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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

Die Grundverträge sind diejenigen, die beim Beginn und der ersten Ent¬
wicklung des deutsch-russischen Handels, nach den beiden großen Gebieten aller
Handelsverträge: Handel und Verkehr einerseits, Gewährung des Rechtsschutzes
an die fremden Kaufleute andererseits, die allgemeinen Grundlagen schaffen,
auf denen sich der Handel entwickeln, die persönlichen Beziehungen der Kauf¬
leute sich gestalten sollen. Eine Eigentümlichkeit des russischen Handels der
Deutschen war es, daß die Hansen in den Hauptorten Rußlands, vor allem
in Nowgorod, geschlossene Organisationen, Handelskontore, große Kaufmanns¬
höfe bildeten, nach außen getrennt von den Russen durch Zaun und Pforten,
in ihrem inneren Leben von den Russen abgeschlossen durch die deutsche Hof¬
ordnung, das innerdeutsche Hausgesetz des Kontors, eine Summe von straf¬
rechtlichen, zivilrechtlichen, Handels- und ordnungspolizeilichen Vorschriften, die
deutschem Recht entsprangen und von den Hansen nach Rußland mitgebracht worden,
waren. Darum regeln die Grundverträge nicht nur die eigentlichen Handels¬
beziehungen, sondern haben auch Satzungen strafrechtlicher, zivilrechtlicher und
prozessualer Art für alle persönlichen Beziehungen, in die die Deutschen zu den
Russen während ihres Aufenthaltes in Rußland treten konnten. Bei diesen
Grundverträgen des deutsch-russischen Handels ist es von Interesse zu be¬
obachten, wie das internationale Vertragsrecht sich aus dem Zusammentreffen
von deutschen und russischen Rechtsanschauungen bildet, wie bald das eine
bald das andere überwiegt. Andererseits läßt sich zeigen, daß die deutschen
Forderungen in den russischen Handelsverträgen sich vielfach decken mit den
Forderungen, die die Hanse in ihren anderen Handelsgebieten aufstellte; die
Deutschen streben darnach, die Vorrechte und Freiheiten, die sie in anderen
Ländern hinsichtlich ihres Handels wie der Gewährung des Rechtsschutzes ge¬
nießen, auch in Rußland zu erhalten. So haben wir vielfach eine Gleichheit
der russischen und der nichtrussischen Hanseprivilegien, aber auch Verschieden¬
heiten zwischen ihnen, die bedingt sind durch die besondere Lage der Hansen
in Rußland gegenüber ihren anderen Handelsgebieten.

Die eigentlichen Handelsbestimmungen garantieren beiderseits volle Ver¬
kehrsfreiheit, "reinen Weg", bestimmen, daß ein Krieg den Handel nicht
hindern soll -- eine Satzung, die allerdings regelmäßig übertreten wurde --,
sprechen von der Haftung der Russen für Unfälle und Schädigung der
Deutschen auf russischem Gebiet, geben genaue Bestimmungen über die
Reisewege, Benutzung russischer Leichterschiffe, Fuhrleute, Träger, enthalten
Verordnungen über Maß und Gewicht, Groß- und Kleinhandel, speziell
über den Handel mit den zwei wichtigsten Ausfuhrartikeln Rußlands, mit Pelz
und Wachs, sichern den Grundbesitz und die Höfe der Deutschen in Rußland.

Bei der zweiten Hauptgruppe der Vertragsbestimmungen, die von Gewährung
des Rechtsschutzes an die Fremden handeln, können wir, wie erwähnt, strafrecht¬
liche, zivilrechtliche und prozessuale Satzungen unterscheiden; indessen gehen sie
vielfach ineinander über, sind wechselseitig miteinander verbunden. Wichtigster


Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

Die Grundverträge sind diejenigen, die beim Beginn und der ersten Ent¬
wicklung des deutsch-russischen Handels, nach den beiden großen Gebieten aller
Handelsverträge: Handel und Verkehr einerseits, Gewährung des Rechtsschutzes
an die fremden Kaufleute andererseits, die allgemeinen Grundlagen schaffen,
auf denen sich der Handel entwickeln, die persönlichen Beziehungen der Kauf¬
leute sich gestalten sollen. Eine Eigentümlichkeit des russischen Handels der
Deutschen war es, daß die Hansen in den Hauptorten Rußlands, vor allem
in Nowgorod, geschlossene Organisationen, Handelskontore, große Kaufmanns¬
höfe bildeten, nach außen getrennt von den Russen durch Zaun und Pforten,
in ihrem inneren Leben von den Russen abgeschlossen durch die deutsche Hof¬
ordnung, das innerdeutsche Hausgesetz des Kontors, eine Summe von straf¬
rechtlichen, zivilrechtlichen, Handels- und ordnungspolizeilichen Vorschriften, die
deutschem Recht entsprangen und von den Hansen nach Rußland mitgebracht worden,
waren. Darum regeln die Grundverträge nicht nur die eigentlichen Handels¬
beziehungen, sondern haben auch Satzungen strafrechtlicher, zivilrechtlicher und
prozessualer Art für alle persönlichen Beziehungen, in die die Deutschen zu den
Russen während ihres Aufenthaltes in Rußland treten konnten. Bei diesen
Grundverträgen des deutsch-russischen Handels ist es von Interesse zu be¬
obachten, wie das internationale Vertragsrecht sich aus dem Zusammentreffen
von deutschen und russischen Rechtsanschauungen bildet, wie bald das eine
bald das andere überwiegt. Andererseits läßt sich zeigen, daß die deutschen
Forderungen in den russischen Handelsverträgen sich vielfach decken mit den
Forderungen, die die Hanse in ihren anderen Handelsgebieten aufstellte; die
Deutschen streben darnach, die Vorrechte und Freiheiten, die sie in anderen
Ländern hinsichtlich ihres Handels wie der Gewährung des Rechtsschutzes ge¬
nießen, auch in Rußland zu erhalten. So haben wir vielfach eine Gleichheit
der russischen und der nichtrussischen Hanseprivilegien, aber auch Verschieden¬
heiten zwischen ihnen, die bedingt sind durch die besondere Lage der Hansen
in Rußland gegenüber ihren anderen Handelsgebieten.

