Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Deutschkunde oder Germanistik? Gymnasium, der dritte möchte die Beschäftigung mit fremden Völkern aus der Will man diese und die zahlreichen minder extremen Bestrebungen, die Unser Deutschunterricht leidet an einer Dreispaltigkeit, die wohl jedem Daneben steht die wifjenschaftliche Seite dieses Lehrfaches. Sie ist zwei¬ An dritter Stelle kommt die gefühlsmäßige Wirkung des Deutschunterrichts. Das Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis von deutschen Dingen kann nun nicht Deutschkunde oder Germanistik? Gymnasium, der dritte möchte die Beschäftigung mit fremden Völkern aus der Will man diese und die zahlreichen minder extremen Bestrebungen, die Unser Deutschunterricht leidet an einer Dreispaltigkeit, die wohl jedem Daneben steht die wifjenschaftliche Seite dieses Lehrfaches. Sie ist zwei¬ An dritter Stelle kommt die gefühlsmäßige Wirkung des Deutschunterrichts. Das Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis von deutschen Dingen kann nun nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331993"/> <fw type="header" place="top"> Deutschkunde oder Germanistik?</fw><lb/> <p xml:id="ID_378" prev="#ID_377"> Gymnasium, der dritte möchte die Beschäftigung mit fremden Völkern aus der<lb/> Schule ganz beseitigen, uns geistig zum geschlossenen Handelsstaat machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_379"> Will man diese und die zahlreichen minder extremen Bestrebungen, die<lb/> unter dem Banner der deutschen Schule fechten, in ihrem Werte erkennen, so<lb/> wird man die Frage aufwerfen müssen, welche Rolle bisher das Deutschtum<lb/> in der Schule — speziell in der höheren Schule — spielte und welche Be¬<lb/> deutung es gewinnen sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_380"> Unser Deutschunterricht leidet an einer Dreispaltigkeit, die wohl jedem<lb/> Deutschlehrer schon zum Bewußtsein gekommen ist: er umfaßt eine Technik,<lb/> eine Wissenschaft und eine Art Seelsorge. Er soll den Schüler im Gebrauche<lb/> seiner Sprache Schulen, er soll Lehrstoffe vermitteln, er soll Gesinnungen an-<lb/> regen. Die erste Forderung ist eine technische; durch sprech-, Lese-, Schreib-<lb/> übuug, grammatische, stilistische Belehrung, Dispofitionsübung soll Richtigkeit<lb/> und Gewandtheit des Ausdrucks, logischer Aufbau des Vortrags, womöglich<lb/> persönlicher Stil erzielt werden. Die deutsche Sprache ist hier das Werkzeug,<lb/> dessen Handhabung gelernt wird. Dieser Teil des Deutschunterrichts ist ein<lb/> formaler. Denn es ist durchaus einerlei, welcherlei Gedankeninhalte der sprachlich-<lb/> logisch-stilistischen Übung zugrunde gelegt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_381"> Daneben steht die wifjenschaftliche Seite dieses Lehrfaches. Sie ist zwei¬<lb/> facher Art, ein Wissen von der Sprache und ihrer Geschichte vermittelnd (wobei<lb/> sie sich mit der grammatisch-stilistischen Belehrung berühren kann, jedoch ein<lb/> anderes Ziel hat) und ein Wissen vom Schrifttum und seiner Geschichte dar¬<lb/> legend. Das Ziel sind reale Kenntnisse, die noch von ästhetischen Betrachtungen<lb/> begleitet sein und zu philosophischen Ausblicken führen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_382"> An dritter Stelle kommt die gefühlsmäßige Wirkung des Deutschunterrichts.<lb/> Der preußische Lehrplan spricht hier von Belebung des vaterländischen Sinnes.<lb/> Diese Wirkung auf die Gesinnung des Schülers wird sich je nach der Art des<lb/> Unterrichts einstellen oder auch nicht einstellen können; wenn irgendwo, so ist<lb/> hier nicht Methode, sondern Takt ausschlaggebend. Es ist aber klar, daß dieser<lb/> wichtige Erfolg nur aus der wissenschaftlichen Seite des Unterrichts erwachsen<lb/> kann, nicht aus der technischen. Hierdurch sind die wissenschaftliche und die<lb/> gestnnungsmäßige Seite des Unterrichts eng verbunden. Die technische hat<lb/> mit alledem nichts zu tun, so nötig sie auch ist. Wir können sie hier aus<lb/> dem Spiel lassen, wenn wir betonen, daß wir in der Liebe zu deutschem<lb/> Wesen, erwachsend aus seiner Kenntnis, die wertvollste Frucht des Deutsch¬<lb/> unterrichts überhaupt sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_383" next="#ID_384"> Das Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis von deutschen Dingen kann nun nicht<lb/> sein das Wissen um einzelne Teile deutschen Lebenskreises, etwa um die<lb/> Literatur oder um die politische Geschichte oder um das von Deutschen bewohnte<lb/> Stück Erdoberfläche. Denn aus keinem dieser Teile wird die tiefe Liebe ge¬<lb/> boren, die alles, was deutsch ist, im Herzen trägt, das innige Verhältnis, das<lb/> den Deutschen erst bewußt deutsch macht. Dieses Gefühl, das man nur ober-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
Deutschkunde oder Germanistik?
