Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häripter

einer Prinzessin von Hessen-Kassel vermählte Fürst zur Zeit des Kongresses in
der Mitte der vierziger Jahre. Von kleiner, schmächtiger Figur, die einen
Albinokopf mit blassem Gesicht, hellblonden, fast weißem Haar, sehr langer
Adlernase und stark hervortretendem, spitzem Kinn trug, war er nichts weniger
als ein Bild männlicher Schönheit; ja man kann, ohne ihm zu nahezutreten,
behaupten, daß sein gesamtes Exterieur eine Empfindung des Komischen, wenn
nicht gar des Abstoßenden wachrief. Aber der den Anforderungen der Ästhetik
so wenig Rechnung tragende Körper umschloß einen ausnehmend liebens¬
würdigen, lebhaften, zum Frohsinn neigenden Geist; da Friedrich nie einen
Spaß verdarb und ab und zu einen guieu Trun! liebte, feierten ihn die
Diplomaten als den "I^u8die cle Is KnAacle Louverame", und auch die
Fürsten selbst erfreute seine drollige Art sich zu geben und zu sprechen. Er
ist "der beste König der Welt, edel, freigebig, wohltätig, geistreich und stets
mit dem Wohlergehen seines Volkes beschäftigt", charakterisiert ihn die Gräfin
Lulu Thürheim in ihren "Erinnerungen". Bei so vielen schätzenswerten
Wesenseigenschaften gefiel er denn auch den Wienern, zumal er ohne jede
Prätension auftrat, ganz ausnehmend; er war wohl der beliebteste unter den
fremden Monarchen, was sich so recht bei einer "Pirutschade" -- Lustfahrt --
zeigte, wo das Volk gerade ihm ganz besonders lebhaft zujauchzte. Gugitz
belehrt uns in seinem Kommentare zu des Grafen de la Garde Buche über
den Wiener Kongreß, daß man ihn im Volke den "König vom Tandelmarkt"
nannte mit Beziehung auf eine lustige Travestie "Hamlet. Prinz vom Tandel-
markt". Unter "Tandelmarkt" verstand man in Wien den Trödelmarkt, und
"Dänemark" und "Tandelmarkt" klangen dem Wiener Ohre ähnlich.

Friedrich war nicht ohne schwere Sorgen zum Kongreß gekommen. Erst
ganz vor kurzem hatte Dünemark Norwegen an Schweden verloren, wofür das
kleine Lauenburg keinen Ersatz bieten konnte, und da es mit Napoleon ver¬
bündet gewesen war, bangte der König um seine weitere Existenz als Herrscher,
er fühlte sich, wie er wohl zu äußern pflegte, "comme I'oiseau sur w
KranLke" und war schließlich zufrieden, daß sein bescheidenes Land ihm über¬
haupt erhalten blieb. Eine gewisse Bitterkeit konnte der vom Schicksal so
wenig begünstigte Fürst freilich nicht ganz unterdrücken. Als der Zar gegen
Ende des Kongresses von ihm Abschied nahm und liebenswürdigerweise die
Worte fallen ließ: "Sire, Sie nehmen alle Herzen mit," antwortete er, an¬
spielend auf das in Wien üppig blühende System des politischen Menschen¬
schachers: "Die Herzen vielleicht, aber keine Seele!"

König Friedrich liebte es, wohl um sich von seinen Sorgen abzulenken,
nach Eintritt der Dunkelheit inkognito und schlecht gekleidet, nur von einem
Kavalier begleitet, in den Straßen Wiens spazieren zu gehen und sich unter
die Menge zu mischen, in der er bald ein Kind des Volkes fand, das zu ihm
gern in nähere Beziehung trat; wo in den Konferenzen des Kongresses die
Legitimität so stark betont wurde, mag er geglaubt haben, wenigstens der


Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häripter

einer Prinzessin von Hessen-Kassel vermählte Fürst zur Zeit des Kongresses in
der Mitte der vierziger Jahre. Von kleiner, schmächtiger Figur, die einen
Albinokopf mit blassem Gesicht, hellblonden, fast weißem Haar, sehr langer
Adlernase und stark hervortretendem, spitzem Kinn trug, war er nichts weniger
als ein Bild männlicher Schönheit; ja man kann, ohne ihm zu nahezutreten,
behaupten, daß sein gesamtes Exterieur eine Empfindung des Komischen, wenn
nicht gar des Abstoßenden wachrief. Aber der den Anforderungen der Ästhetik
so wenig Rechnung tragende Körper umschloß einen ausnehmend liebens¬
würdigen, lebhaften, zum Frohsinn neigenden Geist; da Friedrich nie einen
Spaß verdarb und ab und zu einen guieu Trun! liebte, feierten ihn die
Diplomaten als den „I^u8die cle Is KnAacle Louverame", und auch die
Fürsten selbst erfreute seine drollige Art sich zu geben und zu sprechen. Er
ist „der beste König der Welt, edel, freigebig, wohltätig, geistreich und stets
mit dem Wohlergehen seines Volkes beschäftigt", charakterisiert ihn die Gräfin
Lulu Thürheim in ihren „Erinnerungen". Bei so vielen schätzenswerten
Wesenseigenschaften gefiel er denn auch den Wienern, zumal er ohne jede
Prätension auftrat, ganz ausnehmend; er war wohl der beliebteste unter den
fremden Monarchen, was sich so recht bei einer „Pirutschade" — Lustfahrt —
zeigte, wo das Volk gerade ihm ganz besonders lebhaft zujauchzte. Gugitz
belehrt uns in seinem Kommentare zu des Grafen de la Garde Buche über
den Wiener Kongreß, daß man ihn im Volke den „König vom Tandelmarkt"
nannte mit Beziehung auf eine lustige Travestie „Hamlet. Prinz vom Tandel-
markt". Unter „Tandelmarkt" verstand man in Wien den Trödelmarkt, und
„Dänemark" und „Tandelmarkt" klangen dem Wiener Ohre ähnlich.

Friedrich war nicht ohne schwere Sorgen zum Kongreß gekommen. Erst
ganz vor kurzem hatte Dünemark Norwegen an Schweden verloren, wofür das
kleine Lauenburg keinen Ersatz bieten konnte, und da es mit Napoleon ver¬
bündet gewesen war, bangte der König um seine weitere Existenz als Herrscher,
er fühlte sich, wie er wohl zu äußern pflegte, „comme I'oiseau sur w
KranLke" und war schließlich zufrieden, daß sein bescheidenes Land ihm über¬
haupt erhalten blieb. Eine gewisse Bitterkeit konnte der vom Schicksal so
wenig begünstigte Fürst freilich nicht ganz unterdrücken. Als der Zar gegen
Ende des Kongresses von ihm Abschied nahm und liebenswürdigerweise die
Worte fallen ließ: „Sire, Sie nehmen alle Herzen mit," antwortete er, an¬
spielend auf das in Wien üppig blühende System des politischen Menschen¬
schachers: „Die Herzen vielleicht, aber keine Seele!"

