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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

der russischen Einfuhrzölle besonders auf Kohle und Eisen, Rußland lehnte dies
1893 ab. Gegen die Herabsetzung des deutschen Zolles auf russisches Getreide
waren besonders die Vertreter der ostelbischen Landwirtschaft.. Es kam im Sommer
1893 zu einem deutsch-russischen Zollkrieg durch Einführung eines russischen
Doppeltarifs, mit Maximalsätzen, die 15, 20 bis 30 Prozent höher waren als
die allgemeinen Tarifsätze. Deutschland antwortete darauf mit einer Zollerhöhung
von 50 Prozent auf die russische Einfuhr, Nußland tat sofort dasselbe.

Da Rußland mehr unter dem Zollkrieg litt als Deutschland, trafen im
Herbst 1893 russische Unterhändler in Berlin zu neuen Verhandlungen ein.
Diese waren öfter am Scheitern, wurden von dem russischen Finanzminister
Witte doch weitergeführt und endigten schließlich mit dem? am 20 März 1894
auf zehn Jahre in Geltung tretenden neuen deutsch-russischen Handelsvertrag.

Er enthielt vor allem die gegenseitige Meistbegünstigung und setzte für die
Fremden die gleichen Abgaben, Tarife und Gebühren bei Benutzung der
Transportwege fest wie für die Inländer und machte den Erlaß von Einfuhr-
und Ausfuhrverboten (ausgenommen Staats Monopole und Verbote aus Gesund¬
heitsrücksichten) unmöglich. Deutschland gestand Rußland dieBindung von 27 Tarif¬
artikeln zu. Rußland gewährte an Deutschland die Bindung von 20 Artikeln
vollkommen und von 53 Artikeln teilweise, in einer gegenüber dem Tarif von
1891 allerdings nicht sehr bedeutenden Ermäßigung von 15 bis 20 Prozent.

So waren von beiden Seiten Zugeständnisse erfolgt. Das wesentliche am
Vertrag war vor allem Sicherheit gegen Zollerhöhung; Rußland hatte seine
alte Politik, sich in den Zöllen nicht zu binden, aufgeben müssen. Die allgemeine
Folge war Verdoppelung der deutschen Ausfuhr nach Rußland in den Jahren
1894--1903, die deutsche Einfuhr nach Rußland rückte an die erste Stelle der
russischen Gesamteinsuhr. Die Aufnahme des Vertrags in Deutschland war
verschieden, in den agrarischen Kreisen bleibend schlecht, in der Industrie größtenteils
gut; auch in Rußland fand der Vertrag Freunde und Gegner. In Deutschland
wurde noch im Oktober 1894 das seit 1887 bestehende Verbot der Lombardierung
russischer Wertpapiere in der deutschen Reichsbank und Preußischen Seehandlung
aufgehoben, was in Rußland allerdings als wenig belangreich hingestellt wurde.

Als Deutschland wegen Seuchengefahr die Einfuhr russischen Viehs hinderte,
fanden 1896 bis 1897 neue Verhandlungen in Berlin statt, die in einem Schlu߬
protokoll vom 9. Februar 1897 zu deutscherseits gewährten Erleichterungen
und Ausnahmen besonders für die Grenzverkehrsbeziehungen führten. Die Be¬
hinderung der Einfuhr lebender Gänse nach Deutschland brachte 1898 neuen
Streit mit sich, russische Zollmaßregeln folgten; auch hier kam im August 1898
eine Verständigung zu Stande.

Beim bevorstehenden Ablauf des Handelsvertrages wurden auf beiden Seiten
Tariferhöhungen vorgenommen von deutscher Seite sür Getreide, von russischer
für Industrieartikel. Die neuen Verhandlungen, die von deutscher Seite durch
Zulassung russischer Kriegsanleihen auf den deutschen Geldmarkt beschleunigt wurden,


Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

der russischen Einfuhrzölle besonders auf Kohle und Eisen, Rußland lehnte dies
1893 ab. Gegen die Herabsetzung des deutschen Zolles auf russisches Getreide
waren besonders die Vertreter der ostelbischen Landwirtschaft.. Es kam im Sommer
1893 zu einem deutsch-russischen Zollkrieg durch Einführung eines russischen
Doppeltarifs, mit Maximalsätzen, die 15, 20 bis 30 Prozent höher waren als
die allgemeinen Tarifsätze. Deutschland antwortete darauf mit einer Zollerhöhung
von 50 Prozent auf die russische Einfuhr, Nußland tat sofort dasselbe.

Da Rußland mehr unter dem Zollkrieg litt als Deutschland, trafen im
Herbst 1893 russische Unterhändler in Berlin zu neuen Verhandlungen ein.
Diese waren öfter am Scheitern, wurden von dem russischen Finanzminister
Witte doch weitergeführt und endigten schließlich mit dem? am 20 März 1894
auf zehn Jahre in Geltung tretenden neuen deutsch-russischen Handelsvertrag.

Er enthielt vor allem die gegenseitige Meistbegünstigung und setzte für die
Fremden die gleichen Abgaben, Tarife und Gebühren bei Benutzung der
Transportwege fest wie für die Inländer und machte den Erlaß von Einfuhr-
und Ausfuhrverboten (ausgenommen Staats Monopole und Verbote aus Gesund¬
heitsrücksichten) unmöglich. Deutschland gestand Rußland dieBindung von 27 Tarif¬
artikeln zu. Rußland gewährte an Deutschland die Bindung von 20 Artikeln
vollkommen und von 53 Artikeln teilweise, in einer gegenüber dem Tarif von
1891 allerdings nicht sehr bedeutenden Ermäßigung von 15 bis 20 Prozent.

So waren von beiden Seiten Zugeständnisse erfolgt. Das wesentliche am
Vertrag war vor allem Sicherheit gegen Zollerhöhung; Rußland hatte seine
alte Politik, sich in den Zöllen nicht zu binden, aufgeben müssen. Die allgemeine
Folge war Verdoppelung der deutschen Ausfuhr nach Rußland in den Jahren
1894—1903, die deutsche Einfuhr nach Rußland rückte an die erste Stelle der
russischen Gesamteinsuhr. Die Aufnahme des Vertrags in Deutschland war
verschieden, in den agrarischen Kreisen bleibend schlecht, in der Industrie größtenteils
gut; auch in Rußland fand der Vertrag Freunde und Gegner. In Deutschland
wurde noch im Oktober 1894 das seit 1887 bestehende Verbot der Lombardierung
russischer Wertpapiere in der deutschen Reichsbank und Preußischen Seehandlung
aufgehoben, was in Rußland allerdings als wenig belangreich hingestellt wurde.

Als Deutschland wegen Seuchengefahr die Einfuhr russischen Viehs hinderte,
fanden 1896 bis 1897 neue Verhandlungen in Berlin statt, die in einem Schlu߬
protokoll vom 9. Februar 1897 zu deutscherseits gewährten Erleichterungen
und Ausnahmen besonders für die Grenzverkehrsbeziehungen führten. Die Be¬
hinderung der Einfuhr lebender Gänse nach Deutschland brachte 1898 neuen
Streit mit sich, russische Zollmaßregeln folgten; auch hier kam im August 1898
eine Verständigung zu Stande.

Beim bevorstehenden Ablauf des Handelsvertrages wurden auf beiden Seiten
Tariferhöhungen vorgenommen von deutscher Seite sür Getreide, von russischer
für Industrieartikel. Die neuen Verhandlungen, die von deutscher Seite durch
Zulassung russischer Kriegsanleihen auf den deutschen Geldmarkt beschleunigt wurden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/67>, abgerufen am 23.07.2024.