Gymnasium, der dritte möchte die Beschäftigung mit fremden Völkern aus der
Schule ganz beseitigen, uns geistig zum geschlossenen Handelsstaat machen.
Will man diese und die zahlreichen minder extremen Bestrebungen, die
unter dem Banner der deutschen Schule fechten, in ihrem Werte erkennen, so
wird man die Frage aufwerfen müssen, welche Rolle bisher das Deutschtum
in der Schule — speziell in der höheren Schule — spielte und welche Be¬
deutung es gewinnen sollte.
Unser Deutschunterricht leidet an einer Dreispaltigkeit, die wohl jedem
Deutschlehrer schon zum Bewußtsein gekommen ist: er umfaßt eine Technik,
eine Wissenschaft und eine Art Seelsorge. Er soll den Schüler im Gebrauche
seiner Sprache Schulen, er soll Lehrstoffe vermitteln, er soll Gesinnungen an-
regen. Die erste Forderung ist eine technische; durch sprech-, Lese-, Schreib-
übuug, grammatische, stilistische Belehrung, Dispofitionsübung soll Richtigkeit
und Gewandtheit des Ausdrucks, logischer Aufbau des Vortrags, womöglich
persönlicher Stil erzielt werden. Die deutsche Sprache ist hier das Werkzeug,
dessen Handhabung gelernt wird. Dieser Teil des Deutschunterrichts ist ein
formaler. Denn es ist durchaus einerlei, welcherlei Gedankeninhalte der sprachlich-
logisch-stilistischen Übung zugrunde gelegt werden.
Daneben steht die wifjenschaftliche Seite dieses Lehrfaches. Sie ist zwei¬
facher Art, ein Wissen von der Sprache und ihrer Geschichte vermittelnd (wobei
sie sich mit der grammatisch-stilistischen Belehrung berühren kann, jedoch ein
anderes Ziel hat) und ein Wissen vom Schrifttum und seiner Geschichte dar¬
legend. Das Ziel sind reale Kenntnisse, die noch von ästhetischen Betrachtungen
begleitet sein und zu philosophischen Ausblicken führen können.
An dritter Stelle kommt die gefühlsmäßige Wirkung des Deutschunterrichts.
Der preußische Lehrplan spricht hier von Belebung des vaterländischen Sinnes.
Diese Wirkung auf die Gesinnung des Schülers wird sich je nach der Art des
Unterrichts einstellen oder auch nicht einstellen können; wenn irgendwo, so ist
hier nicht Methode, sondern Takt ausschlaggebend. Es ist aber klar, daß dieser
wichtige Erfolg nur aus der wissenschaftlichen Seite des Unterrichts erwachsen
kann, nicht aus der technischen. Hierdurch sind die wissenschaftliche und die
gestnnungsmäßige Seite des Unterrichts eng verbunden. Die technische hat
mit alledem nichts zu tun, so nötig sie auch ist. Wir können sie hier aus
dem Spiel lassen, wenn wir betonen, daß wir in der Liebe zu deutschem
Wesen, erwachsend aus seiner Kenntnis, die wertvollste Frucht des Deutsch¬
unterrichts überhaupt sehen.
Das Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis von deutschen Dingen kann nun nicht
sein das Wissen um einzelne Teile deutschen Lebenskreises, etwa um die
Literatur oder um die politische Geschichte oder um das von Deutschen bewohnte
Stück Erdoberfläche. Denn aus keinem dieser Teile wird die tiefe Liebe ge¬
boren, die alles, was deutsch ist, im Herzen trägt, das innige Verhältnis, das
den Deutschen erst bewußt deutsch macht. Dieses Gefühl, das man nur ober-
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