König Friedrich liebte es, wohl um sich von seinen Sorgen abzulenken,
nach Eintritt der Dunkelheit inkognito und schlecht gekleidet, nur von einem
Kavalier begleitet, in den Straßen Wiens spazieren zu gehen und sich unter
die Menge zu mischen, in der er bald ein Kind des Volkes fand, das zu ihm
gern in nähere Beziehung trat; wo in den Konferenzen des Kongresses die
Legitimität so stark betont wurde, mag er geglaubt haben, wenigstens der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332009"/>
          <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häripter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_435" prev="#ID_434"> einer Prinzessin von Hessen-Kassel vermählte Fürst zur Zeit des Kongresses in<lb/>
der Mitte der vierziger Jahre. Von kleiner, schmächtiger Figur, die einen<lb/>
Albinokopf mit blassem Gesicht, hellblonden, fast weißem Haar, sehr langer<lb/>
Adlernase und stark hervortretendem, spitzem Kinn trug, war er nichts weniger<lb/>
als ein Bild männlicher Schönheit; ja man kann, ohne ihm zu nahezutreten,<lb/>
behaupten, daß sein gesamtes Exterieur eine Empfindung des Komischen, wenn<lb/>
nicht gar des Abstoßenden wachrief. Aber der den Anforderungen der Ästhetik<lb/>
so wenig Rechnung tragende Körper umschloß einen ausnehmend liebens¬<lb/>
würdigen, lebhaften, zum Frohsinn neigenden Geist; da Friedrich nie einen<lb/>
Spaß verdarb und ab und zu einen guieu Trun! liebte, feierten ihn die<lb/>
Diplomaten als den &#x201E;I^u8die cle Is KnAacle Louverame", und auch die<lb/>
Fürsten selbst erfreute seine drollige Art sich zu geben und zu sprechen. Er<lb/>
ist &#x201E;der beste König der Welt, edel, freigebig, wohltätig, geistreich und stets<lb/>
mit dem Wohlergehen seines Volkes beschäftigt", charakterisiert ihn die Gräfin<lb/>
Lulu Thürheim in ihren &#x201E;Erinnerungen". Bei so vielen schätzenswerten<lb/>
Wesenseigenschaften gefiel er denn auch den Wienern, zumal er ohne jede<lb/>
Prätension auftrat, ganz ausnehmend; er war wohl der beliebteste unter den<lb/>
fremden Monarchen, was sich so recht bei einer &#x201E;Pirutschade" &#x2014; Lustfahrt &#x2014;<lb/>
zeigte, wo das Volk gerade ihm ganz besonders lebhaft zujauchzte. Gugitz<lb/>
belehrt uns in seinem Kommentare zu des Grafen de la Garde Buche über<lb/>
den Wiener Kongreß, daß man ihn im Volke den &#x201E;König vom Tandelmarkt"<lb/>
nannte mit Beziehung auf eine lustige Travestie &#x201E;Hamlet. Prinz vom Tandel-<lb/>
markt". Unter &#x201E;Tandelmarkt" verstand man in Wien den Trödelmarkt, und<lb/>
&#x201E;Dänemark" und &#x201E;Tandelmarkt" klangen dem Wiener Ohre ähnlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_436"> Friedrich war nicht ohne schwere Sorgen zum Kongreß gekommen. Erst<lb/>
ganz vor kurzem hatte Dünemark Norwegen an Schweden verloren, wofür das<lb/>
kleine Lauenburg keinen Ersatz bieten konnte, und da es mit Napoleon ver¬<lb/>
bündet gewesen war, bangte der König um seine weitere Existenz als Herrscher,<lb/>
er fühlte sich, wie er wohl zu äußern pflegte, &#x201E;comme I'oiseau sur w<lb/>
KranLke" und war schließlich zufrieden, daß sein bescheidenes Land ihm über¬<lb/>
haupt erhalten blieb. Eine gewisse Bitterkeit konnte der vom Schicksal so<lb/>
wenig begünstigte Fürst freilich nicht ganz unterdrücken. Als der Zar gegen<lb/>
Ende des Kongresses von ihm Abschied nahm und liebenswürdigerweise die<lb/>
Worte fallen ließ: &#x201E;Sire, Sie nehmen alle Herzen mit," antwortete er, an¬<lb/>
spielend auf das in Wien üppig blühende System des politischen Menschen¬<lb/>
schachers: &#x201E;Die Herzen vielleicht, aber keine Seele!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_437" next="#ID_438"> König Friedrich liebte es, wohl um sich von seinen Sorgen abzulenken,<lb/>