Die eigentlichen Handelsbestimmungen garantieren beiderseits volle Ver¬
kehrsfreiheit, „reinen Weg", bestimmen, daß ein Krieg den Handel nicht
hindern soll — eine Satzung, die allerdings regelmäßig übertreten wurde —,
sprechen von der Haftung der Russen für Unfälle und Schädigung der
Deutschen auf russischem Gebiet, geben genaue Bestimmungen über die
Reisewege, Benutzung russischer Leichterschiffe, Fuhrleute, Träger, enthalten
Verordnungen über Maß und Gewicht, Groß- und Kleinhandel, speziell
über den Handel mit den zwei wichtigsten Ausfuhrartikeln Rußlands, mit Pelz
und Wachs, sichern den Grundbesitz und die Höfe der Deutschen in Rußland.

Bei der zweiten Hauptgruppe der Vertragsbestimmungen, die von Gewährung
des Rechtsschutzes an die Fremden handeln, können wir, wie erwähnt, strafrecht¬
liche, zivilrechtliche und prozessuale Satzungen unterscheiden; indessen gehen sie
vielfach ineinander über, sind wechselseitig miteinander verbunden. Wichtigster


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[0055] Die Deutsch-Russischen Handelsverträge Die Grundverträge sind diejenigen, die beim Beginn und der ersten Ent¬ wicklung des deutsch-russischen Handels, nach den beiden großen Gebieten aller Handelsverträge: Handel und Verkehr einerseits, Gewährung des Rechtsschutzes an die fremden Kaufleute andererseits, die allgemeinen Grundlagen schaffen, auf denen sich der Handel entwickeln, die persönlichen Beziehungen der Kauf¬ leute sich gestalten sollen. Eine Eigentümlichkeit des russischen Handels der Deutschen war es, daß die Hansen in den Hauptorten Rußlands, vor allem in Nowgorod, geschlossene Organisationen, Handelskontore, große Kaufmanns¬ höfe bildeten, nach außen getrennt von den Russen durch Zaun und Pforten, in ihrem inneren Leben von den Russen abgeschlossen durch die deutsche Hof¬ ordnung, das innerdeutsche Hausgesetz des Kontors, eine Summe von straf¬ rechtlichen, zivilrechtlichen, Handels- und ordnungspolizeilichen Vorschriften, die deutschem Recht entsprangen und von den Hansen nach Rußland mitgebracht worden, waren. Darum regeln die Grundverträge nicht nur die eigentlichen Handels¬ beziehungen, sondern haben auch Satzungen strafrechtlicher, zivilrechtlicher und prozessualer Art für alle persönlichen Beziehungen, in die die Deutschen zu den Russen während ihres Aufenthaltes in Rußland treten konnten. Bei diesen Grundverträgen des deutsch-russischen Handels ist es von Interesse zu be¬ obachten, wie das internationale Vertragsrecht sich aus dem Zusammentreffen von deutschen und russischen Rechtsanschauungen bildet, wie bald das eine bald das andere überwiegt. Andererseits läßt sich zeigen, daß die deutschen Forderungen in den russischen Handelsverträgen sich vielfach decken mit den Forderungen, die die Hanse in ihren anderen Handelsgebieten aufstellte; die Deutschen streben darnach, die Vorrechte und Freiheiten, die sie in anderen Ländern hinsichtlich ihres Handels wie der Gewährung des Rechtsschutzes ge¬ nießen, auch in Rußland zu erhalten. So haben wir vielfach eine Gleichheit der russischen und der nichtrussischen Hanseprivilegien, aber auch Verschieden¬ heiten zwischen ihnen, die bedingt sind durch die besondere Lage der Hansen in Rußland gegenüber ihren anderen Handelsgebieten. Die eigentlichen Handelsbestimmungen garantieren beiderseits volle Ver¬ kehrsfreiheit, „reinen Weg", bestimmen, daß ein Krieg den Handel nicht hindern soll — eine Satzung, die allerdings regelmäßig übertreten wurde —, sprechen von der Haftung der Russen für Unfälle und Schädigung der Deutschen auf russischem Gebiet, geben genaue Bestimmungen über die Reisewege, Benutzung russischer Leichterschiffe, Fuhrleute, Träger, enthalten Verordnungen über Maß und Gewicht, Groß- und Kleinhandel, speziell über den Handel mit den zwei wichtigsten Ausfuhrartikeln Rußlands, mit Pelz und Wachs, sichern den Grundbesitz und die Höfe der Deutschen in Rußland. Bei der zweiten Hauptgruppe der Vertragsbestimmungen, die von Gewährung des Rechtsschutzes an die Fremden handeln, können wir, wie erwähnt, strafrecht¬ liche, zivilrechtliche und prozessuale Satzungen unterscheiden; indessen gehen sie vielfach ineinander über, sind wechselseitig miteinander verbunden. Wichtigster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/55>, abgerufen am 24.07.2024.