Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

an Preußen gefallenen Teiles des polnischen Reiches vom preußischen Staat
verursacht hätte. Lange Verhandlungen über die Durchführung der Wiener
Vereinbarung folgten, bei denen Preußen mit seinen Vorschlägen und Zu¬
geständnissen in der Zollfrage wenig Entgegenkommen fand.

Ein neuer Handelsvertrag kam am 19. Dezember 1818 zustande, der
erste moderne Handelsvertrag mit ausführlichen Einzelbestimmungen über Per¬
sonen und Gegenstände des Handels, Transithandel, Zolltarif und Festsetzung
der Zollämter. Trotz des neuen russischen Zolltarifs von 1819, des niedersten
aller russischen Tarife, begannen die alten MißHelligkeiten von neuem. Neue
Erschwerungen der Durchfuhr durch Ausführungsbestimmungen, einschränkende
Interpretation des Handelsvertrages durch die Russen, die von Preußen geradezu
als Vertragsbruch angesehen wurde, beiderseitige Vorwürfe der Vertragsver¬
letzung folgten. Alexander der Erste schrieb dem König Friedrich Wilhelm dem
Dritten über die schädlichen Folgen des Vertrages für Rußland, der neue russische
Zolltarif von 1822 kehrte zum strengen Prohibitivsystem zurück, eine königliche
Kabinettsorder vom 22. Mai 1822 erklärte infolgedessen den Vertrag als er¬
loschen, Preußen nahm auch Zollerhöhungen vor, ein richtiger Zollkrieg war
da. Rußland gab nach, neue Entwürfe wurden gemacht.

Am 15. März 1825 erfolgte derAbschluß eines neuenHandels- und Schiffahrts¬
vertrags zur Ausführung der Wiener Vereinbarung von 1815 auf neun Jahre;
er brachte Preußen Erleichterungen bezüglich der Zulassung einiger Tuche zum
Transit und der Errichtung mehrerer von Preußen geforderter Grenzzollämter.
Aber die preußischen Beschwerden über hohe Zölle, Erschwerungen des Zoll-
und Grenzverkehrs, Hinderung des Transits, den die Russen wegen des Absatzes
ihrer Pelze nach China nicht gern sahen, hörten nicht auf. Schon 1830 wurde
preußischerseits Nichterneuerung des Vertrags bei Ablauf erwogen, aber aus
russischen Vorschlag erfolgte sie doch am 12. Juni 1834 auf ein Jahr. Preußen,
das wieder Unterhändler senden sollte, sprach dabei die Hoffnung auf größeres
russisches Entgegenkommen aus. Die Verhandlungen über eine nochmalige Ver¬
längerung scheiterten, eine königliche Kabinettsorder vom 7. September 1836 ver¬
kündigte die NichtVerlängerung. Von russischer Seite wurden 1840 neue Verhand¬
lungen eingeleitet. Die preußischen Wünsche gingen auf Zollherabsetzung und Er¬
leichterung der Zollabfertigung, allgemein auf Aufrechterhaltung der Wiener
Vereinbarung von 1815. Rußland widerstrebte, wollte nur Erneuerung der
preußisch-russischen Konvention von 1830 über die Regelung des Grenzverkehrs.
Preußen wünschte Ausdehnung der Vereinbarung auf den Zollverein, Rußland
lehnte das ab. Schließlich legte Rußland 1842 "aus freiem Willen und aus
Freundschaft" Preußen einige "definitive Konzessionen" zur Erleichterung der
Zollabfertigung und des Grenzverkehrs vor. Preußen war zu ihrer Annahme,
da sie nicht erheblich waren, nicht sehr geneigt, teilte aber die stillschweigende
Ausdehnung der Zollherabsetzung auf den Zollverein, von dem Klagen gegen
Preußen vorgebracht waren, den verbündeten Staaten mit. Die Erneuerung


Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

an Preußen gefallenen Teiles des polnischen Reiches vom preußischen Staat
verursacht hätte. Lange Verhandlungen über die Durchführung der Wiener
Vereinbarung folgten, bei denen Preußen mit seinen Vorschlägen und Zu¬
geständnissen in der Zollfrage wenig Entgegenkommen fand.

