genügende Küstenverteidigung im Kriegsfalle eine unheimliche Gefahr. In der für die politische Gestaltung des Landes äußerst ungünstigen Aus¬ bildung einer einzigen Hauptverkehrslinie, die sich nur im Peloponnes verzweigt, drückt sich die große Veikehrsungunst der übrigen Teile, namentlich des ganzen Nordwestens aus. die das heutige Entwicklungsstadium des Staates noch nicht zu überwinden vermocht hat. Auf einer Karte, auf der um Athen die Linien gleicher Reisedauer eingezeichnet sind, ergibt sich, daß große Teile des kleinen Landes erst nach einer Reise von 20 bis 25 Stunden erreicht werden können. Dabei sind der Berechnung die Zeiten, die die schnellsten verfügbaren Beförderungsmittel beanspruchen, namentlich die des Schiffsverkehrs, wo ein solcher möglich, zu¬ grunde gelegt. Ungleich ungünstiger müssen sich dagegen die Verhältnisse bei der Mobilisierung gegen einen von der See aus angreifenden Feind gestalten. Da die Benützung des Seeweges dann kaum möglich sein wird, werden die Truppen aus dem großen Nordwestteil des Landes mehrere Wochen brauchen, bis sie Athen und überhaupt den schon im ersten Augenblick gefährdeten oft- griechischen Kernteil des Staates erreichen. Ein militärischer Widerstand Griechenlands gegen die Forderungen Englands und seiner Verbündeten ver¬ spricht daher auch aus diesem Grunde keinen Erfolg. So bilden die maritime Endlage, die Oberflächenverhältnisse und die von beiden abhängigen Verkehrs- Verhältnisse des Landes eine erste Ursachenreihe für die politische Stellung des Griechenstaates. Diese Abhängigkeit, von der sich bisher nur die randlichen Zonen un¬ mittelbar betroffen zeigten, ergreift aber tatsächlich das ganze Land, weil es sich wirtschaftlich längst nicht selbst genügt und der Strom des Wirtschafts¬ lebens nur in den geschilderten Verkehrsbahnen zu pulsieren vermag: Griechen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/92>, abgerufen am 12.01.2025.