Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Deutschkunde oder Germanistik? einmal gelesen worden, aber ohne Fülle kann man in die Dichtung nicht ein" Manches Element zum Aufbau des deutschen Bewußtseins bringt ja noch Im günstigsten Falle aber entsteht im Schüler ein Nebeneinander von *) Daß dieses Bedürfnis jetzt weithin empfunden wird, dafür zeugt ein Buch, das mir
nach der Niederschrift des obigen Aufsatzes zuging: Deutschkunde, ein Buch von deutscher Art und Kunst. Mit Karten und Abbildungen. Herausgegeben von Walther Hofstaetter. Leipzig und Berlin, Teubner 1917. Land. Pflanzen und Tiere, der deutsche Mensch, seine Sprache und Schrift, Sage, Religion und Sitte, Siedelung, wirtschaftliches und soziales Leben, Recht und Staat, Handel und Kolonisation. Baukunst und bildende Kunst. Theater und Musik ziehen an uns vorbei, zum Teil durch gute Abbildungen erläutert, am Schluß folgt ein Überblick über die geistige Entwicklung in ihren Hauptzügen. Das Werk ist nicht als Schulbuch gedacht, es will dem Gebildeten das von der Schule unbefriedigt gelassene Bedürfnis nach Zusammenhang und Ergänzung erfüllen. Die Beiträge der verschiedenen Verfasser sind von ungleichem Wert (am schwächsten der letzte Aufsatz; so skizzenmäßig läßt sich ein Gegenstand von solcher Fülle nicht abtun), und man wird manches ausführlicher Deutschkunde oder Germanistik? einmal gelesen worden, aber ohne Fülle kann man in die Dichtung nicht ein« Manches Element zum Aufbau des deutschen Bewußtseins bringt ja noch Im günstigsten Falle aber entsteht im Schüler ein Nebeneinander von *) Daß dieses Bedürfnis jetzt weithin empfunden wird, dafür zeugt ein Buch, das mir
nach der Niederschrift des obigen Aufsatzes zuging: Deutschkunde, ein Buch von deutscher Art und Kunst. Mit Karten und Abbildungen. Herausgegeben von Walther Hofstaetter. Leipzig und Berlin, Teubner 1917. Land. Pflanzen und Tiere, der deutsche Mensch, seine Sprache und Schrift, Sage, Religion und Sitte, Siedelung, wirtschaftliches und soziales Leben, Recht und Staat, Handel und Kolonisation. Baukunst und bildende Kunst. Theater und Musik ziehen an uns vorbei, zum Teil durch gute Abbildungen erläutert, am Schluß folgt ein Überblick über die geistige Entwicklung in ihren Hauptzügen. Das Werk ist nicht als Schulbuch gedacht, es will dem Gebildeten das von der Schule unbefriedigt gelassene Bedürfnis nach Zusammenhang und Ergänzung erfüllen. Die Beiträge der verschiedenen Verfasser sind von ungleichem Wert (am schwächsten der letzte Aufsatz; so skizzenmäßig läßt sich ein Gegenstand von solcher Fülle nicht abtun), und man wird manches ausführlicher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331995"/> <fw type="header" place="top"> Deutschkunde oder Germanistik?</fw><lb/> <p xml:id="ID_389" prev="#ID_388"> einmal gelesen worden, aber ohne Fülle kann man in die Dichtung nicht ein«<lb/> führen. Zudem ist die Dichtung — was auch die vielbesprochene Denkschrift des<lb/> Germanistenverbandes nicht genug betont — nur eine, nicht die einzige schriftlich<lb/> niedergelegte Auswirkung deutschen Geisteslebens. So hätte« wir sogar auf<lb/> dem Gebiet, das die Schule pflegt, nur Stückwerk eines Stückwerks.