Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Griechenland

wärtige Weltbrand wieder ein lehrreiches Beispiel geliefert. Erst als seine
Flammen die europäisch-vorderasiatischen Übergangsländer ergriffen hatten und
der Ansturm der Entente auf die eigentliche Brückenstellung, Bosporus und
Dardanellen, abgeschlagen war, ward auch Griechenland in den Strudel der
Ereignisse gezogen, und suchten die Westmächte, ohne jeden Zweifel unter dem
tonangebenden Einfluß Englands, durch jene allbekannte Reihe von Maßnahmen,
die die Souveränität Griechenlands nahezu aufhoben, die zweite europäisch¬
asiatische Brücke in ihren Besitz zu bringen. Aber weder den einzelnen, oft
von vornherein keinerlei militärischen Erfolg versprechenden Unternehmungen,
noch der gesamten Bemühung um Griechenland kann irgendwelche Wichtigkeit
für den Verlauf des Krieges beigemessen werden; kann doch Griechenland ver¬
möge seiner geringen Volkszahl und Wirtschaftskraft als kein wertvoller Ver¬
bündeter im gegenwärtigen Ringen gelten. Vom deutschen Standpunkt wäre
daher eine offene Erklärung Griechenlands für die Sache des Vierbundes vor¬
erst in keiner Weise wünschenswert, weil die dann notwendigen kriegerischen
Entwicklungen auf der griechischen Halbinsel nur eine überflüssige militärische
Belastung für uns bedeuteten und sich genau so wie die Unternehmungen der
Entente im Orient den Vorwurf unzweckmäßiger Machtzersplitterung gefallen
lassen müßten. In größerem Zusammenhang jedoch gilt das letzte Urteil
nicht mehr, sondern Griechenlands rein raumpolitische Bedeutung namentlich
für England erscheint völlig klar: bildet doch Griechenland den günstigsten
europäischen Landesteg nach Ägypten. Ein antienglisches, mit Mitteleuropa
verbündetes Griechenland müßte in empfindlichster Weise diesen Schlu߬
stein des britischen Weltreiches bedrohen. Was ist daher natürlicher als
Englands Bestrebungen, den gewaltigen Querriegel, den es zur Sicherung
seiner Herrschaft in Indien durch den Zusammenschluß des Nordgestades am
Indischen Ozean in Persien, Mesopotamien, Arabien, Ägypten gebildet hat,
quer über das östliche Mittelmeer bis nach Griechenland vorzuschieben? Nur
so läßt sich das zähe Werben Englands um Griechenland erklären. Und sonder¬
barerweise wendet sich die Defensivtendenz dieses britischen Schutzgürtels, der
dazu bestimmt ist, die Herrschaft Englands im Indischen Ozean und in dem
mediterranen Zufahrtsmeer zu sichern, nicht allein gegen den Vierbund der
erstarkenden Mittelmächte, sondern vielleicht noch mehr gegen den augenblicklichen
Verbündeten Englands, gegen -- Rußland!

