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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

land. Und so werden wir die große Bedeutung des deutsch-russischen Handels
in der Vergangenheit wie in der Zukunft mit am besten aus einer knappen
Übersicht über die Geschichte und den allgemeinen Inhalt dieser Handels¬
verträge erfassen.

In ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge können wir die deutsch-russischen
Handelsverträge in zwei große Gruppen einteilen, in die vom Ende des zwölften
bis Mitte des siebzehnten und in die von Mitte des siebzehnten bis Ende des
neunzehnten bzw. bis Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieser all¬
gemeinen Verschiedenheit von älteren und neueren deutsch-russischen Handels¬
verträgen entspricht in jeder der beiden Gruppen eine solche der Vertrag¬
schließenden wie der Handelsgebiete, für die die Verträge geschlossen sind.
Kontrahenten auf russischer Seite sind bei den Handelsverträgen der älteren
Gruppe erst einzelne Teilfürsten, später das Moskaner Zartum, bei denen der
neueren Gruppe das Kaiserreich Rußland seit Peter dem Großen. Ist hier
auf russischer Seite doch eine Einheitlichkeit der Vertragschließenden insofern
vorhanden, als immer ein russischer Teilstaat oder der russische Staat die
Handelsverträge schloß, so ist bei den deutschen Kontrahenten ein scharfer Unter¬
schied zwischen den Handelsverträgen der älteren und der neueren Gruppe. Die
älteren Handelsverträge bis zum siebzehnten Jahrhundert sind auf deutscher
Seite geschlossen nicht vom Staat, sondern von der organisierten deutschen Kaufmann¬
schaft, erst von der großen, den Ostseehandel beherrschenden Kaufmannsgenossen¬
schaft auf der Insel Gotland, der uralten Vermittlungsstelle für den Handel
zwischen Deutschen und Russen, von dem "gemeinen (d. h. gemeinsamen) deut¬
schen Kaufmann", später von der deutschen Städtehanse unter Führung ihres
Hauptes Lübeck. An Stelle dieser alten, kurz gesagt, Hanseverträge mit Ru߬
land treten seit dem siebzehnten Jahrhundert wirkliche Staatsverträge, abge¬
schlossen im wesentlichen von Preußen, das als nächster und größter deutscher
Nachbar Rußlands naturgemäß die Führung übernahm. Daneben haben wir
Staatsverträge zwischen Rußland und den Nachfolgern der alten Hanse, den
Hansestädten Lübeck und Hamburg, sowie mit einzelnen anderen deutschen Staaten,
aus neuester Zeit natürlich Verträge mit dem Deutschen Reich.

Der Trennung der Handelsverträge in zwei Gruppen. Hanseverträge und
Staatsverträge, entspricht eine andere Scheidung der Verträge nach Handels¬
gebieten, für die die Handelsverträge geschlossen sind, eine Trennung, die ihrer¬
seits mit der Entwicklung der russischen Teilfürstentümer zum altrussischen Reich
zusammenhängt. Die älteren Verträge sind vorwiegend für einzelne räumlich
begrenzte Handelsgebiete in Rußland abgefaßt, die neueren beziehen sich auf
den Handel im ganzen, sich allmählich zu seinem vollen Umfang ausgestaltenden
russischen Reich, wie auf den Tranfithandel durch Rußland nach Asten.

Daß die beiderseitigen Handelsverbindungen, in Teilgebieten wie im Ver¬
kehr der beiden ganzen Reiche miteinander, jeweils abhängig waren von den


Die Deutsch-Russischen Handelsverträge

land. Und so werden wir die große Bedeutung des deutsch-russischen Handels
in der Vergangenheit wie in der Zukunft mit am besten aus einer knappen
Übersicht über die Geschichte und den allgemeinen Inhalt dieser Handels¬
verträge erfassen.

In ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge können wir die deutsch-russischen
Handelsverträge in zwei große Gruppen einteilen, in die vom Ende des zwölften
bis Mitte des siebzehnten und in die von Mitte des siebzehnten bis Ende des
neunzehnten bzw. bis Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieser all¬
gemeinen Verschiedenheit von älteren und neueren deutsch-russischen Handels¬
verträgen entspricht in jeder der beiden Gruppen eine solche der Vertrag¬
schließenden wie der Handelsgebiete, für die die Verträge geschlossen sind.
Kontrahenten auf russischer Seite sind bei den Handelsverträgen der älteren
Gruppe erst einzelne Teilfürsten, später das Moskaner Zartum, bei denen der
neueren Gruppe das Kaiserreich Rußland seit Peter dem Großen. Ist hier
auf russischer Seite doch eine Einheitlichkeit der Vertragschließenden insofern
vorhanden, als immer ein russischer Teilstaat oder der russische Staat die
Handelsverträge schloß, so ist bei den deutschen Kontrahenten ein scharfer Unter¬
schied zwischen den Handelsverträgen der älteren und der neueren Gruppe. Die
älteren Handelsverträge bis zum siebzehnten Jahrhundert sind auf deutscher
Seite geschlossen nicht vom Staat, sondern von der organisierten deutschen Kaufmann¬
schaft, erst von der großen, den Ostseehandel beherrschenden Kaufmannsgenossen¬
schaft auf der Insel Gotland, der uralten Vermittlungsstelle für den Handel
zwischen Deutschen und Russen, von dem „gemeinen (d. h. gemeinsamen) deut¬
schen Kaufmann", später von der deutschen Städtehanse unter Führung ihres
Hauptes Lübeck. An Stelle dieser alten, kurz gesagt, Hanseverträge mit Ru߬
land treten seit dem siebzehnten Jahrhundert wirkliche Staatsverträge, abge¬
schlossen im wesentlichen von Preußen, das als nächster und größter deutscher
Nachbar Rußlands naturgemäß die Führung übernahm. Daneben haben wir
Staatsverträge zwischen Rußland und den Nachfolgern der alten Hanse, den
Hansestädten Lübeck und Hamburg, sowie mit einzelnen anderen deutschen Staaten,
aus neuester Zeit natürlich Verträge mit dem Deutschen Reich.