</p><lb/> <p xml:id="ID_390"> Manches Element zum Aufbau des deutschen Bewußtseins bringt ja noch<lb/> der Unterricht in Geschichte und Erdkunde. Und doch — wird es nicht dem<lb/> Geschichtslehrer oft viel mehr auf andere Dinge ankommen als auf die Dar¬<lb/> stellung deutschen Volkstums, besonders seit die Ereignisse des Tages die<lb/> politische Geschichte der Neuzeit und die Bürgerkunde immer mehr in den<lb/> Vordergrund der Betrachtung rücken? Aber es muß einmal gesagt werden, daß<lb/> deutsches Wesen in seiner Reinheit nicht so sehr an den Geschicken der letzten<lb/> Jahrhunderte, durchtränkt von Humanismus, Renaissance, französischen und<lb/> englischen Bildungseinflüssen, sondern vielmehr an den älteren Zeiten erkannt<lb/> werden kann, an den Zeiten, da es noch einen deutschen Lebensstil gab. Und<lb/> der Geograph? Sein Gebiet ist so umfassend, so weltweit, daß er sich nicht<lb/> mit der liebenden Kleinarbeit in das deutsche Land und Volk versenken kann,<lb/> wie es recht wäre. Ist er seinem Studiengebiet nach gar vorwiegend physischer<lb/> Geograph, so stellen ihm die geologische Grundlage. Klima und Morphologie<lb/> der Erdoberfläche von seinem Standpunkt viel lockendere Aufgaben auch in<lb/> unserem Vaterlande.</p><lb/> <p xml:id="ID_391" next="#ID_392"> Im günstigsten Falle aber entsteht im Schüler ein Nebeneinander von<lb/> aufgehäuften Kenntnissen über deutsches Volk, deutsches Land, deutsche Geschichte,<lb/> deutsche Literatur, wo doch ein Wissenschaftskomplcx vorliegt, der eine einheit¬<lb/> liche, über das Ganze sich ausbreitende Behandlung verlangt. Wenn ohnehin<lb/> das Vielerlei in der Schule, getragen von vielen Lehrern, zersplittert in viele<lb/> Lehrgänge, vom Übel ist, so sollten wir es wenigstens auf dem Boden des<lb/> Haupt- und Nationalfaches nicht dulden. Mit einem Worte: wir sollten ein<lb/> Fach der Deutschkunde ausbilden, in dem derselbe Lehrer dem Schüler alles<lb/> das lebendig macht, was deutsches Volk und deutsches Land in Vergangenheit<lb/> und Gegenwart angeht*). Nur so ist ein wirklich lebenweckender Unterricht</p><lb/> <note xml:id="FID_39" place="foot" next="#FID_40"> *) Daß dieses Bedürfnis jetzt weithin empfunden wird, dafür zeugt ein Buch, das mir<lb/> nach der Niederschrift des obigen Aufsatzes zuging: Deutschkunde, ein Buch von deutscher<lb/> Art und Kunst. Mit Karten und Abbildungen. Herausgegeben von Walther Hofstaetter.<lb/> Leipzig und Berlin, Teubner 1917. Land. Pflanzen und Tiere, der deutsche Mensch, seine<lb/> Sprache und Schrift, Sage, Religion und Sitte, Siedelung, wirtschaftliches und soziales<lb/> Leben, Recht und Staat, Handel und Kolonisation. Baukunst und bildende Kunst. Theater<lb/> und Musik ziehen an uns vorbei, zum Teil durch gute Abbildungen erläutert, am Schluß<lb/> folgt ein Überblick über die geistige Entwicklung in ihren Hauptzügen. Das Werk ist nicht<lb/> als Schulbuch gedacht, es will dem Gebildeten das von der Schule unbefriedigt gelassene<lb/> Bedürfnis nach Zusammenhang und Ergänzung erfüllen. Die Beiträge der verschiedenen<lb/> Verfasser sind von ungleichem Wert (am schwächsten der letzte Aufsatz; so skizzenmäßig läßt<lb/> sich ein Gegenstand von solcher Fülle nicht abtun), und man wird manches ausführlicher</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0153]
Deutschkunde oder Germanistik?
einmal gelesen worden, aber ohne Fülle kann man in die Dichtung nicht ein«
führen. Zudem ist die Dichtung — was auch die vielbesprochene Denkschrift des
Germanistenverbandes nicht genug betont — nur eine, nicht die einzige schriftlich
niedergelegte Auswirkung deutschen Geisteslebens. So hätte« wir sogar auf
dem Gebiet, das die Schule pflegt, nur Stückwerk eines Stückwerks.