Die Jnsularitüt und Peninsularität Griechenlands kommt gemeinsam mit
der vielgebuchteten, durch reiche geologische Bewegungen hervorgebrachten Küsten¬
gestalt diesen Bemühungen Englands weit entgegen. Bei der geringen griechischen
Wehrkraft, namentlich bei dem Mangel jeder bedeutenden Flotte war die griechische
Inselwelt von Anfang an der britischen Seemacht ausgeliefert. Einige der mit
herrlichen Hafenbuchtcn ausgestatteten Eilande -- wie Lemnos und Mytilene --
mußten zur Errichtung von Flottenstationen geradezu herausfordern. Aber
auch wichtige Teile des Halbiusellandes sind infolge der tiefeingreifenden Buchten


Griechenland

wärtige Weltbrand wieder ein lehrreiches Beispiel geliefert. Erst als seine
Flammen die europäisch-vorderasiatischen Übergangsländer ergriffen hatten und
der Ansturm der Entente auf die eigentliche Brückenstellung, Bosporus und
Dardanellen, abgeschlagen war, ward auch Griechenland in den Strudel der
Ereignisse gezogen, und suchten die Westmächte, ohne jeden Zweifel unter dem
tonangebenden Einfluß Englands, durch jene allbekannte Reihe von Maßnahmen,
die die Souveränität Griechenlands nahezu aufhoben, die zweite europäisch¬
asiatische Brücke in ihren Besitz zu bringen. Aber weder den einzelnen, oft
von vornherein keinerlei militärischen Erfolg versprechenden Unternehmungen,
noch der gesamten Bemühung um Griechenland kann irgendwelche Wichtigkeit
für den Verlauf des Krieges beigemessen werden; kann doch Griechenland ver¬
möge seiner geringen Volkszahl und Wirtschaftskraft als kein wertvoller Ver¬
bündeter im gegenwärtigen Ringen gelten. Vom deutschen Standpunkt wäre
daher eine offene Erklärung Griechenlands für die Sache des Vierbundes vor¬
erst in keiner Weise wünschenswert, weil die dann notwendigen kriegerischen
Entwicklungen auf der griechischen Halbinsel nur eine überflüssige militärische
Belastung für uns bedeuteten und sich genau so wie die Unternehmungen der
Entente im Orient den Vorwurf unzweckmäßiger Machtzersplitterung gefallen
lassen müßten. In größerem Zusammenhang jedoch gilt das letzte Urteil
nicht mehr, sondern Griechenlands rein raumpolitische Bedeutung namentlich
für England erscheint völlig klar: bildet doch Griechenland den günstigsten
europäischen Landesteg nach Ägypten. Ein antienglisches, mit Mitteleuropa
verbündetes Griechenland müßte in empfindlichster Weise diesen Schlu߬
stein des britischen Weltreiches bedrohen. Was ist daher natürlicher als
Englands Bestrebungen, den gewaltigen Querriegel, den es zur Sicherung
seiner Herrschaft in Indien durch den Zusammenschluß des Nordgestades am
Indischen Ozean in Persien, Mesopotamien, Arabien, Ägypten gebildet hat,
quer über das östliche Mittelmeer bis nach Griechenland vorzuschieben? Nur
so läßt sich das zähe Werben Englands um Griechenland erklären. Und sonder¬
barerweise wendet sich die Defensivtendenz dieses britischen Schutzgürtels, der
dazu bestimmt ist, die Herrschaft Englands im Indischen Ozean und in dem
mediterranen Zufahrtsmeer zu sichern, nicht allein gegen den Vierbund der
erstarkenden Mittelmächte, sondern vielleicht noch mehr gegen den augenblicklichen
Verbündeten Englands, gegen — Rußland!