Der Trennung der Handelsverträge in zwei Gruppen. Hanseverträge und
Staatsverträge, entspricht eine andere Scheidung der Verträge nach Handels¬
gebieten, für die die Handelsverträge geschlossen sind, eine Trennung, die ihrer¬
seits mit der Entwicklung der russischen Teilfürstentümer zum altrussischen Reich
zusammenhängt. Die älteren Verträge sind vorwiegend für einzelne räumlich
begrenzte Handelsgebiete in Rußland abgefaßt, die neueren beziehen sich auf
den Handel im ganzen, sich allmählich zu seinem vollen Umfang ausgestaltenden
russischen Reich, wie auf den Tranfithandel durch Rußland nach Asten.

Daß die beiderseitigen Handelsverbindungen, in Teilgebieten wie im Ver¬
kehr der beiden ganzen Reiche miteinander, jeweils abhängig waren von den


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[0053] Die Deutsch-Russischen Handelsverträge land. Und so werden wir die große Bedeutung des deutsch-russischen Handels in der Vergangenheit wie in der Zukunft mit am besten aus einer knappen Übersicht über die Geschichte und den allgemeinen Inhalt dieser Handels¬ verträge erfassen. In ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge können wir die deutsch-russischen Handelsverträge in zwei große Gruppen einteilen, in die vom Ende des zwölften bis Mitte des siebzehnten und in die von Mitte des siebzehnten bis Ende des neunzehnten bzw. bis Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieser all¬ gemeinen Verschiedenheit von älteren und neueren deutsch-russischen Handels¬ verträgen entspricht in jeder der beiden Gruppen eine solche der Vertrag¬ schließenden wie der Handelsgebiete, für die die Verträge geschlossen sind. Kontrahenten auf russischer Seite sind bei den Handelsverträgen der älteren Gruppe erst einzelne Teilfürsten, später das Moskaner Zartum, bei denen der neueren Gruppe das Kaiserreich Rußland seit Peter dem Großen. Ist hier auf russischer Seite doch eine Einheitlichkeit der Vertragschließenden insofern vorhanden, als immer ein russischer Teilstaat oder der russische Staat die Handelsverträge schloß, so ist bei den deutschen Kontrahenten ein scharfer Unter¬ schied zwischen den Handelsverträgen der älteren und der neueren Gruppe. Die älteren Handelsverträge bis zum siebzehnten Jahrhundert sind auf deutscher Seite geschlossen nicht vom Staat, sondern von der organisierten deutschen Kaufmann¬ schaft, erst von der großen, den Ostseehandel beherrschenden Kaufmannsgenossen¬ schaft auf der Insel Gotland, der uralten Vermittlungsstelle für den Handel zwischen Deutschen und Russen, von dem „gemeinen (d. h. gemeinsamen) deut¬ schen Kaufmann", später von der deutschen Städtehanse unter Führung ihres Hauptes Lübeck. An Stelle dieser alten, kurz gesagt, Hanseverträge mit Ru߬ land treten seit dem siebzehnten Jahrhundert wirkliche Staatsverträge, abge¬ schlossen im wesentlichen von Preußen, das als nächster und größter deutscher Nachbar Rußlands naturgemäß die Führung übernahm. Daneben haben wir Staatsverträge zwischen Rußland und den Nachfolgern der alten Hanse, den Hansestädten Lübeck und Hamburg, sowie mit einzelnen anderen deutschen Staaten, aus neuester Zeit natürlich Verträge mit dem Deutschen Reich. Der Trennung der Handelsverträge in zwei Gruppen. Hanseverträge und Staatsverträge, entspricht eine andere Scheidung der Verträge nach Handels¬ gebieten, für die die Handelsverträge geschlossen sind, eine Trennung, die ihrer¬ seits mit der Entwicklung der russischen Teilfürstentümer zum altrussischen Reich zusammenhängt. Die älteren Verträge sind vorwiegend für einzelne räumlich begrenzte Handelsgebiete in Rußland abgefaßt, die neueren beziehen sich auf den Handel im ganzen, sich allmählich zu seinem vollen Umfang ausgestaltenden russischen Reich, wie auf den Tranfithandel durch Rußland nach Asten. Daß die beiderseitigen Handelsverbindungen, in Teilgebieten wie im Ver¬ kehr der beiden ganzen Reiche miteinander, jeweils abhängig waren von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/53>, abgerufen am 25.08.2024.