nach Eintritt der Dunkelheit inkognito und schlecht gekleidet, nur von einem<lb/>
Kavalier begleitet, in den Straßen Wiens spazieren zu gehen und sich unter<lb/>
die Menge zu mischen, in der er bald ein Kind des Volkes fand, das zu ihm<lb/>
gern in nähere Beziehung trat; wo in den Konferenzen des Kongresses die<lb/>
Legitimität so stark betont wurde, mag er geglaubt haben, wenigstens der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häripter einer Prinzessin von Hessen-Kassel vermählte Fürst zur Zeit des Kongresses in der Mitte der vierziger Jahre. Von kleiner, schmächtiger Figur, die einen Albinokopf mit blassem Gesicht, hellblonden, fast weißem Haar, sehr langer Adlernase und stark hervortretendem, spitzem Kinn trug, war er nichts weniger als ein Bild männlicher Schönheit; ja man kann, ohne ihm zu nahezutreten, behaupten, daß sein gesamtes Exterieur eine Empfindung des Komischen, wenn nicht gar des Abstoßenden wachrief. Aber der den Anforderungen der Ästhetik so wenig Rechnung tragende Körper umschloß einen ausnehmend liebens¬ würdigen, lebhaften, zum Frohsinn neigenden Geist; da Friedrich nie einen Spaß verdarb und ab und zu einen guieu Trun! liebte, feierten ihn die Diplomaten als den „I^u8die cle Is KnAacle Louverame", und auch die Fürsten selbst erfreute seine drollige Art sich zu geben und zu sprechen. Er ist „der beste König der Welt, edel, freigebig, wohltätig, geistreich und stets mit dem Wohlergehen seines Volkes beschäftigt", charakterisiert ihn die Gräfin Lulu Thürheim in ihren „Erinnerungen". Bei so vielen schätzenswerten Wesenseigenschaften gefiel er denn auch den Wienern, zumal er ohne jede Prätension auftrat, ganz ausnehmend; er war wohl der beliebteste unter den fremden Monarchen, was sich so recht bei einer „Pirutschade" — Lustfahrt — zeigte, wo das Volk gerade ihm ganz besonders lebhaft zujauchzte. Gugitz belehrt uns in seinem Kommentare zu des Grafen de la Garde Buche über den Wiener Kongreß, daß man ihn im Volke den „König vom Tandelmarkt" nannte mit Beziehung auf eine lustige Travestie „Hamlet. Prinz vom Tandel- markt". Unter „Tandelmarkt" verstand man in Wien den Trödelmarkt, und „Dänemark" und „Tandelmarkt" klangen dem Wiener Ohre ähnlich. Friedrich war nicht ohne schwere Sorgen zum Kongreß gekommen. Erst ganz vor kurzem hatte Dünemark Norwegen an Schweden verloren, wofür das kleine Lauenburg keinen Ersatz bieten konnte, und da es mit Napoleon ver¬ bündet gewesen war, bangte der König um seine weitere Existenz als Herrscher, er fühlte sich, wie er wohl zu äußern pflegte, „comme I'oiseau sur w KranLke" und war schließlich zufrieden, daß sein bescheidenes Land ihm über¬ haupt erhalten blieb. Eine gewisse Bitterkeit konnte der vom Schicksal so wenig begünstigte Fürst freilich nicht ganz unterdrücken. Als der Zar gegen Ende des Kongresses von ihm Abschied nahm und liebenswürdigerweise die Worte fallen ließ: „Sire, Sie nehmen alle Herzen mit," antwortete er, an¬ spielend auf das in Wien üppig blühende System des politischen Menschen¬ schachers: „Die Herzen vielleicht, aber keine Seele!" König Friedrich liebte es, wohl um sich von seinen Sorgen abzulenken, nach Eintritt der Dunkelheit inkognito und schlecht gekleidet, nur von einem Kavalier begleitet, in den Straßen Wiens spazieren zu gehen und sich unter die Menge zu mischen, in der er bald ein Kind des Volkes fand, das zu ihm gern in nähere Beziehung trat; wo in den Konferenzen des Kongresses die Legitimität so stark betont wurde, mag er geglaubt haben, wenigstens der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/167>, abgerufen am 16.01.2025.