Die Jnsularitüt und Peninsularität Griechenlands kommt gemeinsam mit
der vielgebuchteten, durch reiche geologische Bewegungen hervorgebrachten Küsten¬
gestalt diesen Bemühungen Englands weit entgegen. Bei der geringen griechischen
Wehrkraft, namentlich bei dem Mangel jeder bedeutenden Flotte war die griechische
Inselwelt von Anfang an der britischen Seemacht ausgeliefert. Einige der mit
herrlichen Hafenbuchtcn ausgestatteten Eilande — wie Lemnos und Mytilene —
mußten zur Errichtung von Flottenstationen geradezu herausfordern. Aber
auch wichtige Teile des Halbiusellandes sind infolge der tiefeingreifenden Buchten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331933"/>
          <fw type="header" place="top"> Griechenland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_222" prev="#ID_221"> wärtige Weltbrand wieder ein lehrreiches Beispiel geliefert.  Erst als seine<lb/>
Flammen die europäisch-vorderasiatischen Übergangsländer ergriffen hatten und<lb/>
der Ansturm der Entente auf die eigentliche Brückenstellung, Bosporus und<lb/>
Dardanellen, abgeschlagen war, ward auch Griechenland in den Strudel der<lb/>
Ereignisse gezogen, und suchten die Westmächte, ohne jeden Zweifel unter dem<lb/>
tonangebenden Einfluß Englands, durch jene allbekannte Reihe von Maßnahmen,<lb/>
die die Souveränität Griechenlands nahezu aufhoben, die zweite europäisch¬<lb/>
asiatische Brücke in ihren Besitz zu bringen.  Aber weder den einzelnen, oft<lb/>
von vornherein keinerlei militärischen Erfolg versprechenden Unternehmungen,<lb/>
noch der gesamten Bemühung um Griechenland kann irgendwelche Wichtigkeit<lb/>
für den Verlauf des Krieges beigemessen werden; kann doch Griechenland ver¬<lb/>
möge seiner geringen Volkszahl und Wirtschaftskraft als kein wertvoller Ver¬<lb/>
bündeter im gegenwärtigen Ringen gelten.  Vom deutschen Standpunkt wäre<lb/>
daher eine offene Erklärung Griechenlands für die Sache des Vierbundes vor¬<lb/>
erst in keiner Weise wünschenswert, weil die dann notwendigen kriegerischen<lb/>
Entwicklungen auf der griechischen Halbinsel nur eine überflüssige militärische<lb/>
Belastung für uns bedeuteten und sich genau so wie die Unternehmungen der<lb/>
Entente im Orient den Vorwurf unzweckmäßiger Machtzersplitterung gefallen<lb/>
lassen müßten.  In größerem Zusammenhang jedoch gilt das letzte Urteil<lb/>
nicht mehr, sondern Griechenlands rein raumpolitische Bedeutung namentlich<lb/>
für England erscheint völlig klar: bildet doch Griechenland den günstigsten<lb/>
europäischen Landesteg nach Ägypten.  Ein antienglisches, mit Mitteleuropa<lb/>
verbündetes Griechenland müßte in empfindlichster Weise diesen Schlu߬<lb/>
stein des britischen Weltreiches bedrohen.  Was ist daher natürlicher als<lb/>
Englands Bestrebungen, den gewaltigen Querriegel, den es zur Sicherung<lb/>
seiner Herrschaft in Indien durch den Zusammenschluß des Nordgestades am<lb/>
Indischen Ozean in Persien, Mesopotamien, Arabien, Ägypten gebildet hat,<lb/>
quer über das östliche Mittelmeer bis nach Griechenland vorzuschieben? Nur<lb/>
so läßt sich das zähe Werben Englands um Griechenland erklären. Und sonder¬<lb/>
barerweise wendet sich die Defensivtendenz dieses britischen Schutzgürtels, der<lb/>
dazu bestimmt ist, die Herrschaft Englands im Indischen Ozean und in dem<lb/>
mediterranen Zufahrtsmeer zu sichern, nicht allein gegen den Vierbund der<lb/>
erstarkenden Mittelmächte, sondern vielleicht noch mehr gegen den augenblicklichen<lb/>
Verbündeten Englands, gegen &#x2014; Rußland!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_223" next="#ID_224"> Die Jnsularitüt und Peninsularität Griechenlands kommt gemeinsam mit<lb/>
der vielgebuchteten, durch reiche geologische Bewegungen hervorgebrachten Küsten¬<lb/>
gestalt diesen Bemühungen Englands weit entgegen. Bei der geringen griechischen<lb/>
