Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Wie kümmerlich oft die Rolle dieser Hausmachtskönige im Vergleich selbst nur Noch heute halten die katholische Kirche und ihr Papsttum an dem mittel¬ Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Wie kümmerlich oft die Rolle dieser Hausmachtskönige im Vergleich selbst nur Noch heute halten die katholische Kirche und ihr Papsttum an dem mittel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331971"/> <fw type="header" place="top"> Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit</fw><lb/> <p xml:id="ID_316" prev="#ID_315"> Wie kümmerlich oft die Rolle dieser Hausmachtskönige im Vergleich selbst nur<lb/> mit den geistlichen und weltlichen Fürsten im Deutschen Reiche nördlich der<lb/> Alpen! Es war unmöglich, die oberste Lehnsherrlichkeit über die Territorien aus<lb/> deutschem Boden mit der kaiserlichen Vollgewalt über das ganze Reich wie zu<lb/> vereinen so dauernd zu behaupten. Jene sah sich immer an Zahl noch zunehmenden,<lb/> noch Ungebundenheit drängenden Splittern des deutschen Bodens gegenüber, diese<lb/> verlangte nach äußerster lokaler Konzentration politischer und rechtlicher Macht<lb/> innerhalb des Reichsgebietes. Die Schwäche des deutschen Königtums mußte sich<lb/> dem römischen Kaisertum mitteilen, das nur solange Gehorsam finden konnte, als es<lb/> von einem starken deutschen Königtum getragen und zur Geltung gebracht wurde.<lb/> Auch hier sprechen Zahlen eine beredte Sprache. Vom Jahre 973 bis zum<lb/> Jahre 1250 wurden, wie erwähnt, unter zwanzig deutschen Königen und Gegen¬<lb/> königen im ganzen elf zu Kaisern gekrönt. Vom Jahre 1250, dem des Todes<lb/> Friedrichs des Zweiten, bis zum Jahre 1519, in welchem Maximilian der Erste<lb/> starb, empfingen von neunzehn deutschen Königen und Gegenkönigen nur fünf<lb/> die Kaiserkrone, ein sechster nannte sich seit 1508 erwählter römischer Kaiser.<lb/> An Zahl der Jahre sind die Zeiträume von 973 bis 1250 und von 1250 bis<lb/> 1519 einander fast gleich, der Abstand aber von elf römisch-deutschen Kaisern<lb/> des früheren Mittelalters zu nur sechs des späteren Mittelalters ist recht erklecklich,<lb/> ganz abgesehen hier von den zeitlichen Entfernungen je zweier sich folgender Kaiser¬<lb/> krönungen (1220. 1312, 1328, 1355, 1433, 1452. l45(M. Man würde<lb/> dem Streben dieser Luxemburger, Wittelsbacher und Habsburger nach Erwerb<lb/> der Kaiserkrone, nach Wahrung des Anspruchs auf das Imperium aurai die<lb/> Anerkennung nicht versagen, wäre die Fner in Rom nicht machtpolitisch zur leeren<lb/> Handlung herabgesunken, der keinerlei tatsächliche Bedeutung mehr innewohnte.<lb/> Kardinäle als Beauftragte des in Avignon verbleibenden Papstes krönten<lb/> Heinrich den Siebenten (1312) und seinen Enkel Karl den Vierten (1355).<lb/> Ludwig der Bayer ließ sich von Vertretern des römischen Volkes die Krone<lb/> aufs Haupt setzen (1328). sorgfältigst ausgeklügelte Eide und Urkunden ver¬<lb/> pflichteten den Luxemburger Karl den Vierten, die ewige Stadt noch am<lb/> Tage seiner Krönung zu verlassen (1355) —, der römische Kaiser dürfte<lb/> kein Hoheitsrecht an der Stätte ausüben, nach deren Namen er sich männle.<lb/> weil eben der Papst der Herr Roms und des neuen Imperium Komanum<lb/> geworden war. Als endlich im Jahre 1530 Karl der Fünfte in Bologna<lb/> von dem Mediceerpavste Clemens dem Siebenten zum Kaiser gekrönt wurde,<lb/> bezeugte das Zeremoniell dieser letzten Kaiserkrönung auf italienischem Boden,<lb/> daß der Imperialismus des Mittelalters, der einst den weltlichen Herrscher<lb/> getragen, gehoben, angespornt hatte, einer Vergangenheit an gehörte, die keine<lb/> Gunst des Schicksals zu erneuern fähig oder willens war.</p><lb/> <p xml:id="ID_317" next="#ID_318"> Noch heute halten die katholische Kirche und ihr Papsttum an dem mittel¬<lb/> alterlichen, religiös bestimmten Imperialismus fest, wie er ihnen im Laufe weniger<lb/> Jahrhunderte zugewachsen war. Ihre Vormachtstellung gegenüber den Staaten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0129]
Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit
Wie kümmerlich oft die Rolle dieser Hausmachtskönige im Vergleich selbst nur
mit den geistlichen und weltlichen Fürsten im Deutschen Reiche nördlich der
Alpen! Es war unmöglich, die oberste Lehnsherrlichkeit über die Territorien aus
deutschem Boden mit der kaiserlichen Vollgewalt über das ganze Reich wie zu
vereinen so dauernd zu behaupten. Jene sah sich immer an Zahl noch zunehmenden,
noch Ungebundenheit drängenden Splittern des deutschen Bodens gegenüber, diese
verlangte nach äußerster lokaler Konzentration politischer und rechtlicher Macht
innerhalb des Reichsgebietes. Die Schwäche des deutschen Königtums mußte sich
dem römischen Kaisertum mitteilen, das nur solange Gehorsam finden konnte, als es
von einem starken deutschen Königtum getragen und zur Geltung gebracht wurde.
Auch hier sprechen Zahlen eine beredte Sprache. Vom Jahre 973 bis zum
Jahre 1250 wurden, wie erwähnt, unter zwanzig deutschen Königen und Gegen¬
königen im ganzen elf zu Kaisern gekrönt. Vom Jahre 1250, dem des Todes
Friedrichs des Zweiten, bis zum Jahre 1519, in welchem Maximilian der Erste
starb, empfingen von neunzehn deutschen Königen und Gegenkönigen nur fünf
die Kaiserkrone, ein sechster nannte sich seit 1508 erwählter römischer Kaiser.
An Zahl der Jahre sind die Zeiträume von 973 bis 1250 und von 1250 bis
1519 einander fast gleich, der Abstand aber von elf römisch-deutschen Kaisern
des früheren Mittelalters zu nur sechs des späteren Mittelalters ist recht erklecklich,
ganz abgesehen hier von den zeitlichen Entfernungen je zweier sich folgender Kaiser¬
krönungen (1220. 1312, 1328, 1355, 1433, 1452. l45(M. Man würde
dem Streben dieser Luxemburger, Wittelsbacher und Habsburger nach Erwerb
der Kaiserkrone, nach Wahrung des Anspruchs auf das Imperium aurai die
Anerkennung nicht versagen, wäre die Fner in Rom nicht machtpolitisch zur leeren
Handlung herabgesunken, der keinerlei tatsächliche Bedeutung mehr innewohnte.
Kardinäle als Beauftragte des in Avignon verbleibenden Papstes krönten
Heinrich den Siebenten (1312) und seinen Enkel Karl den Vierten (1355).
Ludwig der Bayer ließ sich von Vertretern des römischen Volkes die Krone
aufs Haupt setzen (1328). sorgfältigst ausgeklügelte Eide und Urkunden ver¬
pflichteten den Luxemburger Karl den Vierten, die ewige Stadt noch am
Tage seiner Krönung zu verlassen (1355) —, der römische Kaiser dürfte
kein Hoheitsrecht an der Stätte ausüben, nach deren Namen er sich männle.
weil eben der Papst der Herr Roms und des neuen Imperium Komanum
geworden war. Als endlich im Jahre 1530 Karl der Fünfte in Bologna
von dem Mediceerpavste Clemens dem Siebenten zum Kaiser gekrönt wurde,
bezeugte das Zeremoniell dieser letzten Kaiserkrönung auf italienischem Boden,
daß der Imperialismus des Mittelalters, der einst den weltlichen Herrscher
getragen, gehoben, angespornt hatte, einer Vergangenheit an gehörte, die keine
Gunst des Schicksals zu erneuern fähig oder willens war.
Noch heute halten die katholische Kirche und ihr Papsttum an dem mittel¬
alterlichen, religiös bestimmten Imperialismus fest, wie er ihnen im Laufe weniger
Jahrhunderte zugewachsen war. Ihre Vormachtstellung gegenüber den Staaten
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