Ein neuer Handelsvertrag kam am 19. Dezember 1818 zustande, der
erste moderne Handelsvertrag mit ausführlichen Einzelbestimmungen über Per¬
sonen und Gegenstände des Handels, Transithandel, Zolltarif und Festsetzung
der Zollämter. Trotz des neuen russischen Zolltarifs von 1819, des niedersten
aller russischen Tarife, begannen die alten MißHelligkeiten von neuem. Neue
Erschwerungen der Durchfuhr durch Ausführungsbestimmungen, einschränkende
Interpretation des Handelsvertrages durch die Russen, die von Preußen geradezu
als Vertragsbruch angesehen wurde, beiderseitige Vorwürfe der Vertragsver¬
letzung folgten. Alexander der Erste schrieb dem König Friedrich Wilhelm dem
Dritten über die schädlichen Folgen des Vertrages für Rußland, der neue russische
Zolltarif von 1822 kehrte zum strengen Prohibitivsystem zurück, eine königliche
Kabinettsorder vom 22. Mai 1822 erklärte infolgedessen den Vertrag als er¬
loschen, Preußen nahm auch Zollerhöhungen vor, ein richtiger Zollkrieg war
da. Rußland gab nach, neue Entwürfe wurden gemacht.

Am 15. März 1825 erfolgte derAbschluß eines neuenHandels- und Schiffahrts¬
vertrags zur Ausführung der Wiener Vereinbarung von 1815 auf neun Jahre;
er brachte Preußen Erleichterungen bezüglich der Zulassung einiger Tuche zum
Transit und der Errichtung mehrerer von Preußen geforderter Grenzzollämter.
Aber die preußischen Beschwerden über hohe Zölle, Erschwerungen des Zoll-
und Grenzverkehrs, Hinderung des Transits, den die Russen wegen des Absatzes
ihrer Pelze nach China nicht gern sahen, hörten nicht auf. Schon 1830 wurde
preußischerseits Nichterneuerung des Vertrags bei Ablauf erwogen, aber aus
russischen Vorschlag erfolgte sie doch am 12. Juni 1834 auf ein Jahr. Preußen,
das wieder Unterhändler senden sollte, sprach dabei die Hoffnung auf größeres
russisches Entgegenkommen aus. Die Verhandlungen über eine nochmalige Ver¬
längerung scheiterten, eine königliche Kabinettsorder vom 7. September 1836 ver¬
kündigte die NichtVerlängerung. Von russischer Seite wurden 1840 neue Verhand¬
lungen eingeleitet. Die preußischen Wünsche gingen auf Zollherabsetzung und Er¬
leichterung der Zollabfertigung, allgemein auf Aufrechterhaltung der Wiener
Vereinbarung von 1815. Rußland widerstrebte, wollte nur Erneuerung der
preußisch-russischen Konvention von 1830 über die Regelung des Grenzverkehrs.
Preußen wünschte Ausdehnung der Vereinbarung auf den Zollverein, Rußland
lehnte das ab. Schließlich legte Rußland 1842 „aus freiem Willen und aus
Freundschaft" Preußen einige „definitive Konzessionen" zur Erleichterung der
Zollabfertigung und des Grenzverkehrs vor. Preußen war zu ihrer Annahme,
da sie nicht erheblich waren, nicht sehr geneigt, teilte aber die stillschweigende
Ausdehnung der Zollherabsetzung auf den Zollverein, von dem Klagen gegen
Preußen vorgebracht waren, den verbündeten Staaten mit. Die Erneuerung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331474"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Deutsch-Russischen Handelsverträge</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_165" prev="#ID_164"> an Preußen gefallenen Teiles des polnischen Reiches vom preußischen Staat<lb/>
verursacht hätte. Lange Verhandlungen über die Durchführung der Wiener<lb/>
Vereinbarung folgten, bei denen Preußen mit seinen Vorschlägen und Zu¬<lb/>