Wehrkraft, namentlich bei dem Mangel jeder bedeutenden Flotte war die griechische<lb/>
Inselwelt von Anfang an der britischen Seemacht ausgeliefert. Einige der mit<lb/>
herrlichen Hafenbuchtcn ausgestatteten Eilande &#x2014; wie Lemnos und Mytilene &#x2014;<lb/>
mußten zur Errichtung von Flottenstationen geradezu herausfordern. Aber<lb/>
auch wichtige Teile des Halbiusellandes sind infolge der tiefeingreifenden Buchten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0091] Griechenland wärtige Weltbrand wieder ein lehrreiches Beispiel geliefert. Erst als seine Flammen die europäisch-vorderasiatischen Übergangsländer ergriffen hatten und der Ansturm der Entente auf die eigentliche Brückenstellung, Bosporus und Dardanellen, abgeschlagen war, ward auch Griechenland in den Strudel der Ereignisse gezogen, und suchten die Westmächte, ohne jeden Zweifel unter dem tonangebenden Einfluß Englands, durch jene allbekannte Reihe von Maßnahmen, die die Souveränität Griechenlands nahezu aufhoben, die zweite europäisch¬ asiatische Brücke in ihren Besitz zu bringen. Aber weder den einzelnen, oft von vornherein keinerlei militärischen Erfolg versprechenden Unternehmungen, noch der gesamten Bemühung um Griechenland kann irgendwelche Wichtigkeit für den Verlauf des Krieges beigemessen werden; kann doch Griechenland ver¬ möge seiner geringen Volkszahl und Wirtschaftskraft als kein wertvoller Ver¬ bündeter im gegenwärtigen Ringen gelten. Vom deutschen Standpunkt wäre daher eine offene Erklärung Griechenlands für die Sache des Vierbundes vor¬ erst in keiner Weise wünschenswert, weil die dann notwendigen kriegerischen Entwicklungen auf der griechischen Halbinsel nur eine überflüssige militärische Belastung für uns bedeuteten und sich genau so wie die Unternehmungen der Entente im Orient den Vorwurf unzweckmäßiger Machtzersplitterung gefallen lassen müßten. In größerem Zusammenhang jedoch gilt das letzte Urteil nicht mehr, sondern Griechenlands rein raumpolitische Bedeutung namentlich für England erscheint völlig klar: bildet doch Griechenland den günstigsten europäischen Landesteg nach Ägypten. Ein antienglisches, mit Mitteleuropa verbündetes Griechenland müßte in empfindlichster Weise diesen Schlu߬ stein des britischen Weltreiches bedrohen. Was ist daher natürlicher als Englands Bestrebungen, den gewaltigen Querriegel, den es zur Sicherung seiner Herrschaft in Indien durch den Zusammenschluß des Nordgestades am Indischen Ozean in Persien, Mesopotamien, Arabien, Ägypten gebildet hat, quer über das östliche Mittelmeer bis nach Griechenland vorzuschieben? Nur so läßt sich das zähe Werben Englands um Griechenland erklären. Und sonder¬ barerweise wendet sich die Defensivtendenz dieses britischen Schutzgürtels, der dazu bestimmt ist, die Herrschaft Englands im Indischen Ozean und in dem mediterranen Zufahrtsmeer zu sichern, nicht allein gegen den Vierbund der erstarkenden Mittelmächte, sondern vielleicht noch mehr gegen den augenblicklichen Verbündeten Englands, gegen — Rußland! Die Jnsularitüt und Peninsularität Griechenlands kommt gemeinsam mit der vielgebuchteten, durch reiche geologische Bewegungen hervorgebrachten Küsten¬ gestalt diesen Bemühungen Englands weit entgegen. Bei der geringen griechischen Wehrkraft, namentlich bei dem Mangel jeder bedeutenden Flotte war die griechische Inselwelt von Anfang an der britischen Seemacht ausgeliefert. Einige der mit herrlichen Hafenbuchtcn ausgestatteten Eilande — wie Lemnos und Mytilene — mußten zur Errichtung von Flottenstationen geradezu herausfordern. Aber auch wichtige Teile des Halbiusellandes sind infolge der tiefeingreifenden Buchten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/91
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/91>, abgerufen am 12.01.2025.