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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter
während des Wiener Aongresses
Professor Dr. Willi Müller von

iej?nige Periode der europäischen Geschichte, die an den Ufern
der Seine durch Jakobinertum und Sansculotten eingeleitet
worden war. endete nach den blutigen Wirren, in die der Held
und Erbe der Revolution den Erdteil gestürzt hatte, wenn wir
von dem kurzen Epilog der "hundert Tage" absehen, in der
Hauptstadt der alten Donaumonarchie mit einer glänzenden Siegesfeier der
Legitimität. Kaiser und Könige mit allem Darum und Daran, die Schau¬
spieler des großen Dramas, das ein Vierteljahrhundert die Menschheit in Atem
gehalten, trafen Herbst 1814 in Wien zusammen, um die gestörte politische
Ordnung Europas wieder aufzurichten; Anmut, Geist, Witz und raffinierter
Lebensgenuß, alle diese charakteristischen Erscheinungen der vorrevolutionären
Periode, fanden sich aufs neue vereint: man hatte nichts gelernt und nichts
vergessen und knüpfte völlig an die früheren Zustände an. So gehört der
Winter 1814 auf 1815 unstreitig zu den interessantesten und denkwürdigsten
Epochen der alten Kaiserstadt. Von dem politischen Hintergrunde hob sich in
mannigfachem Wechsel das gesellschaftliche Leben mit seinen vielerlei Zer¬
streuungen wohltuend ab; die Langeweile, sonst so gern mit der Etikette und
dem Prunke die dritte im Bunde, hatte nach Wien keinen Patz bekommen;
anstatt ihrer war der Frohsinn eingezogen. In einem ununterbrochenen
Rausche, der die Teilnehmer nicht zur Ruhe kommen ließ, wechselten Festlich¬
keiten aller Art; gerade Wien, die Stadt der Walzer und des Tokayers,
kochte wohl geeignet erscheinen, den vom napoleonischen Drucke befreiten
Szepterträgern als Dorado zu dienen, und in der Tat gewinnt es trotz der
enormen Schwierigkeiten, mit denen die Diplomaten zu kämpfen hatten, manch¬
mal den Anschein, als sei die Politik Nebenzweck und süßes Schäferspiel die
Hauptsache gewesen. Bei dem ewigen Feiern erschienen die Frauen tatsächlich
als die Hauptpersonen und waren oft genug die treibenden Räder der ge¬
waltigen Maschinerie; ja man darf behaupten, die Salons glichen einem
Labyrinth der Liebe, für das der Ariadnefaden allerdings manchmal nicht ganz
leicht zu finden ist. Und dieses Liebesleben hinter den Kulissen der politischen
Schaubühne, so sekundär es auch der gewaltigen diplomatischen Tätigkeit gegen-


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Bilder aus dem Liebesleben gekrönter Häupter
während des Wiener Aongresses
Professor Dr. Willi Müller von

iej?nige Periode der europäischen Geschichte, die an den Ufern
der Seine durch Jakobinertum und Sansculotten eingeleitet
worden war. endete nach den blutigen Wirren, in die der Held
und Erbe der Revolution den Erdteil gestürzt hatte, wenn wir
von dem kurzen Epilog der „hundert Tage" absehen, in der
Hauptstadt der alten Donaumonarchie mit einer glänzenden Siegesfeier der
Legitimität. Kaiser und Könige mit allem Darum und Daran, die Schau¬
spieler des großen Dramas, das ein Vierteljahrhundert die Menschheit in Atem
gehalten, trafen Herbst 1814 in Wien zusammen, um die gestörte politische
Ordnung Europas wieder aufzurichten; Anmut, Geist, Witz und raffinierter
Lebensgenuß, alle diese charakteristischen Erscheinungen der vorrevolutionären
Periode, fanden sich aufs neue vereint: man hatte nichts gelernt und nichts
vergessen und knüpfte völlig an die früheren Zustände an. So gehört der
Winter 1814 auf 1815 unstreitig zu den interessantesten und denkwürdigsten
Epochen der alten Kaiserstadt. Von dem politischen Hintergrunde hob sich in
mannigfachem Wechsel das gesellschaftliche Leben mit seinen vielerlei Zer¬
streuungen wohltuend ab; die Langeweile, sonst so gern mit der Etikette und
dem Prunke die dritte im Bunde, hatte nach Wien keinen Patz bekommen;
anstatt ihrer war der Frohsinn eingezogen. In einem ununterbrochenen
Rausche, der die Teilnehmer nicht zur Ruhe kommen ließ, wechselten Festlich¬
keiten aller Art; gerade Wien, die Stadt der Walzer und des Tokayers,
kochte wohl geeignet erscheinen, den vom napoleonischen Drucke befreiten
Szepterträgern als Dorado zu dienen, und in der Tat gewinnt es trotz der
enormen Schwierigkeiten, mit denen die Diplomaten zu kämpfen hatten, manch¬
mal den Anschein, als sei die Politik Nebenzweck und süßes Schäferspiel die
Hauptsache gewesen. Bei dem ewigen Feiern erschienen die Frauen tatsächlich
als die Hauptpersonen und waren oft genug die treibenden Räder der ge¬
waltigen Maschinerie; ja man darf behaupten, die Salons glichen einem
Labyrinth der Liebe, für das der Ariadnefaden allerdings manchmal nicht ganz
leicht zu finden ist. Und dieses Liebesleben hinter den Kulissen der politischen
Schaubühne, so sekundär es auch der gewaltigen diplomatischen Tätigkeit gegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/160>, abgerufen am 15.01.2025.