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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.

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Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

liegt zu Boden, da sie in die nüchterne, irdischen Dingen zugekehrte Gegenwart
nicht mehr paßt. Sie wurde zerstört durch das Aufkommen der nationalen
Staaten, an erster Stelle Frankreichs, durch die Entdeckung der neuen Welt,
durch die deutsche Reformation, durch das neuartige Geistesleben der Renaissance
und der AuMrungsperiode. Indem sie aber die Suprematie über die Staaten
einbüßte, wußte sie die Herrschaft über die Geister und Gemüter zu ordnen und
zu kräftigen; die Kirchenversammlungen zu Trient (1545 bis 1563) und im Vatikan
(1869 bis 1870) waren Etappen auf dem Wege zur Spiritualisierung des Kirchen¬
rechts, zur Machterhöhung des Papsttums als einer Gewalt, die seit dem Verlust
des Kirchenstaates, unbeschwert durch die Sorgen um weltlich-staatlichen Besitz, die
römisch-katholische Christenheit auf der gesamten Erde zu leiten sich fähig erweist").

Nicht erneut in Erscheinung getreten ist jener mittelalterliche Imperialismus,
der einem einzigen Staate zur Präponderanz verhalf. Auf der einen Seite
wurde er abgelöst durch den papstkirchlichen Imperialismus, auf der anderen
Seite wurde das Bild der Staatenwelt vielgestaltiger, derart daß es nur kurze
Zeit die Vormacht eines Ludwig XIV., die kurzlebige Wiederherstellung eines
europäischen Machtkomplexes zu Händen Napoleons I. ertrug. Das Trachten und
Sinnen der Völker, in jeweils national abgeschlossenen Staaten ihre Kräfte
zusammenzuballen, gehört heute bereits der freilich jungen Vergangenheit an; wie
lange doch war es der Stolz unseres Volkes, daß seine Einigung zu gleicher
Zeit dem italienischen den Staat zu gründen ermöglichte, der freilich die Probe
seiner Bündnistreue so schlecht bestand. Die wirklich zukunftsreichen Staaten
drängen über sich selbst hinaus, auf daß ein jeder von ihnen gleichsam der
Kern werde eines Weltreiches neuer Art. Die ganze Erde soll von einer
Aristokratie weniger Weltreiche beherrscht sein, unter denen das Übergewicht
eines einzigen als unleidlicher Druck empfunden wird, weil es künstlich das
Alte zu verewigen strebt, ohne die erforderliche Sicherheit freier Volkerent¬
faltung verbürgen zu können oder zu wollen.

Unserem Volke hatte der frühmittelalterliche Imperialismus eine Zeit der
Vorherrschaft in Europa beschieden. Als sein Reich darniederlag. als es unter
den Nachwirkungen der alten Kaiserherrlichkeit in sich selbst zerklüftet war. ver-
sperrte seine staatliche Ohnmacht ihm den Weg auf Übersee, zum vominium
maris Laltici und zum Weltmeer des Atlantischen Ozeans. Politisch ohn-
mächtig kämpfte es in der Reformation Martin Luthers für die Befreiung der
Geister, aus der die Schreckenszeit des Dreißigjährigen Krieges entkeimte. Treu
am Rest mittelalterlicher Erinnerungen festhaltend, feierte man im Heiligen
Römischen Reiche Deutscher Nation noch immer die Kaiserkrönungen, schwang
ein Herold wie früher das Reichsschwert nach allen vier Himmelsrichtungen,
gleich als ob die Welt wie einst dem Kaiser gehorche, sobald ihm in der Stadt
am Main die ehrwürdige Krone angeblich Karls des Großen aufs Haupt ge¬
drückt worden war --. in Wahrheit erschöpfte sich die Kraft der Deutschen in
engen Kreisen, wurde deutsches Land der Boden, auf dem die glücklichen


Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit

liegt zu Boden, da sie in die nüchterne, irdischen Dingen zugekehrte Gegenwart
nicht mehr paßt. Sie wurde zerstört durch das Aufkommen der nationalen
Staaten, an erster Stelle Frankreichs, durch die Entdeckung der neuen Welt,
durch die deutsche Reformation, durch das neuartige Geistesleben der Renaissance
und der AuMrungsperiode. Indem sie aber die Suprematie über die Staaten
einbüßte, wußte sie die Herrschaft über die Geister und Gemüter zu ordnen und
zu kräftigen; die Kirchenversammlungen zu Trient (1545 bis 1563) und im Vatikan
(1869 bis 1870) waren Etappen auf dem Wege zur Spiritualisierung des Kirchen¬
rechts, zur Machterhöhung des Papsttums als einer Gewalt, die seit dem Verlust
des Kirchenstaates, unbeschwert durch die Sorgen um weltlich-staatlichen Besitz, die
römisch-katholische Christenheit auf der gesamten Erde zu leiten sich fähig erweist").

Nicht erneut in Erscheinung getreten ist jener mittelalterliche Imperialismus,
der einem einzigen Staate zur Präponderanz verhalf. Auf der einen Seite
wurde er abgelöst durch den papstkirchlichen Imperialismus, auf der anderen
Seite wurde das Bild der Staatenwelt vielgestaltiger, derart daß es nur kurze
Zeit die Vormacht eines Ludwig XIV., die kurzlebige Wiederherstellung eines
europäischen Machtkomplexes zu Händen Napoleons I. ertrug. Das Trachten und
Sinnen der Völker, in jeweils national abgeschlossenen Staaten ihre Kräfte
zusammenzuballen, gehört heute bereits der freilich jungen Vergangenheit an; wie
lange doch war es der Stolz unseres Volkes, daß seine Einigung zu gleicher
Zeit dem italienischen den Staat zu gründen ermöglichte, der freilich die Probe
seiner Bündnistreue so schlecht bestand. Die wirklich zukunftsreichen Staaten
drängen über sich selbst hinaus, auf daß ein jeder von ihnen gleichsam der
Kern werde eines Weltreiches neuer Art. Die ganze Erde soll von einer
Aristokratie weniger Weltreiche beherrscht sein, unter denen das Übergewicht
eines einzigen als unleidlicher Druck empfunden wird, weil es künstlich das
Alte zu verewigen strebt, ohne die erforderliche Sicherheit freier Volkerent¬
faltung verbürgen zu können oder zu wollen.

Unserem Volke hatte der frühmittelalterliche Imperialismus eine Zeit der
Vorherrschaft in Europa beschieden. Als sein Reich darniederlag. als es unter
den Nachwirkungen der alten Kaiserherrlichkeit in sich selbst zerklüftet war. ver-
sperrte seine staatliche Ohnmacht ihm den Weg auf Übersee, zum vominium
maris Laltici und zum Weltmeer des Atlantischen Ozeans. Politisch ohn-
mächtig kämpfte es in der Reformation Martin Luthers für die Befreiung der
Geister, aus der die Schreckenszeit des Dreißigjährigen Krieges entkeimte. Treu
am Rest mittelalterlicher Erinnerungen festhaltend, feierte man im Heiligen
Römischen Reiche Deutscher Nation noch immer die Kaiserkrönungen, schwang
ein Herold wie früher das Reichsschwert nach allen vier Himmelsrichtungen,
gleich als ob die Welt wie einst dem Kaiser gehorche, sobald ihm in der Stadt
am Main die ehrwürdige Krone angeblich Karls des Großen aufs Haupt ge¬
drückt worden war —. in Wahrheit erschöpfte sich die Kraft der Deutschen in
engen Kreisen, wurde deutsches Land der Boden, auf dem die glücklichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331841/130>, abgerufen am 10.01.2025.