geständnissen in der Zollfrage wenig Entgegenkommen fand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_166"> Ein neuer Handelsvertrag kam am 19. Dezember 1818 zustande, der<lb/>
erste moderne Handelsvertrag mit ausführlichen Einzelbestimmungen über Per¬<lb/>
sonen und Gegenstände des Handels, Transithandel, Zolltarif und Festsetzung<lb/>
der Zollämter. Trotz des neuen russischen Zolltarifs von 1819, des niedersten<lb/>
aller russischen Tarife, begannen die alten MißHelligkeiten von neuem. Neue<lb/>
Erschwerungen der Durchfuhr durch Ausführungsbestimmungen, einschränkende<lb/>
Interpretation des Handelsvertrages durch die Russen, die von Preußen geradezu<lb/>
als Vertragsbruch angesehen wurde, beiderseitige Vorwürfe der Vertragsver¬<lb/>
letzung folgten. Alexander der Erste schrieb dem König Friedrich Wilhelm dem<lb/>
Dritten über die schädlichen Folgen des Vertrages für Rußland, der neue russische<lb/>
Zolltarif von 1822 kehrte zum strengen Prohibitivsystem zurück, eine königliche<lb/>
Kabinettsorder vom 22. Mai 1822 erklärte infolgedessen den Vertrag als er¬<lb/>
loschen, Preußen nahm auch Zollerhöhungen vor, ein richtiger Zollkrieg war<lb/>
da. Rußland gab nach, neue Entwürfe wurden gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_167" next="#ID_168"> Am 15. März 1825 erfolgte derAbschluß eines neuenHandels- und Schiffahrts¬<lb/>
vertrags zur Ausführung der Wiener Vereinbarung von 1815 auf neun Jahre;<lb/>
er brachte Preußen Erleichterungen bezüglich der Zulassung einiger Tuche zum<lb/>
Transit und der Errichtung mehrerer von Preußen geforderter Grenzzollämter.<lb/>
Aber die preußischen Beschwerden über hohe Zölle, Erschwerungen des Zoll-<lb/>
und Grenzverkehrs, Hinderung des Transits, den die Russen wegen des Absatzes<lb/>
ihrer Pelze nach China nicht gern sahen, hörten nicht auf. Schon 1830 wurde<lb/>
preußischerseits Nichterneuerung des Vertrags bei Ablauf erwogen, aber aus<lb/>
russischen Vorschlag erfolgte sie doch am 12. Juni 1834 auf ein Jahr. Preußen,<lb/>
das wieder Unterhändler senden sollte, sprach dabei die Hoffnung auf größeres<lb/>
russisches Entgegenkommen aus. Die Verhandlungen über eine nochmalige Ver¬<lb/>
längerung scheiterten, eine königliche Kabinettsorder vom 7. September 1836 ver¬<lb/>
kündigte die NichtVerlängerung. Von russischer Seite wurden 1840 neue Verhand¬<lb/>
lungen eingeleitet. Die preußischen Wünsche gingen auf Zollherabsetzung und Er¬<lb/>
leichterung der Zollabfertigung, allgemein auf Aufrechterhaltung der Wiener<lb/>
Vereinbarung von 1815. Rußland widerstrebte, wollte nur Erneuerung der<lb/>
preußisch-russischen Konvention von 1830 über die Regelung des Grenzverkehrs.<lb/>
Preußen wünschte Ausdehnung der Vereinbarung auf den Zollverein, Rußland<lb/>
lehnte das ab. Schließlich legte Rußland 1842 &#x201E;aus freiem Willen und aus<lb/>
Freundschaft" Preußen einige &#x201E;definitive Konzessionen" zur Erleichterung der<lb/>
Zollabfertigung und des Grenzverkehrs vor. Preußen war zu ihrer Annahme,<lb/>
da sie nicht erheblich waren, nicht sehr geneigt, teilte aber die stillschweigende<lb/>
Ausdehnung der Zollherabsetzung auf den Zollverein, von dem Klagen gegen<lb/>