Manches Element zum Aufbau des deutschen Bewußtseins bringt ja noch
der Unterricht in Geschichte und Erdkunde. Und doch — wird es nicht dem
Geschichtslehrer oft viel mehr auf andere Dinge ankommen als auf die Dar¬
stellung deutschen Volkstums, besonders seit die Ereignisse des Tages die
politische Geschichte der Neuzeit und die Bürgerkunde immer mehr in den
Vordergrund der Betrachtung rücken? Aber es muß einmal gesagt werden, daß
deutsches Wesen in seiner Reinheit nicht so sehr an den Geschicken der letzten
Jahrhunderte, durchtränkt von Humanismus, Renaissance, französischen und
englischen Bildungseinflüssen, sondern vielmehr an den älteren Zeiten erkannt
werden kann, an den Zeiten, da es noch einen deutschen Lebensstil gab. Und
der Geograph? Sein Gebiet ist so umfassend, so weltweit, daß er sich nicht
mit der liebenden Kleinarbeit in das deutsche Land und Volk versenken kann,
wie es recht wäre. Ist er seinem Studiengebiet nach gar vorwiegend physischer
Geograph, so stellen ihm die geologische Grundlage. Klima und Morphologie
der Erdoberfläche von seinem Standpunkt viel lockendere Aufgaben auch in
unserem Vaterlande.
Im günstigsten Falle aber entsteht im Schüler ein Nebeneinander von
aufgehäuften Kenntnissen über deutsches Volk, deutsches Land, deutsche Geschichte,
deutsche Literatur, wo doch ein Wissenschaftskomplcx vorliegt, der eine einheit¬
liche, über das Ganze sich ausbreitende Behandlung verlangt. Wenn ohnehin
das Vielerlei in der Schule, getragen von vielen Lehrern, zersplittert in viele
Lehrgänge, vom Übel ist, so sollten wir es wenigstens auf dem Boden des
Haupt- und Nationalfaches nicht dulden. Mit einem Worte: wir sollten ein
Fach der Deutschkunde ausbilden, in dem derselbe Lehrer dem Schüler alles
das lebendig macht, was deutsches Volk und deutsches Land in Vergangenheit
und Gegenwart angeht*). Nur so ist ein wirklich lebenweckender Unterricht
*) Daß dieses Bedürfnis jetzt weithin empfunden wird, dafür zeugt ein Buch, das mir
nach der Niederschrift des obigen Aufsatzes zuging: Deutschkunde, ein Buch von deutscher
Art und Kunst. Mit Karten und Abbildungen. Herausgegeben von Walther Hofstaetter.
Leipzig und Berlin, Teubner 1917. Land. Pflanzen und Tiere, der deutsche Mensch, seine
Sprache und Schrift, Sage, Religion und Sitte, Siedelung, wirtschaftliches und soziales
Leben, Recht und Staat, Handel und Kolonisation. Baukunst und bildende Kunst. Theater
und Musik ziehen an uns vorbei, zum Teil durch gute Abbildungen erläutert, am Schluß
folgt ein Überblick über die geistige Entwicklung in ihren Hauptzügen. Das Werk ist nicht
als Schulbuch gedacht, es will dem Gebildeten das von der Schule unbefriedigt gelassene
Bedürfnis nach Zusammenhang und Ergänzung erfüllen. Die Beiträge der verschiedenen
Verfasser sind von ungleichem Wert (am schwächsten der letzte Aufsatz; so skizzenmäßig läßt
sich ein Gegenstand von solcher Fülle nicht abtun), und man wird manches ausführlicher
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