Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Zweites Vierteljahr.Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Diese Anschauung befestigte sich im zehnten Jahrhundert. Das Reich Karls Grenzboten II 1S17 8
Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit Diese Anschauung befestigte sich im zehnten Jahrhundert. Das Reich Karls Grenzboten II 1S17 8
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Der Imperialismus in Gegenwart und Vergangenheit
Diese Anschauung befestigte sich im zehnten Jahrhundert. Das Reich Karls
des Großen zerfiel, immerhinwar seine ostfrän!ische Hälfte, das Deutsche Reich,
früher als sein westlicher Nachbar imstande, sich innerlich zu kräftigen -— Heinrich
der' Erste und sein Sohn besiegten in den Jahren 933 und 955 die Ungarn —,
um die Hegemonie über die Mitte Europas zu erwerben. Ottos des Großen
Zug nach Italien offenbarte die innere Kraft seines Staates und ihr Drängen
nach Wirkung in die Weite —, wiederum nahm ein Papst die Kaiserkrönung
vor, diesmal Johann der Zwölfte am deutschen König aus sächsischem Ge¬
schlecht (2. Februar 962). Das Reich Ottos war räumlich kleiner als das des
Karolingers, und gleichwohl verband sich auch mit ihm die Vorstellung einer
Nachfolgerschaft im Imperium Kcmanum eines Karl oder eines Augustus.
Recht und Pflicht es zu behaupten, zu erweitern und niemals grundsätzlich zu
schmälern, überkamen Ottos Nachfahren aus sächsischem, fränkischem (salischen)
und schwäbischen (staufischen) Hause. Vom Todesjahr Ottos des Ersten, 973,
bis zum Jahre 1250, in welchem Friedrich der Zweite starb, haben einschließlich
der Gegenkönige, zwanzig deutsche Könige regiert; ihrer elf haben sich in Rom
M Kaisern krönen lassen, alle durch Päpste — nur einer von ihnen, Heinrich
der Vierte, im Jahre 1084 durch einen Gegenpapst —, alle in der Peters¬
kirche, nur Lothar von Supplinburg 1133 in der Lateranbasilika, alle Könige
aus sächsischem Geschlecht seit Otto dem Großem (967. 996.1014) und in ununter¬
brochener Folge der Salier Konrad der Zweite, sein Sohn, Enkel und Urenkel (1027,
1046, 1084. 1111). Eins leuchtet ein: die dauernde, die entscheidende Mit¬
wirkung des Papstes an der Kaiserkrönung mußte allmählich seine Bedeutung
heben. Mehr und mehr erschien er als der unentbehrliche Vermittler der gött¬
lichen Gnade, die in der Berufung des einzelnen Monarchen zum kaiserlichen Amte
beschlossen war. Übergab nicht der Nachfolger Petri dem vor ihm knienden
Herrscher die Jnstgnien seines Amtes, mahnte er ihn nicht in ernster Ansprache
Zum Schutz der Kirche, zur Wahrung des rechten Glaubens, zur Bekehrung oder
Vertilgung der Heiden, zur Ausrottung der Ketzer? Die Krönung zu vollziehen
wußte bald nicht so sehr als päpstliche Pflicht des Gehorsams gegen Gottes
Willen denn als Wahrnehmung eines pästlichen, von Gott geschenkten Rechtes
aufgefaßt werden. Die Kaiserkrone ward zur Gabe, die der deutsche König
für sich zu erbitten hätte, zur Wohltat, die das Oberhaupt der Kirche wohl
auch verweigern könnte. Nur folgerichtig war die Forderung Roms, daß der
Papst den gewählten deutschen König daraufhin zu prüfen befugt sei, ob er die
Kai, rkrone wirklich verdiene. Der Papst sollte entscheiden, wem er das Symbol
der Weltherrschaft zu verleihen geruhe, sobald zwei deutsche Wahlköuige um
das Regiment im Deutschen Reiche diesseits der Alpen, im Römischen Reiche
diesseits und jenseits der Alpen miteinander stritten. Die Lehre kam auf, das
Papsttum habe durch Leo den Dritten das Imperium muncli von den Griechen
auf die Franken, durch Johann den Zwölften von den Franken auf die Deutschen
Grenzboten II 1S17 8
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