Preußen vorgebracht waren, den verbündeten Staaten mit. Die Erneuerung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0064] Die Deutsch-Russischen Handelsverträge an Preußen gefallenen Teiles des polnischen Reiches vom preußischen Staat verursacht hätte. Lange Verhandlungen über die Durchführung der Wiener Vereinbarung folgten, bei denen Preußen mit seinen Vorschlägen und Zu¬ geständnissen in der Zollfrage wenig Entgegenkommen fand. Ein neuer Handelsvertrag kam am 19. Dezember 1818 zustande, der erste moderne Handelsvertrag mit ausführlichen Einzelbestimmungen über Per¬ sonen und Gegenstände des Handels, Transithandel, Zolltarif und Festsetzung der Zollämter. Trotz des neuen russischen Zolltarifs von 1819, des niedersten aller russischen Tarife, begannen die alten MißHelligkeiten von neuem. Neue Erschwerungen der Durchfuhr durch Ausführungsbestimmungen, einschränkende Interpretation des Handelsvertrages durch die Russen, die von Preußen geradezu als Vertragsbruch angesehen wurde, beiderseitige Vorwürfe der Vertragsver¬ letzung folgten. Alexander der Erste schrieb dem König Friedrich Wilhelm dem Dritten über die schädlichen Folgen des Vertrages für Rußland, der neue russische Zolltarif von 1822 kehrte zum strengen Prohibitivsystem zurück, eine königliche Kabinettsorder vom 22. Mai 1822 erklärte infolgedessen den Vertrag als er¬ loschen, Preußen nahm auch Zollerhöhungen vor, ein richtiger Zollkrieg war da. Rußland gab nach, neue Entwürfe wurden gemacht. Am 15. März 1825 erfolgte derAbschluß eines neuenHandels- und Schiffahrts¬ vertrags zur Ausführung der Wiener Vereinbarung von 1815 auf neun Jahre; er brachte Preußen Erleichterungen bezüglich der Zulassung einiger Tuche zum Transit und der Errichtung mehrerer von Preußen geforderter Grenzzollämter. Aber die preußischen Beschwerden über hohe Zölle, Erschwerungen des Zoll- und Grenzverkehrs, Hinderung des Transits, den die Russen wegen des Absatzes ihrer Pelze nach China nicht gern sahen, hörten nicht auf. Schon 1830 wurde preußischerseits Nichterneuerung des Vertrags bei Ablauf erwogen, aber aus russischen Vorschlag erfolgte sie doch am 12. Juni 1834 auf ein Jahr. Preußen, das wieder Unterhändler senden sollte, sprach dabei die Hoffnung auf größeres russisches Entgegenkommen aus. Die Verhandlungen über eine nochmalige Ver¬ längerung scheiterten, eine königliche Kabinettsorder vom 7. September 1836 ver¬ kündigte die NichtVerlängerung. Von russischer Seite wurden 1840 neue Verhand¬ lungen eingeleitet. Die preußischen Wünsche gingen auf Zollherabsetzung und Er¬ leichterung der Zollabfertigung, allgemein auf Aufrechterhaltung der Wiener Vereinbarung von 1815. Rußland widerstrebte, wollte nur Erneuerung der preußisch-russischen Konvention von 1830 über die Regelung des Grenzverkehrs. Preußen wünschte Ausdehnung der Vereinbarung auf den Zollverein, Rußland lehnte das ab. Schließlich legte Rußland 1842 „aus freiem Willen und aus Freundschaft" Preußen einige „definitive Konzessionen" zur Erleichterung der Zollabfertigung und des Grenzverkehrs vor. Preußen war zu ihrer Annahme, da sie nicht erheblich waren, nicht sehr geneigt, teilte aber die stillschweigende Ausdehnung der Zollherabsetzung auf den Zollverein, von dem Klagen gegen Preußen vorgebracht waren, den verbündeten Staaten mit. Die Erneuerung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/64
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/64>, abgerufen am 23.07.2024.